Süddeutsche Zeitung

Brexit:"Wo bleibt das Geben für all das Nehmen?"

  • In Straßburg wird der Nachfolger von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gewählt.
  • Mit Interesse verfolgen die Europapolitiker aber auch die Rede der britischen Premierministerin May zum Brexit.
  • Es gibt viele kritische Stimmen.

Von Daniel Brössler

Theresa May hat die Europäer mit ihrer Rede nicht erfreut, aber auch nicht überrascht. "Der Inhalt der Rede war genau so zu erwarten gewesen", sagt der CDU-Europaabgeordnete David McAllister, der sich in Straßburg zwischen zwei Wahlgängen die Ansprache im Fernsehen angeschaut hat. Zum einen habe sich eine harte Haltung seit dem Parteitag der britischen Konservativen im Oktober abgezeichnet. Zum anderen habe die Einigkeit der EU-Staaten Wirkung gezeigt. May habe einsehen müssen, dass ein Verbleib im Binnenmarkt ohne die Grundfreiheiten, also auch die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, nicht zu haben sein wird.

"Ein trauriger Prozess, surreale Zeiten, aber immerhin eine realistischere Ankündigung zum Brexit", twittert EU-Ratspräsident Donald Tusk in einer ersten Reaktion. Nichts geändert hat sich durch die Rede aber am Mantra praktisch aller in der EU: Erst wenn Großbritannien nach Artikel 50 des EU-Vertrages seine Austrittserklärung abgibt, beginnen die auf zwei Jahre terminierten Verhandlungen. "Wir werden erst reagieren, wenn der Prozess nach Artikel 50 formell eingeleitet worden ist", wiegelt denn auch der Sprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Fragen nach Mays Rede ab. Juncker habe die Rede wegen der wöchentlichen Sitzung der Kommission zwar nicht live im Fernsehen verfolgt, sich aber "mit Interesse" über den Inhalt unterrichten lassen. Kein Wort der Zustimmung, aber eben auch keines der Kritik.

Die gibt es im EU-Parlament allerdings durchaus. Der Brexit-Beauftragter Guy Verhofstadt warnt vor "Illusionen, dass man den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen und alle Vorteile behalten" könne. "Nicht sehr hilfreich" seien auch Drohungen mit niedrigeren Unternehmensteuern. "Der harte Brexit, den Theresa May propagiert, ist voller Widersprüche und Fallstricke", sagt auch der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen. "Den weitestgehenden Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu fordern, aber völlig frei von EU-Regeln und Standards sein zu wollen, ist die Quadratur des Kreises", betont Leinen. Phillipe Lamberts, Ko-Vorsitzender der Grünen-Fraktion, spricht von einem "Schlag ins Gesicht alle jener, die das neue Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU in einer Weise gestalten wollen, die nicht nur wirtschaftliche Zusammenarbeit erhält, sondern auch viele andere positive Elemente der europäischen Einigung im Sozial-, Umwelt- und Rechtsbereich". Zu befürchten seien "schmerzhafte Konsequenzen" für die Briten, die unter einer zu erwartenden Niedrigsteuer-Politik zu leiden hätten.

"Keiner kann Interesse an einem blutigen Brexit haben"

Aus Sicht von McAllister, der auch über einen britischen Pass verfügt, sind Mays Andeutungen, ihr Land könnte in einen Steuerwettbewerb mit der EU treten, allerdings eher taktisch zu sehen. Es handele sich um Drohgebärden vor Verhandlungsbeginn. "Keiner kann Interesse an einem blutigen Brexit haben", sagt er. Auch McAllister plädiert dafür, sich auf keinerlei Vorverhandlungen einzulassen. Überdies müssten die EU-Staaten einig bleiben und die drei Institutionen Rat, Kommission und Parlament sich eng abstimmen.

Am schwierigsten würden die Verhandlungen über eine Übergangsregelung, sagt McAllisters Fraktionskollege Elmar Brok voraus. "Es kann keinen vollen Zugang zum Binnenmarkt ohne Einhaltung aller Regeln geben", warnt er. Und Tschechiens Europa-Staatssekretär Tomáš Prouza fragt nach Mays Rede auf Twitter: "Wo bleibt das Geben für all das Nehmen?"

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SZ vom 18.01.2017/mane
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