Beinahekatastrophen sind Warnsignale, die zeigen, was im schlimmsten Fall passieren kann. So wie die vor vier Monaten in Dresden, als die Carolabrücke in die Elbe krachte. Gerade mal 18 Minuten, nachdem die letzte Tram darüber gerollt war. Wie durch ein Wunder kam kein Mensch zu Schaden. Doch die Verkehrsministerien des Landes waren alarmiert. Was, wenn das bei uns passiert? Was, wenn eine Brücke in der Rushhour zusammenklappt und Autos samt Insassen in die Tiefe reißt?
„Ich will so einen Brückeneinsturz wie in Dresden hier in Baden-Württemberg nicht erleben“, sagt Winfried Hermann, der baden-württembergische Verkehrsminister. Die Carolabrücke habe allen deutlich vor Augen geführt, dass es mehr Brückensicherheit braucht. Auch im Südwesten sind viele Bauwerke, die über Täler oder Flüsse führen: veraltet, spröde, marode. Erst Mitte Dezember bröckelte eine Autobahnbrücke in Stuttgart. Faustgroße Betonteile stürzten auf die A 831. Auch hier ein kleines Wunder: Niemand wurde verletzt.
Grund genug fürs Ministerium, mal alle Brücken im Südwesten genau unter die Lupe zu nehmen. Mit beunruhigendem Ergebnis: 73 der insgesamt rund 7300 Brücken an Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg sind besonders gefährdet – kommunale und Autobahn-Brücken nicht eingerechnet. Es sind solche wie die Carolabrücke: Spannbetonbrücken, vor 1978 errichtet, in deren Spannstählen sich unter hoher Zugbelastung und Feuchtigkeit unsichtbare Risse bilden können. Im schlimmsten Fall versagt der Stahl, und die Brücke stürzt ein, ganz plötzlich, ohne dass man ihr vorher ihre Altersschwäche anmerkt. So wie in Dresden.
Minister Hermann schickt seine Prüfingenieurinnen und -ingenieure nun doppelt so häufig wie üblich zur Hauptprüfung zu den 73 Brücken: alle drei Jahre. Um dabei an den Spannstahl ranzukommen, entfernen sie Teile des Fahrbahnbelags und suchen mit dem „magnetinduktiven“ Messverfahren nach Rissen: Ein Prüfkopf magnetisiert den Stahl und detektiert magnetische Streufelder, die an Bruchstellen entstehen.
Weil die altersschwachen Brücken in der Zwischenzeit weiter gebraucht werden, muss man sie vorerst schonen. Also gelten Tempolimits oder Überholverbote, Lastbeschränkungen oder Abstandsgebote für Lkws. Manche von ihnen werden für Schwerlasttransporte tabu sein.
Bis zum Jahr 2030 will Baden-Württemberg alle 73 Brücken ersetzt haben. Weil es keine Möglichkeit gibt, sie zu verstärken, bleibt nur eins: abreißen und an gleicher Stelle neu bauen. Das erspart zwar langwierige Genehmigungsverfahren, trotzdem kann das zwei bis drei Jahre dauern. In der Zwischenzeit müssen Autofahrer die Abschnitte umfahren. Höhere Sicherheit, sagt Hermann, bringe eben Einschränkungen mit sich.
Auch an anderen Brückentypen ist viel zu tun: Insgesamt ist jede zehnte Brücke an Bundes- und Landesstraßen im Südwesten sanierungsbedürftig. Um Verkehrswege zu erneuern, plant das Ministerium dieses und kommendes Jahr mit jeweils 184 Millionen Euro, und mit noch mal 19 Millionen speziell für Brücken. Diese, sagt Hermann, „sind die Achillesfersen im Straßennetz. Auf einer maroden Straße kann man noch fahren, über eine marode Brücke nicht“. Nicht, dass der Boden unter den Rädern wegbricht.