Britische Überwachung der Internetkommunikation:Mehr Sammelwut als die NSA

Antennen in Menwith Hill - mutmaßlicher Sitz des britischen GCHQ.

Antennen auf dem Stützpunkt der Royal Air Force in Menwith Hill - ein mutmaßlicher Sitz des britischen GCHQ.

(Foto: dpa)

Zuerst Prism, jetzt Tempora. Whistleblower Snowden zufolge hat der britische Geheimdienst GCHQ in weit größerem Ausmaß spioniert als die amerikanische NSA. In den USA hat er mittlerweile eine Anklage am Hals, die aber so lange geheimgehalten wurde, bis US-Präsident Obama seine Europa-Reise absolviert hatte. In Deutschland ist die Empörung über die neuen Enthüllungen groß.

Von Martin Anetzberger

Bereits vor gut einer Woche hatte sich abgezeichnet, dass die USA nicht daran denken, Whistleblower Edward Snowden ungeschoren davonkommen zu lassen. Bei einer Anhörung im Kongress sagte der Chef der Bundespolizei FBI, Robert Mueller, dass seine Behörde Ermittlungen gegen den ehemaligen NSA-Mitarbeiter eingeleitet habe. Snowdens Enthüllungen über das US-Überwachungsprogramm Prism habe "großen Schaden für unser Land und unsere Sicherheit" angerichtet.

Jetzt wird bekannt, dass die USA Anklage gegen Snowden erhoben haben. US-Medien zufolge lauten die Vorwürfe auf Spionage, Diebstahl und Weitergabe von Regierungseigentum. Dass die US-Regierung trotz der jüngtsten Enthüllung noch dazu in der Lage ist, ein Geheimnis für sich zu behalten, zeigt die Tatsache, dass die Anklage dem Guardian zufolge bereits am 14. Juni bei einem Bundesgericht in Virginia eingereicht wurde, also jenem Bundesstaat, in dem Snowden als Angestellter der Firma Booz Allen Hamilton im Auftrag der NSA gearbeitet hatte.

Dass die Anklage erst eine Woche später öffentlich wurde, wirft ein interessantes Licht auf den Staatsbesuch von US-Präsident Barack Obama in Deutschland. Er musste sich in Berlin zwar kritische Fragen von Journalisten zum Überwachungsprogramm Prism gefallen lassen. Sein eintägiger Aufenthalt hätte jedoch durchaus unangenehmer ausfallen können, wäre damals bekannt gewesen, dass die USA mit dem Einreichen der Anklage zuvor schon Schritte zur Bestrafung Snowdens eingeleitet hatten.

USA arbeiten an Auslieferungsantrag

Der Sender NBC News berichtet, dass es den US-Stellen bei ihrer Anklage wichtig sei, den Hongkonger Regeln für eine Auslieferung zu entsprechen. Nach Angaben der New York Times hat die US-Regierung die Behörden in Hongkong ersucht, Snowden in Gewahrsam zu nehmen, während ein Auslieferungsantrag vorbereitet würde.

Snowden hatte der britische Guardian und die Washington Post von Hongkong aus über die US-Spionageprogramme im Rahmen des Anti-Terror-Kampfes informiert. Vermutlich hält sich Snowden noch immer in der chinesischen Sonderverwaltungszone auf.

Der Guardian veröffentlichte unterdessen den nächsten Paukenschlag, der auf Informationen des untergetauchten Geheimdienstmitarbeiters zurückgeht. Der Akteur, der britische Geheimdienst GCHQ (Government Communications Headquarters), ist deutlich weniger prominent als der US-Nachrichtendienst NSA, das Ausmaß seiner Überwachung Snowden zufolge aber exorbitant größer.

Gesetzliche Grundlage aus den Anfängen des Internetzeitalters

Snowden nannte das Programm der Briten die "größte verdachtsunabhängige Überwachung in der Geschichte der Menschheit". Die schiere Menge, die dabei erfasst werde, lasse sich laut Guardian an den Namen der zwei Hauptkomponenten des "Tempora" genannten Programms ablesen: "Mastering the Internet" und "Global Telecoms Exploitation" ("Das Internet beherrschen" und "Die globale Telekommunikation ausschöpfen"). Ihre Informationen gewinnen die Briten demnach unter anderem dadurch, dass sie Glasfaserkabel anzapfen, durch die der transatlantische Datenverkehr abgewickelt wird.

Neben E-Mails, Einträgen im sozialen Netzwerk Facebook oder Telefongesprächen würden auch persönliche Informationen der Nutzer gespeichert und analysiert. Tempora sei seit eineinhalb Jahren in Betrieb.

Ob das GCHQ-Programm legal ist, ist umstritten. Der Geheimdienst beruft sich laut Guardian auf ein Gesetz aus dem Jahr 2000 und überträgt es auf den heutigen Stand der Technik. Die Anwendung des Ripa-Gesetzes (Regulation of Investigatory Powers Act) setzt die Ermächtigung des Innen- oder Außenministers voraus. Allerdings verabschiedete das Parlament das Gesetz vor 13 Jahren, also zu einer Zeit, in der noch niemand ahnen konnte, welche schier grenzenlosen Möglichkeiten die technische Entwicklung dem GCHQ zur Verfügung stellen würde.

So war es dem Geheimdienst offenbar möglich, aus den Glasfaserkabeln massenhaft und auch wahllos Daten vollkommen unschuldiger Menschen aufzuzeichnen und mit der amerikanischen NSA auszutauschen. Die Kriterien, um bestimmte Daten herauszusieben, seien Sicherheit, Terror und organisiertes Verbrechen, zitiert der Guardian eine Quelle aus dem Geheimdienst. Die gesammelten Informationen würden dann gebündelt und überprüft - aber bei weitem nicht alle gelesen. Dazu fehlten einfach die Ressourcen.

Leutheusser-Schnarrenberger zeigt sich entsetzt

Enthüllungen, die in Deutschland Entsetzen auslösen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte: "Treffen die Vorwürfe zu, wäre das eine Katastrophe." Die Vorwürfe gegen Großbritannien klängen nach einem Albtraum à la Hollywood. "Die Aufklärung gehört sofort in die europäischen Institutionen", forderte die stellvertretende FDP-Vorsitzende.

Der Enthüller der gigantischen Überwachung, Edward Snowden, so viel steht fest, wird sich Zeit seines Lebens weder in den USA noch in Großbritannien blicken lassen dürfen, will er nicht das Risiko eingehen, viele Jahre im Gefängnis zu verbringen. Doch er hat zahlreiche Unterstützer. Nach Angaben eines mit der Enthüllungsplattform Wikileaks verbundenen isländischen Geschäftsmannes, Olafur Vignir Sigurvinsson, steht in Hongkong ein Flugzeug bereit, das ihn nach Island fliegen könnte. Man warte nun auf ein positives Signal von der isländischen Regierung, sagte er.

Ein Petition mit dem Titel "Pardon Edward Snowden" ("Gnade für Edward Snowden") auf den offiziellen Seiten des Weißen Hauses hat mittlerweile mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt. Darin fordern die Initiatoren einen vollständigen Straferlass und bezeichnen Snowden als "Nationalhelden".

Mit Material von Reuters und dpa.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: