Brüssel:EU will weiter mit Türkei über Beitritt verhandeln

  • Die EU-Kommission will am Flüchtlingspakt festhalten.
  • Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kritisiert Forderungen, die Beitrittsgespräche mit der Türkei abzubrechen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Trotz aller Kritik an der Verhaftungs- und Entlassungswelle nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei bleibt die EU-Kommission bislang in einer Frage unbeirrt: Das im März geschlossene Abkommen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise solle weiter umgesetzt werden, hat die Kommission wiederholt betont. Das schließt auch einen besonders umstrittenen Punkt ein: In dem Abkommen hatten die EU und die Türkei "ihre Entschlossenheit zur Neubelebung des Beitrittsprozesses" bekräftigt.

Forderungen, die Verhandlungen abzubrechen, wie sie etwa der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer erhebt, ignoriert die Kommission bislang. Einen umgehenden Stopp der Verhandlungen hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nur für den Fall angekündigt, dass die Türkei die Todesstrafe wieder einführt. Die Lage sei derzeit nicht so, dass das Land in nächster Zukunft EU-Mitglied werden könne, räumte er am Montag allerdings im französischen Fernsehsender France 2 ein. Einen Stopp der Beitrittsverhandlungen müssen die EU-Staaten einstimmig beschließen.

16 von 35 Verhandlungskapiteln zum EU-Beitritt sind eröffnet

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn wandte sich dagegen, die seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. "Wir müssen an die Menschen in der Türkei denken. Viele setzen ihre Hoffnungen in die Europäische Union", sagte er. Die EU müsse sich überdies fragen, welcher Einfluss ihr noch bleibe, wenn sie die Verhandlungen stoppe. "Mir geht es dabei nicht um das Flüchtlingsabkommen", betonte Asselborn. Entscheidend sei, eine europäische Perspektive für die Türkei zu erhalten. Das hänge allerdings von der weiteren Entwicklung in dem Land ab. Asselborn plädierte dafür, mit der türkischen Führung im Gespräch zu bleiben. Er wandte sich gegen Überlegungen, den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nicht - wie bisher üblich - zum informellen Treffen der EU-Außenminister Anfang September in Bratislava einzuladen.

In die seit Jahren stockenden Beitrittsverhandlungen war zuletzt Bewegung gekommen. Ende Juni waren die Verhandlungen im Bereich Finanzen und Haushaltsvorschriften eröffnet worden, im Dezember bereits die Verhandlungen im Bereich Wirtschafts- und Finanzpolitik. Damit haben die Verhandlungen in 16 der insgesamt 35 Verhandlungskapitel begonnen. Nur eines der Kapitel - Forschung und Wissenschaft - konnte bereits vorläufig abgeschlossen werden. Alle EU-Beitrittskandidaten müssen dieses Verfahren durchlaufen. Ein Beitritt ist erst möglich, wenn sie das EU-Recht komplett umgesetzt haben. Im Falle der Türkei ist die Eröffnung mehrerer Kapitel wegen Streits über das geteilte Zypern blockiert.

Die Bundesregierung hatte vergangenen Woche klargestellt, dass derzeit die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel nicht infrage komme. Dem schloss sich auch Asselborn an.

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