Nigel Farage hat Erfahrung mit Rücktritten. Bereits 2009 gab er seinen Posten als Chef der EU-feindlichen UK Independence Party (Ukip) auf, um sich 2010 wieder an deren Spitze wählen zu lassen. 2015 trat er nach der Parlamentswahl zurück, weil es ihm auch im siebten Anlauf nicht gelungen war, einen Sitz im Unterhaus zu gewinnen. Wenige Tage später trat er vom Rücktritt zurück, weil er, wie er sagte, so viel Unterstützung aus den eigenen Reihen erfahren habe. Dass die eigenen Reihen in Teilen ganz anderer Ansicht waren, focht ihn nicht an. An diesem Montag hat er den Parteivorsitz erneut niedergelegt. "Ich habe meinen Beitrag geleistet", sagte er, "der Sieg der Brexit-Befürworter im Referendum bedeutet, dass ich meine politischen Ziele erreicht habe."
Mit Farages Rücktritt ist klar, dass die drei Männer, die in erster Linie für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU verantwortlich sind, sich den Folgen dieser Entscheidung entziehen. Premierminister David Cameron, der für den Verbleib in der EU war und das Referendum nur angesetzt hatte, um innerparteiliche Konflikte zu lösen, tritt im September ab. Boris Johnson, der sich an die Spitze der EU-Gegner gesetzt hatte, weil er sich dadurch bessere Chancen auf die Nachfolge Camerons ausrechnete, hat sich Ende vergangener Woche aus dem Rennen um den Vorsitz der Konservativen verabschiedet. Er zieht es vor, in seiner wöchentlichen Kolumne im Daily Telegraph Ratschläge zu erteilen. An diesem Montag merkte er zum Beispiel an, es sei nötig, mal einen Plan für die Zeit nach dem Austritt zu entwerfen.
Farage ist jetzt der Dritte im Bunde. Er sei nun einmal kein Karrierepolitiker, sagte er, es sei ihm nur um den Austritt gegangen. Farage sitzt seit 1999 im Europaparlament, wo er die anderen Abgeordneten seit jeher damit ärgert, dass er sein Pult mit einem kleinen Union Jack schmückt. Seinen Sitz will er so lange behalten, wie Großbritannien Mitglied in der EU ist.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten hat sich Farage für den Austritt aus der EU eingesetzt. Er gehörte 1993 zu den Gründungsmitgliedern der Ukip, deren Vorsitz er 2006 erstmals übernahm. Seither war er Herz und Hirn der Ukip, über die selbst manche Mitglieder sagten, sie sei weniger Partei als Personenkult.
Das Bierchen vor dem Mittagessen hat er sich im Wahlkampf verkniffen
Im Wahlkampf vor dem Referendum hatte Farage zuletzt sogar seinen Lebenswandel geändert, als er sah, dass seine Bemühungen von Erfolg gekrönt sein könnten. Er trinkt gern vor dem Mittagessen schon mal ein Bierchen, zum Essen dann reichlich Wein, einen Schnaps zum Verdauen, später wieder Bier. Er sei "ein Trinker, kein Alkoholiker", sagt er. Während des kräftezehrenden Wahlkampfs mochte er dieses Pensum nicht mehr durchhalten und schränkte sich ein. "Ich habe immer gesagt, dass wir unser Land zurückwollen", sagte er am Montag, "nun will ich mein Leben zurück."
Seine Freunde sagen, Farage trinke auch deshalb so viel, weil er körperlich in keinem guten Zustand sei; der Alkohol diene ihm als Schmerzmittel. Er leide immer noch an den Folgen eines Flugzeugabsturzes, den er 2010 überlebt hat. Damals war er am Tag der Parlamentswahl in einer Propellermaschine unterwegs, die ein Ukip-Banner über Northamptonshire zog. Das Banner verfing sich am Heck, und das Flugzeug krachte in ein Feld. Farage und der Pilot konnten verletzt aus dem Wrack geborgen werden. Gut möglich, dass einer der Gründe für seinen Rückzug ist, dass er bis heute Schmerzen an der Halswirbelsäule hat, an der er nach dem Absturz operiert werden musste.
Der Rücktritt ist auch deshalb überraschend, weil zwar eine Mehrheit der Briten im Referendum für den Austritt gestimmt hat, aber noch weitgehend unklar ist, wann und wie dieser bewerkstelligt werden soll. Es war erwartet worden, dass Farage als Ukip-Chef zum einen den politischen Druck auf die Regierung hochhalten und sich zum anderen für eine Aufgabe bei den Austrittsverhandlungen ins Spiel bringen würde. Wie es mit diesen Verhandlungen weitergeht, hängt davon ab, wen die Konservativen zu ihrem neuen Parteichef und damit zum Premierminister wählen.
Favoritin ist Innenministerin Theresa May. Sie hat angekündigt, dass sie nicht vorhabe, den Austrittswunsch der Briten vor 2017 in Brüssel zu hinterlegen, was im Lager der Brexit-Befürworter für Unruhe sorgt. Ihre Mitbewerberin Andrea Leadsom hat daher am Montag in ihrer offiziellen Bewerbungsrede bekräftigt, sie werde die Austrittsverhandlungen umgehend einleiten, sollte sie am 9. September als neue Premierministerin feststehen.
Farages Rücktritt bedeutet auch, dass nun drei britische Parteien mehr oder weniger führungslos sind. Die Konservativen werden bis September damit beschäftigt sein, die Nachfolge David Camerons zu regeln. In der Labour-Partei tobt ein erbitterter Streit um den Vorsitzenden Jeremy Corbyn, dem drei Viertel der Abgeordneten das Misstrauen ausgesprochen haben. Am Montag verkündete die Abgeordnete Angela Eagle, sie werden gegen Corbyn antreten, falls dieser sich nicht freiwillig zurückziehe.
Wer künftig den Vorsitz der Ukip übernehmen könnte, ist völlig offen. Farage hat die Partei absolutistisch geführt, sodass unter ihm ein Machtvakuum entstanden ist. Dass er erneut vom Rücktritt zurücktritt, gilt jedoch als unwahrscheinlich. In Teilen der Partei herrscht sogar Freude darüber, den Vorsitzenden nach all den Jahren los zu sein. Douglas Carswell, der bis 2014 Mitglied der Konservativen war, bevor er zur Ukip überlief, hatte sich im Wahlkampf mehrmals von Farage distanziert. Besonders übel stieß ihm ein Plakat auf, das der Chef präsentierte. Darauf waren unter der Überschrift "Die Grenze der Belastbarkeit" syrische Flüchtlinge zu sehen. Es wurde insinuiert, dass all diese Flüchtlinge nach Großbritannien kämen, wenn das Land in der EU bleibe. Carswell ist der einzige Abgeordnete der Ukip im Unterhaus. Ob er jetzt Vorsitzender werden wolle, wurde er gefragt. "Die Chancen darauf liegen zwischen null und nichts", sagte er.
Unmittelbar nach Farages Ankündigung hatte Carswell die Welt via Twitter wissen lassen, was er von dem Rücktritt hält. Seine Nachricht war so kurz wie eindeutig: Sie bestand aus einem Smiley.