Brexit:Brexit - Was im Fall der Fälle passiert

Brexit: Brexit, oder kein Brexit. Das ist die Frage.

Brexit, oder kein Brexit. Das ist die Frage.

(Foto: AFP)

Welche Folgen hat ein Brexit? Werden Guinness teurer und britische Gurken krummer? Und wird Frankfurt dann das neue London? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer

Ein Brexit hätte ernste Folgen - auch solche, über die sich vor allem die britischen Gurkenbauern freuen würden. Von Guinness über TTIP bis Schwarzer Freitag: Was passiert genau, wenn die Briten der EU den Rücken zuwenden?

1. Droht Panik an den Börsen?

Der Tag nach dem Referendum ist ein Freitag. In der Geschichte gab es schon viele Kursstürze am letzten Arbeitstag der Woche, sie blieben jeweils als "Schwarzer Freitag" in Erinnerung. Um das zu verhindern, hat die Bank of England einen Notfallplan entwickelt. Die Notenbank steht bereit, mit viel Geld gegenzusteuern. Denn die Frage ist: Wie stark stürzt der Kurs des Britischen Pfunds ab? Wie reagiert der Euro? Und was ist mit den Aktien britischer Firmen? Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die großen Banken in der Euro-Zone aufgefordert, Notfallszenarien durchzuspielen.

2. Wie führt der Weg aus der EU?

Ein Teil der Antwort findet sich in Artikel 50 des EU-Vertrages. Dort ist das Recht auf Austritt aus der EU geregelt. Die Verhandlungen über die Scheidung sollen demnach höchstens zwei Jahre dauern. Einer Verlängerung müssten alle Staaten zustimmen. In den Verhandlungen geht es erst einmal nur darum, die vielfältigen Verflechtungen zu entwirren. Die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen, etwa über einen Zugang der Briten zum EU-Binnenmarkt, könnten sehr viel länger dauern.

3. Was kostet ein Brexit die Briten?

George Osborne, Schatzkanzler des Vereinigten Königreichs, hat das vorsorglich ausgerechnet. 201 Seiten hat die Studie des Finanzministeriums, der entscheidende Satz lautet: Großbritannien geht es nach einem EU-Austritt "auf Dauer schlechter, und zwar um 4300 Pfund im Jahr für jeden Haushalt". Die Briten haben keinen kostenlosen Zugang mehr zum Binnenmarkt. Das trifft fast alle Branchen - und kostet Arbeitsplätze.

4. Was kostet ein Brexit die EU?

Erst mal nichts. Irgendwann fehlt natürlich der britische Beitrag zum EU-Haushalt. London hat im Jahr 2014 - das sind die aktuellsten Zahlen - mehr als elf Milliarden Euro überwiesen. Das Vereinigte Königreich ist nach Deutschland, Frankreich und Italien der größte Nettozahler.

5. Droht der EU eine Kettenreaktion?

Das befürchtet man in Brüssel. In mehreren Mitgliedstaaten wollen Rechtspopulisten raus aus der EU - etwa in den Niederlanden die Partei der Freiheit von Geert Wilders und in Frankreich der Front National von Marine Le Pen. Moderatere EU-Skeptiker werden schauen, wie die Brexit-Verhandlungen laufen. Gelingt es den Briten, Vorteile einer Mitgliedschaft - wie den Zugang zum Binnenmarkt - zu erhalten, dürfte sie das ermuntern, denselben Weg zu fordern. Deshalb raten viele nach einer Leave-Entscheidung zu Härte gegenüber Großbritannien.

6. Kann Schottland in der EU bleiben?

Nein. Selbst wenn sich die Mehrheit der Schotten gegen den Brexit ausspricht und es danach zur Trennung vom Vereinigten Königreich käme, müsste das unabhängige Schottland einen Aufnahmeantrag nach Artikel 49 des EU-Vertrages stellen. Danach würde es Jahre dauern.

7. Können die Briten noch mal wählen?

Theoretisch ja. Für die EU kommt es rechtlich nicht auf das Referendum an, sondern auf eine offizielle Mitteilung aus London. Jede britische Regierung dürfte sich aber an das Ergebnis gebunden fühlen. Einfach neu abstimmen zu lassen, wird wohl keiner wagen.

8. Kommen ohne die Briten die Vereinigten Staaten von Europa?

Die Briten waren stets Bremser, wenn es um eine EU-Vertiefung ging. Aber nicht die einzigen. Gegen mehr Machtverlagerung nach Brüssel wird es weiter Widerstand geben.

9. Was ändert sich für EU-Bürger?

Nicht viel. Das Vereinigte Königreich gehört weder zum Schengen-Raum noch zur Euro-Zone. Wer nach Großbritannien reist, muss jetzt schon einen Ausweis vorzeigen und Euro in Pfund wechseln.

10. Wird die EU ohne Briten sozialer?

Fest steht: Die stärkste marktliberale Stimme verschwindet. Bislang war Großbritannien der Gegenpol zum französischen Etatismus. Das war Deutschland ganz recht; Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zwar für die soziale Marktwirtschaft, im Zweifel aber für mehr Privatwirtschaft als für mehr Staat. Verbündet sich Paris noch stärker mit Rom und Madrid, wird es für Berlin schwieriger werden, sich etwa gegen eine EU-weite Arbeitslosenversicherung zu stemmen.

11. Was passiert mit dem Euro?

Wie sagte ein Brite in Brüssel? "Seid froh, dann habt ihr uns Pfund-Fetischisten los und könnt die Euro-Zone vertiefen." Das wird so schnell nicht kommen: Viele Euro-Staaten sind misstrauisch.

12. War's das jetzt mit TTIP?

Ohne Großbritannien fehlt so etwas wie der europäische Brückenkopf in die USA. Die Briten sind seit jeher den Amerikanern verbunden - und dem Freihandel. Sie haben weniger starke Schutzbedürfnisse als andere Staaten in der EU.

13. Kommt die europäische Armee?

Die Briten haben immer vor Parallelstrukturen zur Nato gewarnt. Die EU verlöre in Großbritannien eine starke Militärmacht, könnte im Verteidigungsbereich aber stärker zusammenarbeiten. Die europäische Armee bleibt jedoch in sehr weiter Ferne.

Guinness, Gibraltar, Gurken

14. Wird Guinness in der EU teurer?

Nein. Guinness ist irisch.

15. Was wird aus den britischen Rentnern in Spanien?

Rund zwei Millionen Briten leben in anderen EU-Staaten. Für sie wird sich nach einem Brexit viel ändern, auch für die Rentner, die an der Costa Blanca ihren Platz an der Sonne haben. 283 000 Briten leben offiziell in Spanien und genießen dort freien Zugang zum Gesundheitssystem. Damit wäre es vorbei.

16. Und was ist mit Briten in der EU?

Sie werden behandelt wie alle anderen Nicht-EU-Bürger. Das heißt: Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis beantragen.

17. Bleibt Englisch Arbeitssprache?

Englisch bleibt eine der 24 EU-Amtssprachen, schon wegen des EU-Mitglieds Irland. Französisch hat - zum Leidwesen der Franzosen - an Bedeutung eingebüßt.

18. Verlieren die britischen EU-Beamten ihre Jobs?

Nein. Ihre Verträge laufen weiter. Im nach nationalem Proporz austarierten EU-Laufbahnsystem dürfte ihnen aber der Aufstieg versperrt sein. Schon vor dem Austritt könnte der britische EU-Kommissar Jonathan Hill seine Zuständigkeit für die Finanzmärkte verlieren.

19. Gehen die Pubs in Brüssel pleite?

Sicher nicht. Rund um den Hauptsitz der EU-Kommission gibt es Pubs wie das "The Old Hack" oder "Kitty O'Shea's". Dort treffen sich nicht nur Briten. In Brüssel gibt es immer viel zu bereden. Und für manchen EU-Beamten dürfte der Brexit ein Grund mehr sein, sich mal wieder richtig zu betrinken.

20. Was passiert mit Gibraltar?

Das wüssten die knapp 33 000 Bewohner des britischen Überseegebietes im Süden der Iberischen Halbinsel auch gerne. Spanien droht mit dem Äußersten: der Sperrung der Landgrenze.

21. Müssen die Briten EU-Fördergeld zurückgeben?

Bereits bis 2020 eingeplant sind 5,2 Milliarden Euro für die britische Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums, sowie 4,9 Milliarden Euro für Soziales. Hinzu kommen 206 Millionen Euro für Initiativen gegen Jugendarbeitslosigkeit. Ganz zu schweigen von den fast sechs Milliarden Euro des regionalen Entwicklungsfonds, der Forschung und Innovation unterstützt. Solange die Austrittsverhandlungen laufen, wird das so bleiben.

22. Machen die Briten dann bessere Geschäfte in der Welt?

Das glauben die Brexit-Befürworter. Doch die Briten müssen regeln, wie sie künftig mit der EU handeln wollen. Es gibt drei Möglichkeiten. Erstens: Großbritannien wird behandelt wie Norwegen; ist also nicht Mitglied in der EU, aber im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). London müsste EU-Vorschriften umsetzen, ohne mitbestimmen zu können. Zweite Möglichkeit: gar kein Abkommen; Exporte laufen gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation ab. Da wäre der wirtschaftliche Schaden im Vergleich zur Mitgliedschaft am größten. Das dritte Modell ist ein eigenes neues Freihandelsabkommen zwischen dem Königreich und der EU. Das ist die Lieblingsvariante der Pro-Brexit-Fraktion.

23. Wer verliert mehr Macht in der Welt - die Briten oder die EU?

Großbritannien ist wie Frankreich Atommacht und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats. Die Position der Europäischen Union bei den Vereinten Nationen würde schwächer. Dennoch bleibt die EU der wirtschaftsstärkste Staatenblock der Welt.

24. Werden britische Gurken nun krummer?

So mancher britische Gurkenpflanzer verfluchte die Verordnung mit der Nummer 1677/88 (bekannt als Gurkenkrümmungsverordnung). Es gibt wohl keine berüchtigtere Vorschrift aus Brüssel. Sie gilt als Synonym für den Regulierungswahnsinn von Eurokraten. Zermürbt von der öffentlichen Kritik, schaffte das EU-Parlament 2009 die Verordnung ab. Dumm nur, dass viele Einzelhändler auf einer bestimmten Form bestehen.

25. Wird Frankfurt das neue London?

Die Briten werden alles dafür tun, dass die Finanzindustrie in der englischen Hauptstadt bleibt.

26. Wird Großbritannien ein neues Steuerparadies?

Könnte sein. Ein wenig Übung haben die Briten ja schon. Ihre Kanalinseln bieten ganz vorzügliche Briefkasten-Adressen.

27. Werden EU-Gipfel einfacher?

Margaret Thatcher rief 1984 aus: "Ich will mein Geld zurück!" Auch David Cameron hat viele EU-Kollegen Nerven gekostet. Aber: Sturheit ist kein britisches Alleinstellungsmerkmal.

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