Jean-Claude Juncker ließ keinen Zweifel aufkommen. "Ich habe volles Vertrauen in seine Fähigkeit und Erfahrung, diese neue Verantwortung zu übernehmen", schrieb der EU-Kommissionspräsident über seinen Mitarbeiter. Und deshalb wolle er den "lieben Martin", also EU-Parlamentspräsident Schulz, darüber informieren, dass er Günther Oettinger die Ressorts Haushalt und Personal übertragen wolle. Das war am 28. Oktober, seit Jahresbeginn hat der deutsche EU-Kommissar nun die Aufgaben übernommen. Nur eines hat ihm Juncker verweigert: die Beförderung zum Vizepräsidenten der Kommission.
Dabei galt das als ausgemacht, schließlich hatte Oettingers Vorgängerin als Haushalts- und Personalkommissarin auch diesen Titel inne. Doch Juncker hält sich bedeckt, über seine Sprecher lässt er mitteilen: "Der Präsident wird diese Angelegenheit zu gegebener Zeit entscheiden." Nach "vollem Vertrauen" klingt das nicht. Und so hatte sich Oettinger am Montagabend einer Bewährungsprobe im Europäischen Parlament zu stellen. Der CDU-Politiker war vor die Ausschüsse für Haushalt, Haushaltskontrolle und Recht geladen, um seine Eignung unter Beweis stellen.
Erst die Ernennung, dann die Anhörung durch das Parlament. Kritiker hätten's gern umgekehrt
Das ist das normale Prozedere, wenn ein EU-Kommissar die Aufgaben wechselt. Doch der Fall Oettinger ist alles andere als normal. Mit seiner halbgaren Entscheidung hat es Juncker seinem Kommissar gleich doppelt schwer gemacht. Einerseits signalisiert er Oettinger, dass er sich erst noch bewähren muss, um Vizepräsident werden zu dürfen. Andererseits hat Juncker mit der vorweihnachtlichen Ernennung Oettingers erreicht, dass Teile des Parlaments äußerst verärgert sind. Viele Abgeordnete, die nicht Oettingers und Junckers konservativer Parteifamilie angehören, hätten es für geboten gehalten, dass der Kommissionspräsident mit der Ernennung bis nach Oettingers Anhörung im Parlament gewartet hätte. Wahr ist aber auch, dass sich das Parlament Zeit gelassen hat.
Von einer "inakzeptablen Machtdemonstration" spricht der Grüne Sven Giegold. Oettingers Portfoliowechsel sei "ein Schlag ins Gesicht der vielen Abgeordneten, die schwere Bedenken haben". Für den Sozialdemokraten Jens Geier grenzt Junckers Verhalten an eine "Missachtung des Parlaments". Insbesondere Oettingers "abwertende Aussagen gegenüber Chinesen und sein Kommentar zur ,Pflicht-Homoehe' lassen Zweifel zu, ob er als Personalkommissar geeignet ist", sagt Geier.
Oettinger hatte am 26. Oktober, also zwei Tage, bevor Juncker Schulz über die Beförderung des Kommissars informierte, eine Rede vor Unternehmern in Hamburg gehalten. Darin bezeichnete er Chinesen als "Schlitzaugen" und machte sich über eine "Pflicht-Homoehe" lustig. "Ich bedauere diese Ausdrücke von damals", sagt Oettinger nun bei der Anhörung am Montagabend. Er wolle für Vielfalt, Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit garantieren. "Dazu verpflichte ich mich", erklärt der Kommissar.
Europäische Union:Herr Kommissar, erläutern Sie
Eigentlich ist Günther Oettingers Beförderung zum Vizechef der EU-Kommission ausgemacht. Er muss sich aber noch ein paar unangenehmen Fragen stellen. Denn zuletzt bot er Angriffsflächen in Übergröße.
Umstrittene Nutzung eines Privatjets
Rechtfertigen muss sich Oettinger auch für eine angebliche Nähe zu Lobbyisten. Im Mittelpunkt der Kritik stand ein Flug Oettingers zu Ungarns Premier Viktor Orbán nach Budapest am 18. Mai. Der damalige Digitalkommissar war in den Privatjet von Klaus Mangold gestiegen. Der frühere Chef des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft ist russischer Honorarkonsul für Baden-Württemberg und unterhält exzellente Kontakte in den Kreml. Auf Fragen nach dem Flug reagiert Oettinger schmallippig. Ein Fehlverhalten hatte er schon schriftlich zurückgewiesen.
Ein weiteres Thema: Wenn es um die Häufigkeit von Begegnungen mit Wirtschaftsvertretern geht, liegt Oettinger stets auf den oberen Plätzen der Liste von Kommissionsmitgliedern. Der Deutsche sieht darin kein Problem: "Niemand soll sagen, dass ich faul bin." Als Digitalkommissar habe er eben mit Wirtschaft zu tun - so lautet eine seiner Verteidigungslinien, die er noch am Wochenende mit seinen engsten Mitarbeitern absteckte. An diesem Montagabend garantiert er seine "völlige Unabhängigkeit" gegenüber Lobbygruppen. Oettinger betont zudem, dass er den Austausch mit dem Parlament sehr ernst nehme - und für jedermann ansprechbar sei.
Fast demütig wirkt sein Auftritt. Das kommt an. Oettinger muss viele Detailfragen beantworten, in die Zange genommen wird er kaum. An diesem Donnerstag wird sich die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden mit dem Auftritt Oettingers befassen. Es wird eine der letzten Gelegenheiten für den scheidenden Parlamentspräsidenten Schulz sein, um seinem Freund Juncker einen Gefallen zu tun. Das Zeugnis wird jedenfalls das Verhältnis zwischen Oettinger und Juncker beeinflussen. So oder so.