Britisches EU-Referendum:Ruf nach Volksentscheid wird lauter

Nach der britischen Entscheidung für ein EU-Referendum mehren sich in Deutschland Stimmen, die Volksentscheide fordern. Zwar lehnte die Bundesregierung eine Abstimmung über die künftige EU-Verfassung klar ab, zeigte sich aber offen für eine stärkere Mitsprache der Bürger.

Von Susanne Höll, Reymer Klüver und Christoph Schwennicke

Die FDP forderte ein Referendum auch in Deutschland; die Grünen und die CSU brachten indes eine EU-weite Abstimmung ins Gespräch. Der britische Premier Tony Blair hatte zuvor im Unterhaus die Wende in seiner Europa-Politik mit den Worten verkündet: "Lasst das Volk das letzte Wort haben."

Regierungssprecher Thomas Steg wies in Berlin ein deutsches Vorgehen nach britischem Vorbild zurück. "Es gibt keine Überlegungen, von dem bewährten parlamentarischen Verfahren abzuweichen", sagte er. Mit Blick auf die Bestrebungen in der rot-grünen Koalition für mehr Volksbeteiligungen fügte er hinzu, dass man für Debatten über Plebiszite offen sei.

Historische Bedeutung

Diese solle man aber nicht mit der Entscheidung über eine EU-Verfassung vermengen. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz bedauerte, dass den Deutschen anders als Briten und anderen EU-Bürgern nicht über einen Verfassungsvertrag abstimmen könnten. Dafür sei es nun aber in Deutschland zu spät.

"Jetzt ist es nicht mehr praktikabel, das Verfahren zu wechseln", sagte er und kündigte noch für dieses Jahr neue Vorstöße für mehr Volksbeteiligung an.

Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer sagte, die europäische Verfassung müsse in Deutschland "nicht unbedingt" durch ein Referendum legitimiert werden. Zwar sei seine Partei generell für eine Stärkung des Plebiszits. Sie würde aber nicht jenen die Hand reichen, die einen Volksentscheid nur "als nationale Notbremse gegen Europa" einsetzen wollten.

CDU verhalten

Es wäre "sinnvoll", wenn es für ein Referendum eine europäische Strategie gäbe, sagten Bütikofer und Fraktionschefin Krista Sager. Bütikofer nannte das jedoch eine "ideale Vorstellung". Ähnlich äußerte sich auch CSU-Generalsekretär Markus Söder, in dessen Partei es deutlich mehr Bereitschaft für Volksbeteiligung gibt als in der Schwesterpartei CDU.

Söder verwies auf die Absprache zwischen CDU und CSU, wonach es kein Plebiszit über die Verfassung geben soll. "Im Lichte der britischen Entscheidung sollte man aber über eine Abstimmung in ganz Europa nachdenken." Die CDU zeigte sich deutlich verhaltener.

Aus Sorge um die Verfassung mahnte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer die britischen Konservativen, das Votum nicht zu einer Abstimmung über die britische Innenpolitik zu machen. Der Frage eines deutschen Volksentscheids wich er aus: "Unsere Volksabstimmung findet bei der Europawahl am 13. Juni statt."

FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt forderte Kanzler Gerhard Schröder dagegen auf, sich an Blair ein Beispiel zu nehmen. "Ein Referendum führt immer dazu, dass ein Thema breit in der Öffentlichkeit diskutiert wird", sagte er. Auch die PDS forderte eine Volksabstimmung. In Deutschland müssen Bundestag und Bundesrat einer EU-Verfassung mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen.

Der britische Premier Blair hatte am Dienstag in einer leidenschaftlich geführten Debatte im Parlament in London ein Referendum über die EU-Verfassung angekündigt. Er nannte aber keinen Termin für die Abstimmung; allgemein wird damit im nächstem Frühjahr nach der Wahl des Unterhauses gerechnet. In seinem Plädoyer machte Blair die historische Bedeutung des Ereignisses deutlich. Alle wüssten, dass es nicht nur um die Verfassung selbst gehe.

Konservative für das Referendum

"Es ist Zeit für dieses Land, ein für alle mal zu entscheiden, ob es im Zentrum und im Herzen europäischer Entscheidungsfindung sein will oder nicht." Es sei Zeit, "zu entscheiden, ob unsere Bestimmung darin liegt, ein führender Partner in der Union zu sein, oder an ihrem Rande zu stehen", sagte Blair. Die Gründe für seinen Sinneswandel ließ er nicht erkennen.

Die Konservativen unter Führung von Michael Howard begrüßten das Referendum, forderten aber einen frühen Zeitpunkt und machten sich über Blairs Stimmungswandel ausführlich lustig. Blair habe auf dem letzten Labour-Parteitag gesagt, er habe keinen Rückwärtsgang, sagte Howard: "Jetzt hört man die Gänge krachen."

Der Führer der Liberaldemokraten, Charles Kennedy, warf dem Premier vor, zu lange nichts gegen anti-europäische Tendenzen getan zu haben. Er forderte eine intensive pro-europäische Kampagne.

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