Britische Untersuchung:Cameron: Mord an Litwinenko war "vom Staat unterstützt"

  • Der britische Premier David Cameron bezeichnet den Mord an dem Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko als "vom Staat unterstützt".
  • Eine britische Untersuchung kam zuvor zu dem Schluss, dass Russlands Präsident Putin den Plan, Alexander Litwinenko zu ermorden, "wahrscheinlich" gebilligt hat.
  • Der Kreml-Kritiker war 2006 in London nach einer Poloniumvergiftung gestorben. Er hatte auf dem Sterbebett Putin für seinen Tod verantwortlich gemacht.

Von Markus C. Schulte von Drach

Der britische Premierminister David Cameron sieht in der Ermordung des früheren russischen Agenten Alexander Litwinenko ein "vom Staat unterstütztes" Verbrechen. Cameron äußerte sich nach der Veröffentlichung eines britischen Untersuchungsberichtes, wonach der russische Präsident Wladimir Putin die Ermordung Litwinenkos vor zehn Jahren in London billigte. Mit seinen Äußerungen verschärft der britische Premierminister die diplomatischen Spannungen zwischen den beiden Ländern. Zuvor hatte London bereits den russischen Botschafter einbestellt.

Litwinenko war am 23. November 2006 in einem Londoner Krankenhaus an einer Vergiftung mit Polonium 210 gestorben. Das radioaktive Isotop war dem 43-Jährigen am 11. November während eines Treffens mit den russischen Ex-Geheimdienstmitarbeitern Andrej Lugowoi und Dmitrij Kowtun in der Bar eines Hotels der britischen Hauptstadt im Tee verabreicht worden.

Putin und seine Regierung hätten ein Motiv gehabt, etwas gegen Litwinenko zu unternehmen - auch einen Mord, sagte Richter Robert Owen, der die Untersuchung leitete, der Agentur Bloomberg zufolge.

In seinem mehr als 300 Seiten starken Bericht heißt es: "Als Lugowoi Litwinenko vergiftete, tat er dies wahrscheinlich im Auftrag des FSB. [...] Ich habe festgestellt, dass Kowtun ebenfalls an der Vergiftung beteiligt war. Ich schließe deshalb, dass er ebenfalls im Auftrag des FSB handelte, vielleicht indirekt über Lugowoi, aber wahrscheinlich mit seinem Wissen."

Die wichtigste Schlussfolgerung des Richters aber lautet: "Die FSB-Operation mit dem Ziel, Litwinenko zu töten, war wahrscheinlich gutgeheißen worden von Herrn Patruschew und auch von Präsident Putin." Nikolai Patruschew war damals Chef des FSB.

Innenministerin May: "tief verstörend"

Die britische Regierung hätte den Fall Litwinenko lieber nicht öffentlich untersucht. Litwinenkos Witwe hatte dies vor Gericht jedoch durchgesetzt. "Ich bin sehr froh, dass die Worte, mit denen mein Mann auf seinem Totenbett Herrn Putin beschuldigt hat, durch ein englisches Gericht bestätigt wurden", sagte Marina Litwinenko dem britischen Sender BBC.

Die Untersuchungsergebnisse des Richters sind diplomatisch sehr heikel - nicht nur Premierminister Cameron reagierte. Innenministerin Theresa May bezeichnete die Schlussfolgerungen von Richter Owen als "tief verstörend". Es sei ein "unverhohlener und inakzeptabler Bruch der meisten Grundsätze des Völkerrechtes und ein Verstoß gegen zivilisiertes Verhalten" gewesen.Vor dem Parlament kündigte sie an, die Regierung würde den russischen Botschafter Alexander Jakowenko einbestellen, um ihm ihr tiefes Missfallen über die mangelnde Kooperation Russlands im Fall Litwinenko mitzuteilen.

Premier Cameron würde die Ergebnisse bei der nächsten Gelegenheit auch bei Präsident Putin auf die Untersuchung ansprechen, sagte May. Darüber hinaus kündigte sie an, jegliche Guthaben der beiden Tatverdächtigen Lugowoi und Kowtun in Großbritannien würden eingefroren. Ein Haftbefehl gegen beide existiert schon lange. Russland ist jedoch nicht bereit, sie auszuliefern. Die Regierung will sich May zufolge nun jedoch um ein weiteres juristisches Vorgehen kümmern.

Russischer Botschafter: "Provokation"

Die russische Regierung reagierte ablehnend auf den Bericht. Russlands Botschafter in Großbritannien bezeichnete ihn der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti zufolge als "Provokation" und als Versuch, Moskau wegen Differenzen in anderen internationalen Angelegenheiten unter Druck zu setzen. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums erklärte, die Regierung betrachte die Untersuchung nicht als objektiv. Die öffentliche Untersuchung hätte aus politischen Gründen stattgefunden. Es sei bedauerlich, dass ein rein krimineller Fall politisiert worden sei und einen Schatten auf die Atmosphäre der bilateralen Verhältnisse werfe.

Polonium-T-Shirt

Ein Beweisstück in der Untersuchung von Richter Owen: Einem Zeugen zufolge hat Andrej Lugowoi, einer der mutmaßlichen Mörder von Alexander Litwinenko, dieses T-Shirt 2010 an Boris Beresowski geschickt. Der Putin-Kritiker starb 2013 unter ungeklärten Umständen.

(Foto: Litvinenko Inquiry/www.litvinenkoinquiry.org)

Der Beschuldigte Lugowoi, inzwischen Abgeordneter in der russischen Duma, hat der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge die Vorwürfe selbst als "absurd" zurückgewiesen. Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigten nur Londons anti-russische Haltung.

Radioaktive Spuren führen zu den Tatverdächtigen

Die beiden Russen Andrej Lugowoi und Dmitrij Kowtun hatten polizeilichen Ermittlungen zufolge vor ihrem Treffen mit Litwinenko während ihrer Reise nach und in Großbritannien an etlichen Orten radioaktive Spuren hinterlassen, die dafür sprechen, dass sie radioaktives Material wie Polonium bei sich geführt hatten. Auch in Deutschland hatte einer der beiden radioaktive Spuren hinterlassen.

Alexander Litwinenko

1998 erklärte Alexander Litwinenko gemeinsam mit anderen Mitarbeitern des Geheimdienstes FSB, ihr Arbeitgeber hätte ihnen einen Mordauftrag gegeben.

(Foto: dpa)

Polonium ist ein sogenannter Alphastrahler, dessen Strahlung - die Alphateilchen - Gewebe kaum durchdringt. Gelangen seine Isotope jedoch über Nahrung, Wunden oder Rauch in den Körper, wirkt es extrem giftig. Bereits eine Menge von 0,1 Mikrogramm reines Polonium 210 tötet innerhalb von Tagen.

Anschuldigung auf dem Sterbebett

Bei Befragungen im Krankenhaus gab Litwinenko kurz vor seinem Tod an, Tee getrunken zu haben, den ihm Lugowoi angeboten habe. Auch an der Teekanne fanden Ermittler von Scotland Yard später relativ hohe radioaktive Strahlung. Litwinenko beschuldigte auf dem Sterbebett den Präsidenten der Russischen Föderation als Auftragsgeber für das Verbrechen an ihm. Als ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes kenne er das System - und nur eine Person hätte einen Mord im Ausland befehlen können: Wladimir Putin.

Alexander Litvinenko

Alexander Litwinenko 2002 in London, wo er Asyl erhalten hatte. Litwinenko wurde kurz vor seinem Tod noch britischer Staatsbürger.

(Foto: AP)

Litwinenko hatte in Großbritannien Asyl erhalten, nachdem er seinem Arbeitgeber, dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB, schwere Vorwürfe gemacht hatte: Er beschuldigte die Spitze des FSB öffentlich, ihn mit dem Mord an dem Unternehmer und Politiker Boris Beresowski beauftragt zu haben.

In Großbritannien soll der ehemalige FSB-Ermittler den britischen Geheimdienst MI6 unterstützt haben. Dies und seine wiederholten schweren Vorwürfe gegen Putin wurden als mögliche Mordmotive untersucht. So hatte Litwinenko den russischen Geheimdienst etwa beschuldigt, selbst Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Russland verübt zu haben, um einen Vorwand für den zweiten Tschetschenien-Krieg zu haben.

Im Mai 2007 leitete die britische Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Mordes ein. Auslieferungsanträge für die Tatverdächtigen Lugowoi und Kowtun wurden von Russland abgelehnt. Beide Russen stritten wie die russische Regierung eine Beteiligung an dem Mord ab. Die Vorwürfe aus Großbritannien führten zu Spannungen zwischen London und Moskau, beide Seiten wiesen in der Folge Diplomaten des jeweils anderen Landes aus.

Da es ohne die Verdächtigen zu keiner Strafverfolgung kommen konnte, wurde der Fall Litwinenko 2011 Gegenstand einer unabhängigen Untersuchung durch den Richter Robert Owen. 2014 wurde diese Untersuchung beendet. Allerdings entschied das höchste britische Gericht, dass eine von Litwinenkos Witwe geforderte öffentliche Untersuchung stattfinden sollte. Diese Untersuchung durch Richter Owen wurde im Juli 2014 eingeleitet, im Januar 2015 begannen die Anhörungen.

Litwinenko ist nur einer in einer Reihe von Morden und verdächtigen Todesfällen unter russischen Regierungskritikern:

  • 2006 wurde Anna Politkowskaja in Moskau erschossen, nachdem sie für die regierungskritische Zeitung Nowaja Gaseta über Menschenrechtsverletzungen durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte im Kaukasus berichtet hatte. Ein Gericht verurteilte Tschetschenen als Mörder, ihr Auftraggeber wurde nicht bekannt.
  • 2009 starb der Anwalt Sergej Magnitski im Gefängnis, nachdem er den russischen Behörden Korruption vorgeworfen hatte. Magnitski war schwer krank, hatte aber in seiner Zelle keine Hilfe durch Ärzte bekommen.
  • Ebenfalls 2009 wurde die Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa im Nordkaukasus erschossen. Sie hatte zuvor Aufsehen mit Moskau-kritischen Berichten aus Tschetschenien erregt.
  • 2013 etwa wurde der ehemalige Politiker und Putinkritiker Boris Beresowski in Ascot bei London tot aufgefunden. Ein Suizid konnte nicht ausgeschlossen werden. Litwinenko hatte 1998 den FSB beschuldigt, Beresowski ermorden zu wollen.
  • 2015 wurde Boris Nemzow in Moskau von einem Unbekannten erschossen. Der ehemalige Vizeministerpräsident der Russischen Föderation war einer der bedeutendsten Oppositionellen und Kritiker Wladimir Putins.

Linktipp: Hier finden Sie den Bericht im Original

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