Süddeutsche Zeitung

Britische Botschaft als möglicher Spähposten:Über den Dächern von Berlin

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Jetzt werden auch die Briten verdächtigt, eine Abhörstation auf ihrer Botschaft unterhalten zu haben. Das Auswärtige Amt warnt zwar vor einem Bruch des Völkerrechts, doch Lauschangriffe unter Diplomaten haben eine lange Tradition. Schon zu Bonner Zeiten wurde wild gehorcht, ausspioniert und überwacht - nur nicht gegen alle.

Von Hans Leyendecker

Königin Elizabeth II. fuhr in einem silberfarbenen Rolls-Royce vor, ihr Mann Philip war an ihrer Seite. Viele Stunden lang hatten am 18. Juli 2000 an der Wilhelmstraße zu Berlin mehr als tausend Zaungäste gewartet, um für einen kurzen Augenblick die Königin zu sehen, die an diesem Tag die neue britische Botschaft einweihte. Das Haus sei "knallbunt, schräg und frech", meinte der Redner Joschka Fischer. Er pries den "geliebten britischen Hang zum ironischen Kontrapunkt". Die Queen lachte angemessen.

Die britische Botschaft, auf dem kurzen Abschnitt zwischen dem Boulevard Unter den Linden und der Behrenstraße gelegen, ist tatsächlich voller überraschender architektonischer Einfälle. Die größte Überraschung soll ein zylinderförmiges Bauwerk auf dem Dach sein, das so aussieht, wie Abhörstationen normalerweise aussehen. Es ist von der Straße aus nicht zu sehen.

Unter Berufung auf Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden, gestützt auf Luftaufnahmen, vertrauliche NSA-Papiere und die Fachkenntnis des britischen Geheimdienstexperten Duncan Campell, der sich mit Abhöreinrichtungen auskennt, meldete die Tageszeitung The Independent am Dienstag, auch der britische Geheimdienst GCHQ unterhalte mitten in Berlin einen Horchposten.

Das Auswärtige Amt reagierte prompt und bat den britischen Botschafter zum Gespräch. Ihm wurde mitgeteilt, dass das Abhören aus den Räumlichkeiten der Botschaft "ein völkerrechtswidriges Handeln wäre".

Berlin - die ewige Hauptstadt der Spione

Laut Independent reicht die übliche Ausrüstung, um Handygespräche zu belauschen, den Internetverkehr auszuspionieren und die Kommunikation in den Regierungsgebäuden einschließlich Kanzleramt zu überwachen. Vielleicht können sich die britischen Agenten mit ihren amerikanischen Kollegen austauschen, die gleich nebenan in der US-Botschaft, wie berichtet, auch eine Abhörstation unterhalten sollen. Die soll von einem Team aus NSA- und CIA-Mitarbeitern betrieben worden sein und auch das Handy der Kanzlerin abgehört haben.

Berlin sei "die ewige Hauptstadt der Spione" hat John le Carré mal zu Zeiten des Kalten Krieges gesagt. Schätzungsweise 45.000 Spione sollen in Berlin gearbeitet haben, die allermeisten natürlich in Ostberlin, wo das DDR-Ministerium für Staatssicherheit einen Staat im Staate installiert hatte. Knapp 800 NSA-Mitarbeiter kontrollierten in den Achtzigerjahren den Äther über Osteuropa.

Spione ernähren Spione - das ist bekannt, aber was ist mit der deutschen Spionageabwehr? Beim Bundesamt für Verfassungsschutz ist dafür die Abteilung 4 zuständig, die Aktionen fremder Nachrichtendienste in Deutschland erkennen und stoppen soll. Die Abteilung soll auch herausfinden, welche Arbeitsmethoden ausländische Dienste anwenden und welche Zielobjekte sie haben.

Bekannt ist, dass aus Botschaften spioniert wird. Im Verfassungsschutzbericht 2012 wird vor der Informationsbeschaffung durch Botschaften oder Konsulate gewarnt. So wissen die Verfassungsschützer genau, was die Nordkoreaner in Berlin so treiben, sie ahnen, was die Syrer wollen, und für die Russen, Chinesen, Iraner haben sie sich immer schon interessiert. Das ist - aus Sicht der Abwehrleute - sinnvoll.

Als die Iraner beispielsweise ihre diplomatische Vertretung noch in der Godesberger Allee zu Bonn hatten, schilderten die von der Abteilung 4 in einem dicken Bericht an die Bundesregierung, wie Teheran seine Botschaft zu einem Stützpunkt der Spione ausgebaut hatte. Rundum wurde das sechsgeschossige Gebäude im Regierungsviertel überwacht und abgehört. Die deutschen Agenten wussten, wo die Einsatzzentrale der Iraner war (dritte Etage) und wo sich der Funkraum für die vielen iranischen Agenten befand.

Als in Bonner Zeiten der Verfassungsschutz aber mal die Idee hatte, wegen eines amerikanischen Agenten auch sein Telefon in der US-Botschaft abzuhören, wurde die Aktion von ganz oben unterbunden. So ist es geblieben. Die Amerikaner und die Briten, so beteuern deutsche Nachrichtendienstler, seien alliierte Partner, mit denen man vertrauensvoll zusammenarbeite.

Ob jeder der Verfassungsschützer so arglos war, den NSA-Kollegen oder dem GCHQ-Agenten zu vertrauen, ist unklar, fest steht: Es passierte nichts, was der Aufklärung hätte dienen können. Natürlich können heute die Geheimdienstler erklären, das sei politisch verordnet gewesen. Andererseits stützen sich politische Vorgaben zum Teil auch auf Beobachtungen der Dienste.

Seit Snowdens Enthüllungen machen die deutschen Dienste Ungeheuerliches: eine "Sonderauswertung" mit dem Titel "Technische Aufklärung durch US-amerikanische, britische und französische Nachrichtendienste in Deutschland". Herausgekommen ist bislang - nichts, außer Geschichtskenntnissen. Nach Feststellungen der deutschen Dienste hat der GCHQ-Vorgänger "Government Code und Cypher School" 1939 damit begonnen, in Botschaften Horchposten einzurichten. Da war die Queen gerade mal 13 Jahre alt.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2013
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