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US-Präsident in Großbritannien:Trump: May hat den Brexit vermasselt

Lesezeit: 8 Min.

Von Thorsten Denkler, New York

US-Präsident Trump hat die Briten und ihre Regierung schon oft wissen lassen, was er von ihnen hält. Es war nicht immer nett, um es vorsichtig zu formulieren. Was er aber dem britischen Revolverblatt The Sun jetzt in einem Exklusiv-Interview mitzuteilen hat, das sprengt mal wieder alle Grenzen. Kurz vor Mitternacht geht das Blatt mit der Geschichte am Donnerstagabend Online. Gerade rechtzeitig zum Ende des Galadinners in Blenheim Palace, dem Familiensitz des früheren Premierministers Winston Churchill. Die Gäste können es noch im Hinausgehen auf ihren Smartphones lesen.

Premierministerin Theresa May hatte Trump eingeladen. Der Treffen sollte vor allem schöne Bilder produzieren. In ihrer kurzen Rede zitierte sie Churchill: "Die Vereinigten Staaten an unserer Seite zu wissen, das ist für mich die größte Freude." Dann warb sie für ihr wichtigstes Anliegen: Wenn ihr Land jetzt die Europäische Union verlasse, dann sei das die "Chance für ein Freihandelsabkommen", das Jobs und Wachstum im Vereinigten Königreich und in den USA hervorbringen werde.

Es ist nicht sicher, ob Trump die britische Regierungschefin danach auf das Interview vorbereitet hat. Wenn, dann hätte er ihr fairerweise so etwas sagen müssen: "Theresa, ich habe der Sun ein paar wenig nette Dinge über dich gesagt. Dass das mit dem Freihandelsabkommen nichts wird. Und dass Boris Johnson ein guter Premierminister wäre." Wäre das Dinner ein Set für einen Hollywoodfilm, dann wäre das der Zeitpunkt gewesen, wo May den US-Präsidenten geohrfeigt hätte, um danach wortlos den Saal zu verlassen.

May steckt gerade mitten in einer Regierungskrise. Vergangenen Freitag hat sie ihr Kabinett erst nach einer zwölfstündigen Sitzung dazu gebracht, ihrem Plan für den Ausstieg aus der Europäischen Union zuzustimmen. Sie strebt eine Art Freihandelszone mit der EU an. Was die harte Brexit-Fraktion strikt ablehnt. Am Sonntag hat sie darüber ihren Brexit-Minister David Davis verloren. Am Montag trat auch ihr Außenminister Boris Johnson zurück. Jetzt droht ein Machtkampf, in dem Johnson versuchen könnte, May den Posten als Premierministerin streitig zu machen.

Und dann kommt Trump. Er habe May doch gesagt, wie sie die Verhandlungen mit der EU angehen soll, sagt er in dem Interview. "Aber sie war nicht einverstanden, sie hat nicht auf mich gehört." Stattdessen sei sie in die völlig entgegengesetzte Richtung gegangen. Trump hätte nämlich lieber gesehen, wenn Großbritannien den harten Brexit vollzieht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Mit anderen Worten: May hat es vermasselt.

Offenbar waren auch Trumps Leute von dem scharfen Ton überrascht. Trumps Sprecherin Sarah Huckabee Sanders soll die britische Regierung grob über das Interview vorab unterrichtet haben. Aber offenbar hat sie einen Text mit einem eher positiven Grundton erwartet, schreibt die Washington Post.

Stattdessen erklärt der US-Präsident im Sun-Interview, wenn May ihre weiche Linie gegenüber der EU fortsetze, dann würden die USA nur noch mit der EU über Handel reden. Nicht aber mit Großbritannien. May hofft, mit den USA ein bilaterales Handelsabkommen abschließen zu können, um die Brexit-Nachteile abfedern zu können. So ein Abkommen aber sei jetzt "wahrscheinlich tot", kommentiert Trump trocken.

Das werde "Nitroglycerin in die aufkommende Revolte" der harten Brexit-Befürworter unter den Tories gießen, kommentiert die Sun nicht ganz unzutreffend. Und als ob Trump Nitroglycerin nicht explosiv genug ist, schmiss er noch eine Atombombe hinterher. Boris Johnson würde einen "hervorragenden Premierminister abgeben", sagte er. Und: "Ich respektiere Boris sehr. Offensichtlich mag er mich und er hat ein paar sehr gute Dinge über mich gesagt."

Über May sagt Trump nur, sie sei "eine gute Person".

Mehr als zwei Drittel der Briten lehnen Trump und seine Politik ab

An diesem Freitagmorgen werden Trump und May auf dem Landsitz der Premierministerin zu einem Arbeitsgespräch zusammenkommen. Es wird dort einiges zu bereden geben. Ein Mitarbeiter des Weißen Hauses hat Mühe, zu erklären, was es jetzt noch zu sagen gibt. Auf keinen Fall werde Trump sich bei May entschuldigen, sagte er der Washington Post. "Aber wir wir wollen auch nicht, dass alles in die Luft fliegt." Ein Sprecher Mays sagte inzwischen, die Premierministerin freue sich, dem US-Präsidenten ihre Brexit-Pläne zu erklären.

Das Interview darf getrost als vorläufiger Tiefpunkt in den britisch-amerikanischen Beziehungen gewertet werden. Die galten vor Trump noch als unerschütterlich. Vom Ersten Weltkrieg bis zum Irakkrieg haben britische und US-Soldaten Seite an Seite gekämpft. Das schweißt eigentlich zusammen. Mehr als eine halbe Million Menschen jubelten John F. Kennedy zu, als der US-Präsident 1961 zu Besuch in London war. Jimmy Carter wurde 1977 von Zigtausenden Briten freudig empfangen. Selbst George W. Bush wurde ordentlich begrüßt. Und Barack Obama selbstverständlich auch.

Donald Trump wird mit seinen Vorgängern nicht mithalten können. Weit mehr als 50 000 Menschen wollen zwar seinetwegen an diesem Freitag auf die Straße gehen. Manche rechnen gar mit 200 000. Nur: Trump-Freunde dürften kaum darunter sein. Mehr als zwei Drittel der Briten lehnen Trump und seine Politik ab. Es wird eine der größten Anti-Trump-Demonstrationen, die Europa bisher gesehen hat. Ein mehrere Meter hoher Trump-Baby-Ballon soll am Westminster Palace vorbeischweben, dem Sitz des Parlamentes.

Trumps Provokationen sind nichts Neues für die britische Politik. Sie haben schon begonnen, bevor er überhaupt Präsident war. Seitdem strapazierte er das Verhältnis zu Großbritannien immer wieder, wie seine Gespräche mit May und seine öffentlichen Äußerungen zeigen.

Schon im US-Wahlkampf 2016 und noch vor dem britischen Referendum stellt Trump sich klar auf die Seite der Brexit-Befürworter. Was als Einmischung in die Angelegenheiten eines befreundeter Staates betrachtet werden kann. Er hofiert den rechten Brexit-Populisten Nigel Farage und liebäugelt damit, ihn zum US-Botschafter in London zu machen. Ein Affront sowohl gegen die regierenden Tories als auch gegen die oppositionelle Labour-Party.

Die britische Premierministerin Theresa May bemüht sich anfangs noch redlich, so etwas wie eine normale Arbeitsbeziehung zu Trump aufzubauen. Trumps Mutter wurde in Schottland geboren. Er selbst unterhält dort zwei Golfplätze. Da muss doch was gehen. Außerdem treibt May die Not. Mitten in den Brexit-Verhandlungen sind die USA für Großbritannien als Handelspartner enorm wichtig.

Nach der Amtseinführung von Trump am 20. Januar 2017 beeilt sich May also, die erste Regierungschefin zu sein, die noch im selben Monat persönlich in Washington vorbeischaut. Beide versichern sich gegenseitig, wie besonders und tief die Beziehungen beider Staaten seien.

Aber dann ist da noch die Szene, in der Trump plötzlich ihre Hand hält auf dem Weg zur Pressekonferenz. Es scheint, die beiden hätten weit über eine funktionierende Arbeitsbeziehung hinaus einen richtig guten Draht zueinander. In Großbritannien kommt das nicht besonders gut an. May wollte eigentlich den Eindruck vermeiden, sie könnte Trump zu nahe sein.

Sie lässt Trump dennoch von der Queen zu einem Staatsbesuch nach London einladen. Daraufhin unterzeichnen fast zwei Millionen Briten eine Petition, nach der Trump auf keinen Fall zu einem Staatsbesuch eingeladen werden dürfe. Königin Elizabeth II. soll die Peinlichkeit erspart werden, Trumps Gastgeberin spielen zu müssen.

May schadet das Treffen mit Trump mehr als es ihr nutzt. Was sie damals aber nicht ahnt: Das Bild der händchenhaltenden Staatslenker symbolisiert bereits den vorläufigen Höhepunkt der Beziehungen beider Staaten in Trumps Präsidentschaft. Seitdem geht es stetig bergab.

Trump provoziert, wo es geht

Und das nicht nur, weil Trump gegen alles ist, was die Briten für richtig halten. Er steigt aus dem Klimaabkommen von Paris aus, kündigt das von Großbritannien mitverhandelte Atomabkommen mit Iran, startet einen weltweiten Handelskrieg. Er legt sich mit der Nato an, mit der Europäischen Union, mit den Vereinten Nationen. Nichts davon ist im britischen Interesse.

Es beginnt schon mit Trumps Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten muslimischen Ländern, das er am Tag von Mays Washington-Visite unterschreibt. Das Dekret sorgt auch in Großbritannien für Empörung. Eine gute Woche nach Mays Rückkehr erklärt der Sprecher des Londoner Unterhauses, John Bercow, vor den Parlamentariern, dass er jedenfalls deshalb keine Einladung an Trump aussprechen werde, vor dem Parlament zu reden.

Im Juni 2017 erstechen Terroristen auf der London Bridge acht Menschen. Danach mokiert sich Trump via Twitter über den muslimischen Bürgermeister der Stadt, Sadiq Khan. Der hatte die Bevölkerung aufgerufen, nicht in Panik zu geraten, es gebe keinen Grund, beunruhigt zu sein. Im Interview mit der Sun legt er jetzt noch nach, Khan sei ein "furchtbarer Bürgermeister für London", der nichts gegen Terrorismus und Kriminalität unternehme. Außerdem vermisse er den nötigen Respekt, er komme schließlich als Vertreter "einer sehr wichtigen Regierung" nach Großbritannien. Trump fühlt sich offenbar von Khan persönlich angegriffen, weil der erlaubt hat, dass der Trump-Baby-Ballon über London aufsteigen darf.

Nach einem weiteren Anschlag im September auf eine Londoner U-Bahn-Linie twittert Trump die angebliche Neuigkeit in die Welt, Scotland Yard seien die Drahtzieher bekannt gewesen. May sieht sich gezwungen, das zurückzuweisen. Es sei nicht hilfreich, sich von außen in laufende Ermittlungen einzumischen, sagt sie. Es ist für Mays Verhältnisse eine geradezu verärgerte Reaktion.

Ende November 2017 kommt es zu den bis dahin größten diplomatischen Irritationen. Trump verbreitet drei Videos auf Twitter weiter, die angeblich Muslime zeigen, wie sie Menschen angreifen und eine Marienstatue zerstören. Ins Netz gestellt wurden sie von Jayda Fransen, der stellvertretenden Vorsitzenden von "Britain First", einer ultrarechten und nationalistischen Splitterpartei in Großbritannien. May erklärt Trumps Verhalten für "falsch". Das bringt Trump derart in Rage, dass er ihr - wieder auf Twitter - rät, sich weniger auf ihn als auf den "destruktiven radikalen, islamistischen Terror zu konzentrieren", der in Großbritannien stattfinde.

Im Vorfeld des Besuchs kommt May Trump entgegen

Ende Februar will Trump erstmals nach Großbritannien kommen. Nicht für einen Staatsbesuch, diese Idee ist erst mal vom Tisch, sondern für einen Arbeitsbesuch. Er wäre ohnehin in London, um die neue US-Botschaft einzuweihen. Als klar wurde, dass sein Besuch von Massenprotesten begleitet werden würde, verlor Trump angeblich die Lust. Der Besuch wird gecancelt.

Trump entgegnet auf seine Art den Spekulationen, zu feige gewesen zu sein, sich dem Protest zu stellen. Mitte Januar twittert er, was der wahre Grund für die Absage gewesen sei: Er sei " kein großer Fan davon", dass die Obama-Regierung die alte Botschaft, die die "feinste" in London gewesen sei, "beste Lage", für "Peanuts" verkauft habe. Nur um in einem Londoner Randgebiet eine neue Botschaft für 1,2 Milliarden Dollar zu bauen.

Das ist eine ziemlich an den Haaren herbeigezogene Erklärung. Es war George W. Bush, der den Bau der neuen Botschaft anordnete, nicht Obama. Die alte Botschaft gehörte auch gar nicht den USA, sondern dem Duke of Westminster, konnte also auch nicht von den USA verkauft werden. Und sie wurde aufgegeben, weil sie nicht ausreichend vor Terror-Attacken geschützt werden konnte. Die neue Botschaft ist übrigens keine 15 Autominuten vom Parlament entfernt. Randgebiet ist etwas anderes. Auch jetzt meidet Trump London, wo es geht. "Warum sollte ich irgendwohin gehen, wo ich mich nicht willkommen fühle?", fragt er im Sun-Interview.

Immerhin, in einem Interview mit dem britischen Sender ITV Ende Januar entschuldigt sich Trump fast für seine Video-Postings. Er kenne die Leute hinter den Videos nicht, sagt er. Und wenn das so schlechte Leute seien, wie gesagt werde, dann würde er sich entschuldigen, wenn er danach gefragt werde. Für Trumps Verhältnisse ist das schon ein Kniefall.

Mindestens das ist wohl nötig, damit Trump jetzt - in einem zweiten Anlauf - endlich das Vereinigte Königreich besuchen kann. Im Vorfeld kommt May Trump ebenfalls deutlich entgegen. Großbritannien beteiligt sich Mitte April zusammen mit Frankreich an einem Vergeltungsschlag der USA gegen Syrien wegen eines mutmaßlichen Giftgaseinsatzes.

Dennoch: Ob der Besuch ein Neuanfang für die britisch-amerikanischen Beziehungen sein kann, darf bezweifelt werden. Das Sun-Interview ist dafür der beste Beleg.

Von Freitagnachmittag bis Sonntag fährt Trump nach Schottland. Angeblich, um sich dort auf sein Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag in Helsinki vorzubereiten. Ein Gespräch, das er für leichter hält als die Gespräche mit May. Er wird in Schottland sicher auch ein paar Runden Golf spielen. Die Proteste werden ihn dorthin begleiten. In Edinburgh und Glasgow werden gerade weitere Anti-Trump-Demonstrationen vorbereitet. Und auch der Trump-Baby-Ballon soll dort noch mal fliegen. Wenn es nach den Organisatoren geht, direkt über Trumps Golfclub in Turnberry.

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