Brexit:Wie Schottland doch noch in der EU bleiben könnte

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"Nicola sagt Ja": Werbeartikel am Stand der Scottish National Party, der Partei der Ersten Ministerin Schottlands Nicola Sturgeon. Sie will ein erneutes Austrittsreferendum Schottlands aus dem Vereinigten Königreich herbeiführen. (Foto: AFP)

Die Mehrheit der Schotten möchte in der EU bleiben - oder wenigstens Teil des europäischen Wirtschaftsraums. Aber kann das trotz Brexit funktionieren?

Von Markus C. Schulte von Drach und Simon Conrad

Die Regierung in Edinburgh will genau wie die Mehrheit der Schotten, dass das Land in der Europäischen Union bleibt. Aber mit der Entscheidung der Mehrheit der Briten, die EU zu verlassen, ist eine komplizierte Situation entstanden: Denn die Schotten sind Briten und müssten als solche am Brexit teilnehmen.

Darum ist die Frage der schottischen Unabhängigkeit von London nun wieder ein Thema. Dabei war erst 2014 ein entsprechendes Referendum gescheitert.

Heute soll das Parlament in Edinburgh entscheiden, ob es eine neue Volksabstimmung will. Doch die Regierung in London hat bereits signalisiert, dass sie ein Referendum vor dem Brexit nicht wünscht. So sagte Premierministerin Theresa May, es wäre jetzt Zeit, gemeinsam zu handeln, nicht getrennt. Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottlands, sagte dagegen nach dem jüngsten Treffen mit May der BBC, sie sei "frustriert", dass ihr offenbar nicht zugehört würde.

Die Loslösung Schottlands von Vereinigten Königreich ist nicht der einzige Weg, auf dem das Land versuchen kann, die Folgen des Brexit zu minimieren. Die Unabhängigkeit ist eines von mehreren möglichen Szenarien:

Sonderabkommen mit der EU

Der schottischen Regierung geht es vor allem darum, in der Zollunion und im EU-Binnenmark zu bleiben, da dieser der wichtigste internationale Exportmarkt für das Land ist. Außerdem wollen die Schotten weiter teilhaben an den EU-Maßnahmen gegen Terror und Klimawandel. London will aber unbedingt aus dem Binnenmarkt und der Zollunion austreten.

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Edinburgh hat deshalb vorgeschlagen, dass Schottland Teil Großbritanniens bleiben könnte, aber mit dem Recht, Sonderabkommen mit der EU zu schließen sowie Mitglied der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und so Teil des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) zu bleiben. Auch über eine assoziierte EU-Mitgliedschaft Schottlands wird nachgedacht.

Theoretisch ist das alles denkbar. Sogar Teile eines Staates können eine eingeschränkte Völkerrechtssubjektivität haben und völkerrechtliche Verträge abschließen. Das haben die Dänen 1985 gezeigt. Das autonome Grönland war damals aus der EWG, der Vorläuferorganisation der EU, ausgetreten, aber Teil des dänischen Königreichs geblieben. Dänemark selbst hat die EWG und die EU dagegen nicht verlassen.

Für Schottland ist die Situation jedoch anders. Das Land hat weder die außenpolitischen Befugnisse, noch die notwendigen Autonomierechte, um die EU-Gesetze für den Binnenmarkt zu übernehmen. Um das zu ändern, wäre eine Föderalismusreform in Großbritannien notwendig. Das House of Commons in London müsste zulassen, dass der "Scotland Act 1998" entsprechend ausgeweitet wird.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung in London den Schotten so weit entgegenkommen wird, gilt als gering. Schließlich könnte dies zum Beispiel zu Grenzkontrollen zwischen England und Schottland führen, es droht die Einführung von Zöllen. Und Norwegen, selbst kein EU-Mitglied, aber Teil des EWR, hat schon darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht nur ein unabhängiges Schottland ebenfalls Teil werden könne.

Der formale Weg zum Unabhängigkeitsreferendum beginnt mit der heutigen Abstimmung im schottischen Parlament. Setzen sich die Unabhängigkeitsbefürworter heute durch, dann wird die Regierung in Edinburgh beauftragt, beim britischen Parlament in London die Erlaubnis für ein weiteres Referendum einzuholen. Diese Ermächtigung müsste dann nach Absatz 30 des "Scotland Act 1998" erfolgen: Auf Grundlage dieses Gesetzes kann das Vereinigte Königreich seine alleinige Befugnis, Referenden abzuhalten, temporär auf das schottische Parlament übertragen.

Der Ermächtigung müssen allerdings neben dem britischen Unterhaus auch das Oberhaus zustimmen, ebenso der Privy Council, ein königliches Beratungsgremium aus führenden Politikern und Bischöfen.

Sind alle einverstanden, wird die weitere Gestaltung des Referendums dem schottischen Parlament überlassen. Schottische Abgeordnete arbeiten dann ein Gesetz aus, das die Formalitäten des Referendums festlegt: Dazu gehören die Frage, über die abgestimmt werden soll, der Zeitplan und das Stimmrecht, das unter anderem das Mindestalter der Wahlberechtigten festlegt.

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Das britische Oberhaus hat den Weg für den EU-Austritt Großbritanniens freigemacht. Sobald Theresa Mays Antrag in Brüssel eintrifft, muss sich die Rest-EU auf ihre Verhandlungslinie einigen. Erschwert werden May die Verhandlungen durch ein mögliches neues Unabhängigkeitsreferendum Schottlands.

Stimmt das schottische Parlament zu, kann die Regierung das Gesetz zur Überprüfung an die Wahlkommission des Landes übergeben. Diese kann Verbesserungsvorschläge einbringen, die allerdings nicht bindend sind.

Bis die Schotten Wahlurnen aufstellen können, um erneut über die Unabhängigkeit ihres Landes abzustimmen, müssen also noch einige Hürden überwunden werden. Es wird erwartet, dass das schottische Parlament zustimmt. Doch das größe Hindernis ist die ebenfalls notwendige Zustimmung aus London.

Die Bereitschaft dazu ist gegenwärtig offenbar nicht vorhanden. Premierministerin Theresa May hat sich wiederholt gegen ein Referendum ausgesprochen. Sie will zuerst den Brexit über die Bühne bringen - gemeinsam mit den Schotten. Für die Zeit danach hat sie ein Unabhängigkeitsreferendum zumindest nicht ausgeschlossen. Gerade wenn Großbritannien nach dem Brexit eine neue Rolle in der Welt übernehmen werde, sei eine stabile Union wichtig, sagte sie der BBC.

Wäre ein unabhängiges Schottland EU-Mitglied?

Es gibt in den EU-Verträgen keine Regelungen für den Umgang mit einem Staat, der sich von einem (ehemaligen) EU-Mitglied abtrennt und unabhängig macht. Experten gehen davon aus, dass Schottland in diesem Fall gemäß Artikel 49 EUV der Europäischen Union einfach neu beitreten müsste.

So hatte 2012 der damalige Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso erklärt: "Ein neuer Staat, der Mitglied der EU werden möchte, muss dies wie jeder andere Staat beantragen." Andere Verträge fänden auf diesem Gebiet keine weitere Anwendung. Und 2014 informierte die EU die katalanische Regierung in Barcelona, sollte sich die Region unabhängig machen, müsste sie neue Beitrittsverhandlungen führen.

Allerdings gilt es als möglich, dass das Verfahren im Falle Schottlands deutlich schneller als üblich ablaufen könnte - niemand zweifelt ernsthaft daran, dass das Land, das bisher schon voll integrierter Teil der EU war, die Kriterien für eine Mitgliedschaft erfüllt.

Die Schotten selbst hoffen, ohne Unterbrechung im Binnenmarkt bleiben zu können - erst einmal wie Norwegen, das auch kein EU-Mitglied ist. Dann soll möglichst bald die volle EU-Mitgliedschaft (wieder-) hergestellt werden.

Aus der Sicht der EU ist es allerdings auch problematisch, wenn Schottland sich von Großbritannien unabhängig macht, um Mitglied zu werden. Insbesondere Spanien fürchtet, dass die Separatisten in Katalonien oder im Baskenland sich dadurch bestärkt fühlen würden. Madrid dürfte deshalb kaum Interesse haben an einer Unabhängigkeit Schottlands oder einer raschen EU-Mitgliedschaft des Landes. Im Gegenteil: Ein Schottland mit wirtschaftlichen Problemen könnte den Wunsch der Katalanen nach eigener Unabhängigkeit dämpfen.

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