Britische Beteiligung an Militäreinsatz in Syrien:Premier außer Kontrolle

Military intervention in Syria expected

Demonstranten protestieren vor dem britischen Parlament gegen eine Militärintervention in Syrien

(Foto: dpa)

Das Irak-Abenteuer ist nicht vergessen: Der britische Premier Cameron hat größte Mühe, die Nation für eine militärische Intervention in Syrien zu begeistern, auch die Opposition im Parlament spielt nicht mit. Die Debatte zeigt: Cameron ist die Kontrolle über die Außenpolitik entglitten.

Von Christian Zaschke, London

Ein paar Dutzend Demonstranten hatten sich am Donnerstag in Westminster versammelt, um gegen ein militärisches Eingreifen Großbritanniens in Syrien zu protestieren. Sie wirkten ein wenig verloren, und damit man sie im Trubel der Hauptstadt überhaupt wahrnahm, verbreiteten sie ihre Friedensbotschaft mittels eines Megafons.

Ihre Präsenz ergab insofern Sinn, als das britische Parlament am Donnerstag zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengetreten ist, um über die Lage in Syrien zu debattieren. Die Abgeordneten haben jedoch nicht wie ursprünglich geplant über einen konkreten Militärschlag gegen die syrische Regierung gesprochen, sondern über einen allgemeiner gehaltenen Antrag von Premierminister David Cameron. Nach Ansicht politischer Beobachter zeigte die Debatte vor allem, dass Cameron die Kontrolle über die Außenpolitik einstweilen entglitten ist.

"Nicht untätig zusehen"

Der Premier hatte das Parlament mit der Absicht zusammengerufen, eine Mehrheit und damit ein Mandat für ein rasches militärisches Eingreifen in Syrien zu erhalten. Seine Rhetorik war in den vergangenen Tagen zunehmend schärfer geworden. Man werde "nicht untätig zusehen", sagte er, nachdem in Syrien in der vergangenen Woche mehrere hundert Menschen offenbar an den Folgen des Einsatzes von Giftgas gestorben sind. Ed Miliband, Chef der oppositionellen Labour-Partei, hat allerdings dafür gesorgt, dass Cameron einstweilen genau das bleibt: untätig.

Der Labour-Chef hatte zunächst den Eindruck erweckt, seine Partei würde einem militärischen Eingriff zustimmen und Cameron unterstützen. Am Mittwochabend forderte er jedoch, zunächst den Bericht der UN-Waffeninspektoren abzuwarten, die derzeit in Syrien nach Beweisen für den Einsatz von Giftgas suchen. Erst wenn dieser vorliege, solle endgültig über einen Militäreinsatz abgestimmt werden.

Cameron lehnte das zunächst strikt ab. Im Laufe des Mittwochabends änderte er jedoch seine Meinung, er kam Miliband entgegen und legte eine veränderte Beschlussvorlage vor, über die am Donnerstag bis in die Nacht debattiert werden sollte. Die neue Vorlage sah vor, dass das Parlament die Giftgasangriffe verurteilt und einem militärischen Eingreifen lediglich prinzipiell zustimmt. Über einen konkreten Einsatz sollte gesondert abgestimmt werden.

Parlament kommt nächste Woche wieder zusammen

Diesen Kompromiss musste Cameron eingehen, weil auch in seiner eigenen Partei bis zu 80 Abgeordnete einem Militärschlag skeptisch gegenüberstehen oder zumindest den Bericht der Waffeninspektoren abwarten wollen. Ursprünglich, hieß es in London, habe Cameron gemeinsam mit den USA bereits in dieser Woche in Syrien eingreifen wollen. Von diesem Plan musste er abrücken. Das Parlament wird frühestens Anfang kommender Woche wieder über Syrien debattieren.

Miliband nutzte die Situation, um Cameron noch weiter unter Druck zu setzen. Am Donnerstag sagte er, seine Partei werde einem Militärschlag erst zustimmen, wenn es "zwingende Beweise" dafür gebe, dass die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad hinter dem Einsatz von Giftgas stehe. Es gilt als überaus fraglich, ob es möglich ist, zweifelsfrei zu beweisen, dass Assad für die Giftgasangriffe verantwortlich ist. Möglich ist also, dass die Labour-Partei mit Hilfe einiger konservativer und liberaldemokratischer Abgeordneter eine britische Beteiligung an einem militärischen Eingreifen in Syrien auch in der kommenden Woche generell verhindert.

"Ich bin dazu entschlossen, aus der Vergangenheit zu lernen"

Miliband sagte: "Ich bin dazu entschlossen, aus der Vergangenheit zu lernen, und das schließt den Irak ein." Damit bezieht er sich auf den Beginn des Irak-Kriegs im Jahr 2003, als der damalige Labour-Chef und Premierminister Tony Blair den britischen Einsatz mit dem Hinweis auf die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak rechtfertigte, die jedoch nie gefunden wurden. Indem Miliband versucht, ein rasches Eingreifen zu verhindern, will er offenbar auch aus dem Schatten Blairs treten. Der bekam damals den Spitznamen "Bushs Pudel" verpasst, weil er den Amerikanern, wie es hieß, brav und widerspruchslos in den Krieg gefolgt sei.

Giftgaseinsatz "hochwahrscheinlich"

Cameron versuchte, die Initiative zurückzugewinnen, indem er am Donnerstag Erkenntnisse des Joint Intelligence Committee veröffentlichen ließ, des Geheimdienstkomitees. Demzufolge sei man sicher, dass es einen Giftgasangriff gegeben habe, und es sei "hochwahrscheinlich", dass die Assad-Regierung dafür verantwortlich sei. Ein Cameron-Sprecher sagte, das Komitee habe Hinweise darauf gefunden, dass "keine oppositionelle Gruppe in der Lage dazu ist, einen Chemiewaffenangriff in dieser Größenordnung auszuführen". Es sei überdies wahrscheinlich, dass die syrische Regierung erneut Giftgas einsetzen werde, wenn keine Sanktionen erfolgten.

Britain's Prime Minister David Cameron is seen addressing the House of Commons in this still image taken from video in London

David Cameron bei der Syrien-Debatte im britischen Unterhaus

(Foto: Reuters)

Zudem hat die Regierung ihre Rechtsauffassung klar gemacht: Selbst wenn der Einsatz des Militärs nicht einstimmig vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet würde, wäre es "Großbritannien erlaubt, unter internationalem Recht außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen, um die humanitäre Katastrophe in Syrien zu lindern".

Die Opposition zeigte sich davon nicht beeindruckt. Labour kündigte an, gegen den von Cameron ins Parlament eingebrachten Antrag zu stimmen - also dem Einsatz des Militärs in Syrien zunächst nicht einmal prinzipiell zuzustimmen. Damit vertritt die Partei laut jüngsten Umfragen die Meinung der Mehrheit der Briten. Eine von der konservativen Zeitung The Times in Auftrag gegebene Umfrage ergab am Donnerstag, dass mehr als die Hälfte der Briten gegen eine militärische Intervention sind. Ausdrücklich für ein Eingreifen sprachen sich nur 22 Prozent aus.

Cameron argumentierte am Donnerstag im Parlament, dass die Öffentlichkeit vor allem deshalb so skeptisch sei, weil der ehemalige Premier Tony Blair den Krieg im Irak mit Lügen gerechtfertigt habe. Diesmal lägen die Dinge anders: Es gebe eine klare Beweislage, und es gehe nicht um einen Krieg, sondern darum, den Einsatz von Chemiewaffen mit einem gezielten, limitierten Militärschlag zu ahnden.

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