Britischer Spesenskandal:Wut über die Zensur

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Großbritannien ist empört über die geschwärzten Spesenlisten des Unterhauses. Doch die Medien bringen Licht ins Dunkel: Der Daily Telegraph druckt prompt eine Beilage mit allen unzensierten Daten.

Jannis Brühl

Die Briten sehen den Skandal vor lauter schwarzer Balken nicht. Ursprünglich wollte das Unterhaus den Volkszorn besänftigen, als es ankündigte, die unerhörten Abrechnungen zu veröffentlichen. Durch mehr Transparenz sollten die Auswüchse bekämpft werden, versprach Premierminister Gordon Brown.

Zensierte Spesenabrechnung: Die Veröffentlichung in dieser Form schadet den Abgeordneten nur noch mehr. (Foto: Screenshot: parliament.uk)

Doch ganz so schonungslos gestaltet sich die Offenlegung nicht. Kaum eine der 1,2 Millionen Seiten, auf der nicht alle wichtigen Informationen von schwarzen Balken überdeckt sind. Doch so leicht kommen die Parlamentarier nicht davon: Zeitungen wie der Daily Telegraph und der Guardian übernehmen die Aufklärungsarbeit, die das Parlament verweigert.

Es ist ein Versuch der Politik, sich reinzuwaschen vom Schmutz des Skandals, doch jetzt wird die Selbstreinigung zum nächsten Skandal. "Die Art und Weise der Veröffentlichung der Spesen hat die Leute nur noch mehr frustriert," sagte Vince Cable, Finanzexperte der Liberaldemokraten. Labour-Politiker Sir Stuart Bell bezeichnete das Vorgehen als "absolut lächerlich".

Die Veröffentlichung der Daten war im Juli 2008 vom Obersten Gerichtshof angeordnet worden. Innerhalb des vergangenen Jahres wurden immer neue Gründe für die Schwärzungen gefunden: Mal wurde auf Bedenken der Geheimdienste und die nationale Sicherheit verwiesen, mal entschieden die Parlamentarier, aus Gründen "persönlicher Sicherheit" die Namen der Dienstleister zu zensieren, die umstrittene Arbeiten an den Häusern der Abgeordneten verrichtet hatten.

Dass die Veröffentlichung zensierter Dokumente ihnen eher schadet als nützt, hätte den Abgeordneten bewusst sein müssen. Schließlich ist bekannt, dass der Daily Telegraph seit Monaten die unzensierten Dokumente besitzt. Die Zeitung hatte die Affäre durch die Veröffentlichung einzelner Abrechnungen im Frühjahr ins Rollen gebracht hatte. Der Telegraph reagierte auf den halbherzigen Befreiungsschlag der Politik - und brachte eine detaillierte Auflistung online und als 68-Seiten starke Beilage unters Volk.

Keine Spur vom Entenhaus

Beim Vergleich beider Versionen kommen peinliche Details ans Licht. Von dem mittlerweile berüchtigten schwimmenden Entenhaus fehlt in der offiziellen Version jede Spur. Der Abgeordnete Peter Viggers wollte dafür 1645 Pfund erstattet haben.

In der Akte von Premierminister Brown fehlen neun Seiten, darunter auch Rechnungen des Möbelhauses Ikea. Laut Telegraph reichte er die Rechnungen über 9000 Pfund für die Installation einer Küche in seiner Zweitwohnung in Westminster über den Zeitraum von zwei Finanzjahren ein. So überstiegen seine Gesamtspesen nie die Obergrenze von 21.000 Pfund pro Jahr. Wozu er diesen Zweitwohnsitz braucht, ist ebenfalls fraglich: Downing Street 10, Wohnort und Residenz des Premierministers, liegt nur wenige Meter entfernt. Brown antwortete prompt: Die Rechnungen für die Küche seien immer in dem Quartal eingereicht worden, in dem sie auch ausgestellt worden waren.

Zusätzlich erschwert wird die Aufklärung durch die Menge des veröffentlichten Materials: 1,2 Millionen Seiten umfasst die Datensammlung, grob nach Abgeordneten sortiert. Die wirklich fragwürdigen Abrechnungen zu finden, ist eine Sisyphosarbeit. Aber wenn die Demokratie ins Chaos verfällt, kann das Chaos nur demokratisch geordnet werden: Der Guardian hat alle Dokumente ins Netz gestellt und bittet seine Leser um Hilfe. Nach und nach können sich die Briten durch die Abrechnungen klicken und jede Seite mit "nicht interessant", "interessant" und "bitte untersuchen!" markieren. Das bedeutet: Wenn sich in jedem der 646 Wahlkreise einige Bewohner um ihren Abgeordneten kümmern, könnte schnell System in den Berg aus Informationen kommen - und einigen Politikern stünde neuer Ärger bevor.

"Für wie dumm halten die uns eigentlich?"

Die Wut über die Verschleierungstaktik der Volksvertreter bricht sich in allen Medien Bahn. Das Boulevardblatt Daily Mail wird besonders deutlich und titelt: "Für wie dumm halten die uns eigentlich?" Die konservative Londoner Times kommentierte, es gebe nur "Verlogenheit, wo Ehrlichkeit verlangt war".

Vor allem geht aus den geschwärzten Dokumenten nicht hervor, welche Politiker ihre Zweitwohnungen gewechselt haben, um noch mehr Spesen herauszuschlagen. Diese als flipping bekannte Praxis steht besonders in der Kritik: Für die Renovierung eines Zweitwohnsitzes konnten bis zu 20.000 Pfund im Jahr beantragt werden - für jeden Zweitwohnsitz. Durch ständigen Kauf, Renovierung und Wiederverkauf der Wohnungen wurden manche Politiker so zu Immobilienmaklern im Nebenberuf - auf Kosten des Steuerzahlers.

Für ein paar pikante Informationen war die Initiative dann aber doch schon im unzensierten Zustand gut. Betroffen sind Politiker der ersten Reihe. So wurde bekannt, dass Tory-Chef David Cameron 947 Pfund zurückzuzahlen hat, Premier Brown 6500 Pfund für die Begrünung seines Zweitwohnsitzes in Schottland abrechnen ließ - und sein Vorgänger Tony Blair zwei Tage vor seinem Ausscheiden noch 7000 Pfund für Reparaturen am Dach als Spesen eingereicht hat.

Brown und sieben seiner Minister wollten eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen: Zusammen mit 175 anderen Mitgliedern des Unterhauses zahlten sie eine halbe Million Pfund zurück. Selbst wenn diese Geste die Wut des Volkes hätte dämpfen können, die radikale Zensur der Spesenabrechnungen wiegt schwerer als jede vertrauensbildende Maßnahme.

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