Brexit:Wie Cameron mit der Zukunft Europas zockt

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David Cameron in der Downing Street in London. (Foto: Stefan Wermuth / Reuters)

Die gesamte Debatte über den Brexit hat vor allem mit dem politischen Ehrgeiz des britischen Premiers zu tun.

Kommentar von Christian Zaschke

David Cameron ist ein Spieler, ein erfolgreicher dazu. Das liegt nicht unbedingt an seinem strategischen Geschick, sondern daran, dass er gelernt hat, sich auf sein Glück verlassen zu können. Wäre der britische Premierminister ein Pokerspieler, könnte er sich sicher sein, dass er stets mit der letzten Karte das siegreiche Blatt komplettiert. Entsprechend gelassen führt Cameron derzeit die Verhandlungen über eine Reform des Verhältnisses zur EU. Er geht davon aus: Das wird schon. Es hat ja bisher am Ende noch immer alles geklappt in seiner politischen Laufbahn.

Mitte Februar soll auf dem EU-Gipfel eine Übereinkunft gefunden werden, auf deren Grundlage Cameron die Briten voraussichtlich im Juni über Großbritanniens EU-Mitgliedschaft abstimmen lässt. Bis dahin wird das Ringen um den Wortlaut Teil des politischen Theaters sein, und auch auf dem Gipfel selbst wird eine Einigung wohl erst nach langen Verhandlungen tief in der Nacht gefunden werden. Das alles ist Teil der Dramaturgie. Cameron soll gestärkt auf die Insel zurückkehren, als Sieger, der hart gekämpft hat - und sich dann an die Spitze der Kampagne für einen Verbleib in der EU stellt.

Cameron hatte aus seiner Sicht keine andere Wahl

Das ist einerseits eine bisweilen unterhaltsame Inszenierung, es ist anderseits aber auch ein gefährliches Spiel. Denn was, wenn sich einige EU-Staaten aus Trotz oder Prinzip nicht an das Drehbuch halten und Cameron mit leeren Händen zurückkehrt? Oder wenn eine Mehrheit der Briten sich von der Aufführung nicht beeindrucken lässt und für den Austritt votiert? Beides ist unwahrscheinlich, aber möglich. Der Spieler Cameron hatte aus seiner Sicht jedoch keine andere Wahl, als sich auf das Wagnis einzulassen.

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Ist ein Ausscheiden der Briten aus der EU noch zu vermeiden? Zumindest in einem entscheidenden Punkt haben London und Brüssel sich jetzt geeinigt, sagt der britische Premier.

Als Cameron sich vor gut zehn Jahren um den Parteivorsitz der Konservativen bewarb, sagte er, die Partei müsse aufhören, fortwährend über Europa zu reden. In den Neunzigerjahren waren die Tories in dieser Frage so zerstritten, dass die Wähler sich abwandten. Um sich bei den Europaskeptikern seiner Partei anzudienen, warb Cameron mit dem Versprechen, aus der EVP im Europaparlament auszutreten, dem Verbund der gemäßigt konservativen Parteien. Außenpolitisch war das eine fragwürdige Entscheidung, parteipolitisch war sie jedoch erfolgreich: David Cameron wurde an die Spitze der Tories gewählt.

Persönlich hat Cameron nicht das geringste Interesse an einem Brexit

Selbstverständlich gaben die Europaskeptiker trotzdem keine Ruhe. Zudem drohte die EU-feindliche Ukip zu einer echten Gefahr für die Tories zu werden. Also versprach Cameron Anfang 2013 das EU-Referendum, vor allem, um sich ein wenig Luft zu verschaffen. Persönlich hat er nicht das geringste Interesse an einem EU-Austritt, er spielt dieses Spiel nur, weil er glaubt, dass er sonst wie der vormalige Premierminister John Major von der eigenen Partei zerrieben wird.

Warum tun die anderen Mitgliedsstaaten sich das an? Warum nehmen sie hin, dass die Zukunft der Union mit den Ambitionen eines einzelnen Politikers verknüpft wird? Abgesehen davon, dass Großbritannien für die EU vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht zu ersetzen ist, machen die übrigen Staaten das Theater mit, weil sie kaum eine andere Wahl haben.

Die aktuelle Schwäche der EU ist ein Glücksfall für Cameron

Aus Camerons Sicht könnte es keinen besseren Zeitpunkt für die Verhandlungen geben, da die EU es sich inmitten von Euro- und Flüchtlingskrise nicht leisten kann, Großbritannien zu verlieren. Das würde das gesamte Gefüge nicht nur erschüttern, sondern womöglich gefährden, mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität Europas. Also werden die anderen Staaten zwar nicht alles, so aber doch sehr viel dafür tun, dass Cameron bekommt, was er braucht. Für Cameron ist die aktuelle Schwäche der EU also ein weiterer von vielen Glücksfällen seiner Laufbahn.

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Wenn die Europafreunde auf der Insel auftreten, argumentieren sie meist, dass es für das Land essenziell sei, Teil des Binnenmarktes zu bleiben, dass ein Austritt ein Schritt ins Ungewisse wäre. Der vielleicht wichtigste Punkt der gesamten Debatte kommt hingegen bisher nicht zur Sprache: Großbritannien hat das Recht, auf den eigenen Vorteil zu schauen, es hat aber auch eine große Verantwortung für Europa. Den Kontinent durch einen Austritt zu destabilisieren wäre in einer Weise egoistisch, die zwar zur jüngeren Außenpolitik der Tories, nicht aber zu den politischen Traditionen des Landes passt. Es wäre zudem strategisch unklug, denn von einem instabilen Kontinent wären auch die Briten betroffen.

Womöglich äußert David Cameron solche grundsätzlichen Gedanken nicht öffentlich, um seine Verhandlungsposition nicht zu schwächen. Zu hoffen wäre, dass er seine historische Verantwortung bei aller Freude am Zocken dennoch kennt.

© SZ vom 02.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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