Briefwechsel:Brandt und Schmidt: "Ich möchte im Frieden mit Dir leben"

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Einander oft nah, aber nicht immer zugetan: Parteivorsitzender Willi Brandt und Bundeskanzler Helmut Schmidt auf dem Parteitag der SPD in der Münchner Olympiahalle 1982. (Foto: Heike Riemer)
  • Ein neues Buch veröffentlicht den gesamten Briefwechsel von Willy Brandt und Helmut Schmidt zwischen 1958 und Brandts Tod im Jahr 1992.
  • Beide hatten häufig völlig konträre politische Auffassungen, die sie sich auch in ihren Briefen immer wieder mitteilten.
  • Dennoch sind die Briefe häufig freundlicher, als es das Verhältnis der beiden vermuten ließe.

Von Ralf Husemann

Die Wirtschaft schwächelte, die Arbeitslosigkeit stieg rasant, in Deutschland sollten neue Atomraketen stationiert werden, und die SPD war heillos zerstritten. Themen genug also für einen Parteitag. Der fand im April 1982 in München statt, weniger als ein halbes Jahr vor dem Ende der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt. Aber entgegen allen Unkenrufen raufte sich die SPD noch einmal zusammen, beschloss ein großes Beschäftigungsprogramm sowie Steuererhöhungen und wehrte sich nicht einmal gegen den in der Partei heftig diskutierten "Nato-Doppelbeschluss", der sowohl die Aufstellung amerikanischer Pershing-II-Raketen als auch Abrüstungsgespräche vorsah.

Und Schmidt gab sich sehr kämpferisch: Es gehe jetzt darum, "das Staatsschiff nicht in sehr hartem Wetter einem anderen Kommando zu überantworten", sprich den Unionsparteien. Zugleich nahm der Kanzler aber auch die Chance wahr, etwas Grundsätzliches zu sagen. Deutschland, so klärte er die Delegierten auf, habe mehr Nachbarländer als jeder andere Staat der Welt.

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Das stimmte zwar nicht, hinderte aber Schmidt nicht daran, alle angrenzenden Staaten aufzuzählen: "Da haben wir im Norden unsere dänischen Freunde ...", so ging das weiter einmal rundherum bis zum Nachbarn Nummer neun, den Niederlanden. Die Delegierten, manche eigentlich auf Krawall gebürstet, ließen sich die ausführliche Belehrung artig gefallen und spendeten sogar Beifall.

So kannte man Helmut Schmidt: Vor Selbstbewusstsein strotzend, andere gerne belehrend, immer schneidig und mit der Gabe, auch relativ banale Dinge so gewichtig vorzutragen, dass das Publikum staunte. Dass dieses Klischee nicht nur ein Klischee, sondern auch zutreffend ist, kann man jetzt auch einem dicken Wälzer entnehmen, der den - soweit noch greifbar - gesamten Briefwechsel von Willy Brandt und Helmut Schmidt zwischen 1958 und Brandts Tod im Jahr 1992 zum ersten Mal ungekürzt veröffentlicht. "Partner und Rivalen" ist das mehr als ein Kilo schwere Konvolut überschrieben.

Auch das zu Recht, denn dass die beiden nicht nur von ihrem Charakter her, sondern auch in ihren politischen Auffassungen oft völlig konträr waren und sich das auch immer wieder deutlich, mündlich wie schriftlich, mitteilten, ist bekannt.

Und dann doch so ein Satz: "Du wirst in die deutsche Geschichte eingehen; mein Teil wird - wie ich hoffe: hilfreiche - Episode sein." Der so von Schmidt derart überschwänglich gerühmte Mann war ausgerechnet sein Amtsvorgänger und SPD-Vorsitzende Willy Brandt. Ja, so bescheiden, fast demütig konnte Helmut Schmidt auch sein, oder sich zumindest so geben.

Schon dem Außenminister Brandt hatte Schmidt versichert, er möge zu keiner Zeit vergessen, "dass Du über den Sozialdemokraten nicht nur, sondern ebenso über den Mann H. S. verfügen kannst, wenn je Du ihn solltest brauchen können". Und als der mindestens so eitle Karl Schiller, sogenannter Superminister für Wirtschaft und Finanzen, den damaligen Verteidigungsminister Schmidt in einer SPD-Runde höhnisch vorführte, er kenne sich ja in seinem eigenen Etat nicht aus, antwortete Schmidt (diesmal gar nicht "Schnauze", sondern fast kleinlaut): "Es kann ja nicht jeder Professor sein."

Die SPD-Politiker (von li. nach re.) Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner. Brandt sah sich fast pausenlos von Schmidt kontrolliert und bewertet. (Foto: picture-alliance/ dpa)

An diesem Briefwechsel wird deutlich, dass die üblichen Charakterzuschreibungen nur Facetten der beiden großen deutschen Politiker sind. So konnte Schmidt auch durchaus zögerlich und nicht selten resigniert sein, und Brandt, angeblich immer harmoniesüchtig und unentschlossen, zeigte nicht selten überraschende Härte.

Nachdem Schmidt mal wieder an Brandts "diskursivem und integrierendem" Regierungsstil herumgekrittelt hatte, schlug der zurück. In einem Vortrag widmete er sich den "Pragmatikern", die keine Werte hätten und nur auf Wählerstimmen aus seien.

Schmidt fühlte sich prompt angesprochen, schimpfte auf die "abqualifizierende Oblate" Pragmatismus und sagte, er "würde es als verletzend empfinden, in eine Kategorie von bloßen Machern eingestuft zu werden, welche die Tagesprobleme lösen, ohne von sittlichen und politischen Zielen etwas zu wissen".

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Brandt sah sich fast pausenlos von Schmidt kontrolliert und bewertet. Er ließ sich allerdings selten beirren, gelegentlich reichte es ihm aber auch. Bedankte er sich noch höflich für das tückische Geschenk einer Wolldecke (damit er "nie in die Verlegenheit komme, kalte Füße zu bekommen"), fügte er unwillig hinzu: "Dein gutgemeinter, freundschaftlicher Rat, ich solle deutlicher sagen, wo die Reise lang geht, hilft auch nicht viel weiter."

Noch unmissverständlicher wurde Brandt kurz nach der Abwahl Helmut Schmidts: "In Wirklichkeit musst Du selbst wissen, dass Du ohne mich kaum länger, sondern wohl eher kürzer und vielleicht mit weniger Erfolg im Amt gewesen wärst." Davon wollte Schmidt wiederum nichts wissen, noch Jahrzehnte später bedauerte er, dass er als Kanzler nicht auch gleich den Parteivorsitz übernommen hatte.

Schmidt hielt sich stets für den besseren Kanzler, er konnte sogar, wenn auch nie in einem der Briefe, ausfallend sein. Ausgerechnet im Jahr der Bundestagswahl 1969, in dem die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit der Weimarer Republik mit Brandt wieder den Regierungschef stellen konnten, hatte Schmidt auf einer Konferenz in Kopenhagen gnadenlos mit Brandt abgerechnet: "Dieser Scheißdemokrat Brandt, der immer erst andere fragen muss, bevor er sich entscheidet." Schmidt dementierte zwar, aber da ein Konferenzteilnehmer betonte, er könne das Zitat beeiden, konnte man davon ausgehen, dass diese Worte so oder so ähnlich gefallen waren.

Das Verhältnis war nach 1982 nicht mehr zu kitten - aber man arrangierte sich

Dieser Briefwechsel, so aufschlussreich er ist, kann natürlich kein Geschichtsbuch ersetzen. Ausgerechnet zu den ganz großen Ereignissen - Nahostkriege, Olympia-Attentat, RAF-Terroranschläge, Brandt-Rücktritt, Bundestagswahlen, Mauerfall - findet sich in den 717 Briefen wenig oder nichts. Was nicht verwunderlich ist, da die beiden Politiker ja, gerade bei solchen Ereignissen, ständig im unmittelbaren oder telefonischen Kontakt standen.

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Aber es wird deutlich, wie wichtig sich Brandt und Schmidt ungeachtet aller Differenzen waren. Sie sprachen sich vor wichtigen Kabinettsentscheidungen, Konferenzen oder Parteitagen ständig miteinander ab, schickten sich Redemanuskripte, ließen sich dabei meistens auch korrigieren und versicherten sich immer wieder ihrer "Freundschaft", wie glaubwürdig auch immer das sein mag.

Der Anspruch, "alle" Schreiben abzudrucken, erleichtert die Lektüre nicht unbedingt, bloße Terminhinweise, förmliche Geburtstagsgrüße, Einladungen und Danksagungen wären entbehrlich gewesen. Sehr erfrischend sind fast immer die Anmerkungen von Herausgeber Meik Woyke (Jahrgang 1972), der als Referatsleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet. Woyke nimmt sich dabei auch nicht immer "wissenschaftlich" zurück. So wenn er sich etwa über Karl Schillers "Primadonnen-Gehabe" mokiert und ihn "ebenso dominant wie egozentrisch" nennt.

Das Verhältnis Brandt-Schmidt war, vor allem nach dem Ende der Kanzlerschaft Schmidts, nie mehr zu kitten, aber sie arrangierten sich damit. Brandt brachte es auf den Punkt: "Bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als uns auf das angelsächsische 'agree to disagree' zu verständigen." Und Schmidt, etwas resigniert: "Ich möchte im Frieden mit Dir leben."

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Willy Brandt/Helmut Schmidt, Partner und Rivalen. Der Briefwechsel (1958-1992). Herausgegeben und eingeleitet von Meik Woyke. Verlag J.H.W. Dietz 2015. 1104 Seiten, 39,90 Euro.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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