Britische IS-Geisel ermordet:Warum Cameron zögert, in den Krieg zu ziehen

Die Enthauptung des Entwicklungshelfers David Haines wühlt die Briten auf. Doch ihr Premier zögert, US-Präsident Obama in den Krieg zu folgen. Wer war Haines? Warum lässt Cameron seinen harten Worten keine Taten folgen und welche Rolle spielt Schottland?

Von Sebastian Gierke

Die Wortwahl David Camerons ist hart, drohend. Einen Akt des "puren Bösen" nennt der britische Premier die Enthauptung seinen Landsmannes, des Entwicklungshelfers David Haines, durch die Dschihadistenmiliz, die sich als "Islamischer Staat" (IS) bezeichnet. Die Täter seien keine Muslime, "sie sind Monster", sagte Cameron bei der kurzfristig angesetzten Live-Ansprache in der Londoner Downing Street. "Wir werden die Verantwortlichen ergreifen und vor Gericht stellen, egal wie lange es dauert."

Der grausame Mord setzt Cameron unter Druck. In der vergangenen Woche erst hat US-Präsident Barack Obama Luftschläge gegen den IS auch in Syrien befohlen. Die USA führen einen neuen Krieg, auch weil Obama Stärke zeigen muss. Lange hatte sich die Öffentlichkeit in den USA nicht für das brutale Treiben des IS im Irak und Syrien interessiert. Erst die Enthauptung der beiden US-Journalisten James Foley und Steven Sotloff hat das geändert. Es waren auch Vorwürfe, er zeige sich gegenüber Terroristen zu nachsichtig, die Obama zum Handeln gezwungen haben. Wie wird nun die britische Regierung dem IS entgegentreten?

David Haines - ein "britischer Held"

Cameron würdigte David Haines als "britischen Helden". 15 Jahre lang war er als Entwicklungshelfer im Einsatz, bevor er 2013 in Syrien verschleppt und getötet wurde. Er wurde nur 44 Jahre alt.

Britain's Prime Minister David Cameron makes a statement to the media following the killing of aid worker David Haines

"Ein Akt des puren Bösen": Der britische Premier David Cameron über die Ermordung David Haines durch die IS-Terroristen

(Foto: REUTERS)

"Ein großer Mann mit einem großen Herzen", so beschreiben ihn Freunde in der Tageszeitung Guardian. Haines, der aus dem Nordosten Englands stammt, war in Krisenregionen unterwegs, um zu helfen. Auf dem Balkan, im Sudan, in Libyen und zuletzt in Syrien versorgte er Notleidende mit Wasser und Essen, er sorgte dafür, dass sie ein Dach über dem Kopf hatten. "Verrückter Schotte", so nannten die Freunde ihn wegen seines unermüdlichen humanitären Engagements. "David half jedem, der Hilfe brauchte, unabhängig von Rasse, Glaube oder Religion", erzählt sein Bruder Mike.

Haines, ausgebildeter Flugzeugingenieur und ehemaliger Soldat der britischen Luftwaffe, arbeitete seit 1999 für die internationale Hilfsorganisation Acted, für die er im März vergangenen Jahres nach Syrien reiste. Kurz nach seiner Ankunft wurde er zusammen mit einem italienischen Kollegen verschleppt. Dieser kam im Mai 2014 frei, während Haines in der Gewalt der Extremisten blieb. Ein Einsatz zu seiner Befreiung scheiterte nach Angaben der britischen Regierung. Seine Familie appellierte noch am Freitag an die Geiselnehmer, sich bei ihnen zu melden. Einen Tag später stellte der IS dann das Video ins Netz, in dem die Enthauptung zu sehen ist. Haines hinterlässt zwei Töchter, 17 und vier Jahre alt.

So sind die Reaktionen in Großbritannien

Anders als in den USA spielte das Thema IS in Großbritannien schon länger eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit. Nach der Enthauptung Haines' ist das Entsetzen noch einmal gewachsen.

Über den Kurznachrichtendienst Twitter drückten viele Politiker und Prominente ihre Abscheu über den Mord aus. Premier Cameron selbst, Oppositionsführer Ed Miliband, der britische Theologe und Erzbischof von Canterbury Justin Welby oder die Journalisten Piers Morgan und Kevin Maguire.

Anders als in den USA sind allerdings die Reaktionen in den Medien besonnen. Das liegt auch daran, dass die Regierung bereits vor seiner Ermordung die Medien aufgefordert hatte, möglichst nicht über die Entführung von Haines zu berichten. Jede Berichterstattung würde nur der Propaganda der Terroristen dienen, so das Argument. Auch jetzt, nach der Enthauptung: kein Kriegsgeheul, keine Forderungen nach Rache. Der Guardian fordert beispielsweise eine zurückhaltende Reaktion. Allerdings wird auch die Frage gestellt, ob es die richtige Option war, so wenig zu berichten, ob mehr Öffentlichkeit nicht vielleicht sogar eine Möglichkeit gewesen wäre, Haines zu retten.

Wie wird Cameron den Dschihadisten entgegentreten?

Als Cameron den Presseraum in der Downing Street verließ, wirkte er nachdenklich und angefasst. Der Premier befindet sich in einer äußerst schwierigen Situation, nicht nur, weil das Opfer Brite war. Großbritannien hat bei den Terroranschlägen 2005 in London Erfahrungen mit Extremisten gemacht. Auch damals waren es Männer mit britischem Pass, die so viel Unheil brachten. Im Moment, so schätze die Regierung in London, sind rund 500 britische Dschihadisten für den IS und andere Organisationen im Einsatz. Es ist ein Brite, vermutlich ein ehemaliger Londoner DJ mit ägytischen Wurzeln, der auf den barbarischen Videos das Messer in der Hand hält.

Cameron muss auch deshalb schnell eine Antwort auf die Gräueltat des IS finden. Nach der Enthauptung Haines' hat er den Ton gegenüber der Terrormiliz verschärft. Großbritannien sei "bereit für jeden Schritt, der notwendig ist, um mit dieser Bedrohung fertigzuwerden und unser Land sicher zu halten." Doch wird sich Cameron der von Obama organisierten Koalition gegen die Terrororganisation ohne Vorbehalte anschließen?

Noch lässt der Premier viele Punkte offen - obwohl die entsetzliche Enthauptung seit Wochen eine ernstzunehmende Möglichkeit war, er sich also bereits für den jetzt eingetretenen Fall hätte wappnen können. Cameron aber ist unentschlossen.

Fest steht: Die Luftschläge der USA wird er logistisch unterstützen. Ob die Royal Air Force selbst sich an Luftschlägen im Irak und auch in Syrien beteiligt, dazu hat sich London allerdings noch nicht geäußert. Cameron will alles vermeiden, was nach blindem Aktionismus aussieht. Die britische Bevölkerung hat noch deutlich vor Augen, wie viel beim letzten Irak-Abenteuer schiefgegangen ist, als Großbritannien unter Premierminister Tony Blair in den Krieg gegen Saddam Hussein gezogen ist. Damals folgte auf die Bomben kein politischer Neuanfang, der Irak wurde mit seinen Problemen alleingelassen.

2013 hat Cameron außerdem eine heftige Niederlage im Parlament erlitten. Damals stimmte eine Mehrheit gegen eine militärische Intervention in Syrien. Etliche Mitglieder seiner Partei hatten sich damals der Opposition angeschlossen. Auch jetzt herrscht Streit in der Konservativen Partei über einen möglichen Militäreinsatz im Irak.

Und dann stimmt in wenigen Tagen auch noch Schottland über seine Unabhängigkeit ab. Hier geht es für Cameron ums politische Überleben. Deshalb fragen sich seine Berater in der Downing Street, wie ein Einsatzbefehl für britische Bomber bei den Wählern ankommen könnte, wer davon profitiert. Die Befürworter der schottischen Unabhängigkeit, die immer wieder auch die britische Verteidigungspolitik als Argument für eine Spaltung nennen? Oder käme es im Fall eines Kriegseinsatzes zu einer Solidarisierung mit London, würde der nationale Zusammenhalt vielleicht gestärkt?

Wegen all dieser offenen Fragen bleibt Cameron im Moment seiner Linie treu: Unterstützung der Kurden im Irak mit Ausrüstung, notfalls auch Waffen. Alles Weitere müsse mit einer neuen irakischen Regierung und mit den Partnern in der Region besprochen werden, deutete der Premierminister in seiner Rede an.

Cameron sagte: "Wir müssen ISIL und das wofür es steht Schritt für Schritt zurückdrängen, enttarnen und schließlich zerstören. Das werden wir in ruhiger und entschlossener Weise tun." Dann fügte er hinzu: "Aber mit eiserner Entschlossenheit."

Linktipp:

Mit Material von dpa und AFP.

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