Brüderle vor der Presse:Für Späßchen ist es zu früh

FDP-Pressefrühstück

Viele Fragen, doch FDP-Spitzenkandidat und Fraktionsvorsitzender Rainer Brüderle schweigt. Er äußert sich auch weiterhin nicht zu den Sexismus-Vorwürfen.

(Foto: dpa)

"No comment": Rainer Brüderle muss sich beim Pressefrühstück in Berlin unbequemen Fragen der Journalisten stellen - und schweigt eisern zur Sexismus-Debatte. "Stern"-Autorin Himmelreich, die die Vorwürfe gegen Brüderle erhoben hatte, ist auch da. Ein Bericht über eine bizarre Veranstaltung.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Rainer Brüderle sieht ein wenig bleicher aus als sonst, als er den Besprechungsraum 6.556 im sechsten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses zum Pressefrühstück betritt. Draußen pfeift der Wind. Regen klatscht gegen die meterhohen Glasscheiben, die den weiten Blick auf Tiergarten und Parlamentsgebäude öffnen.

Immer mittwochs in Sitzungswochen, kommen hier die FDP-Beobachter zusammen. Brüderle erklärt die parlamentarische Woche, äußert sich zu aktuellen Themen. Davor geht er kurz herum, schüttelt jedem die Hand, meist mit einem fröhlichen Lächeln und dem ein oder anderen lustigen Spruch auf den Lippen. Was gesagt wird, darf geschrieben werden. Bild- und Tonaufnahmen sind nicht zugelassen.

Aber dieser Mittwoch ist kein normaler Tag. Über 70 Journalisten drängen sich in dem Raum, der schon für die Hälfte zu klein ist. Manche müssen stehen, einige sitzen auf dem Boden. Es ist kaum Platz für die eilig herbeigeschafften zusätzlichen Stühle. Vor der Tür warten Fernsehteams. Eine Reporterin will von Laura Himmelreich wissen, wie es ihr jetzt geht. Die Befragte ist allerdings eine andere Kollegin.

Die Facette des zotenreißenden Brüderle

Es ist genau eine Woche her, dass auf Stern.de eine Szene veröffentlich wurde, an der sich die noch immer brennende Sexismus-Debatte entfachte. Darin wird Stern-Autorin Laura Himmelreich zitiert, die von einem verbalen Übergriff Brüderles auf sie berichtet. Er soll sich Anfang 2012 eines Abends an einer Hotelbar über ihre Brüste ausgelassen haben. Himmelreich nahm dies zum Anlass, nach Brüderles Nominierung zum FDP-Spitzenkandidaten für den Bundestagswahlkampf die Facette des zotenreißenden und zuweilen geschmacklos-witzigen Brüderle zu zeigen.

An diesem Mittwoch geht Brüderle nicht herum, er gibt keinem die Hand. Er lächelt nicht. Zu seinen üblichen Scherzen ist er auch nicht aufgelegt. Im Raum sitzt links hinter ihm, im Abstand von vielleicht vier Metern, auch Laura Himmelreich. Nicht mal ein Blickkontakt kann vermerkt werden.

Brüderle hat sich entschieden, zu den Vorwürfen zu schweigen. Bisher konnte er das tun, ohne sich hinterfragen lassen zu müssen. Er gab keine Pressekonferenzen und wurde nur auf wenigen öffentlichen Veranstaltungen gesichtet. An diesem Mittwoch aber muss er sich Fragen gefallen lassen.

Normal ist das alles noch nicht

Seine Sprecherin eröffnet die Runde und übergibt Brüderle das Wort. Der sagt, was alle erwarten mussten: Nichts. "Ich weiß, dass sie heute besonderes Interesse an einem Thema haben", sagt er. "Sie wissen, dass ich mich bisher nicht geäußert habe. Ich werde das auch heute nicht tun."

Dann spricht er über die anstehende Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag, über den Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Mursi in Berlin, über Mali, den Bericht des Wehrbeauftragten, Hilfen für Zypern, Energiekosten und die neuen Mehrheiten im Bundesrat nach der Wahl in Niedersachsen. Als wolle er mit jedem neuen Thema, das er anschneidet, beweisen: Seht her, es gibt Wichtigeres als diese leidige Debatte zu meiner Person.

Es ist klar, dass er weiter schwiegen wird. Nur wenige Journalisten versuchen ihn aus der Reserve zu locken: "Sind Sie in Ihrer derzeitigen Verfassung für die FDP noch von Nutzen?" - "Das muss die Partei entscheiden", gibt Brüderle zurück. "Wie lange wollen Sie noch schweigen?" - "No comment!"

Die Sexismus-Debatte hält er für "legitim"

Ein anderer versucht es: "Sie haben registriert, dass Frau Himmelreich da ist. Warum nutzen Sie die Gelegenheit nicht, um sich öffentlich zu entschuldigen?" - Brüderle: "Ich werde weiter keinen Kommentar dazu abgeben." Immerhin wagt er sich so weit vor, dass er die Sexismus-Debatte für "legitim" hält. Wie jede andere Debatte auch in einem demokratischen Staat. Andere Fragen zur Geldwertstabilität oder Rente beantwortet Brüderle gerne und umfassend. Irgendwann scheint er Tritt gefasst zu haben. Seine Hände malen Wellenlinien in die Luft, um zu demonstrieren, wie instabil die Stromversorgung mit Windkraft sei. Manchmal schnellt auch wieder sein rechter Zeigefinger in die Luft, wenn ihm etwas besonders wichtig ist.

Zwischendurch wagt er es sogar, einen seiner kleinen Witzchen zu machen. "Hat hier jemand die Heizung ausgemacht?", ruft ein Journalist dazwischen. Tatsächlich ist es merklich kühl im Raum. Brüderle steigt ein: Für die Heizung sei die Bundestagsverwaltung zuständig. "Ich erkläre alle Mitarbeiter der FDP-Fraktion für unschuldig!", sagt er und grinst. Nur lacht diesmal kaum einer mit. Für Späßchen ist es wohl noch zu früh. Normal ist das alles noch lange nicht.

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