Michel Barnier, der Chef-Unterhändler der EU, hatte den Vorschlag, mit dem Theresa May in ihre jüngste Kabinettssitzung ging, zwar sowieso schon für unbrauchbar erklärt. Aber es war der einzige, den sie hatte; also klammerte sie sich bis zuletzt daran. Nun hat sie gar keinen mehr.
Denn eine Mehrheit ihrer Minister hat den ziemlich komplizierten Plan einer "Zollpartnerschaft" abgelehnt, mit dem die Briten künftig für die EU Importzölle einsammeln und diese an Brüssel weiterleiten wollten. Sie haben der Premierministerin gesagt, sie solle erst wiederkommen, wenn sie eine bessere Idee habe. Worte wie "Desaster" und "kretinös" sollen gefallen sein. Alle Varianten, mit denen Grenzanlagen in Irland vermieden werden können, sind jetzt zur Überarbeitung an die Fachleute zurückverwiesen worden. Peinlicher geht es kaum.
Es war der letzte von einem Dutzend Rückschlägen, die May in den vergangenen Wochen erfahren hat. Die Frage, wann sie zurücktritt, steht wieder im Raum. Schlimmer noch: Zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum und ein Jahr nach Beginn der Austrittsverhandlungen gibt es keinen klaren Plan, wie die Handelsbeziehungen mit der EU aussehen sollen. Oder, womit Zollunion und Binnenmarkt ersetzt werden könnten. Dabei sollten die Gespräche in fünf Monaten eigentlich abgeschlossen sein, in etwa 330 Tagen wollen die Briten aus der EU ausscheiden. Doch die Botschaft an Brüssel ist: "Eigentlich sind wir noch immer nicht verhandlungsbereit." Denn bis dato verhandelt die britische Regierung vor allem mit sich selbst.
May ist gefangen in einem Machtkampf zwischen Brexit-Fans und -Gegnern
Damit bleibt die Irland-Frage weiter ungelöst. Und die Briten staunen einmal mehr darüber, dass ihre Regierung noch immer konzeptionslos und zerstritten in einen Brexit stolpert, dessen Ausformung und Ausführung nach wie vor in den Sternen stehen. Die Probleme sind bekannt, eine Lösung ist nicht in Sicht: ein tief gespaltenes Land, in dem sich Gegner und Befürworter des EU-Ausstiegs immer noch die Waage halten; eine gespaltene Regierung, die zwischen hartem Brexit und am liebsten gar keinem Brexit laviert; ein gespaltenes Parlament, das sich lange ohnmächtig fühlte und nur langsam zu alter Stärke findet; eine Opposition, die nicht weiß, ob sie für oder gegen den Brexit ist. Und eine Premierministerin, die zwar gern und oft sagt, was sie nicht will - einen Verbleib in Zollunion und Binnenmarkt -, aber entweder nicht weiß oder nicht durchsetzen kann, was sie will.
May ist gefangen in einem Machtkampf zwischen Brexit-Fans und -Gegnern, in dem wahlweise die eine oder die andere Seite mit dem Sturz der Regierung droht und in dem die Premierministerin von beiden Lagern als Geisel genommen wird. Ihre ausweglose Situation wurde zuletzt noch dadurch verstärkt, dass die Innenministerin wegen eines - von May mitverursachten - Skandals in der Einwanderungspolitik zurücktreten musste und ihr Nachfolger das fein austarierte Gleichgewicht im Kabinett erschütterte. Sajid Javid war zwar ursprünglich gegen den Brexit, hat aber am Mittwoch in der Kabinettssitzung gegen die Zollpartnerschaft und damit gegen May votiert - und somit die harten Brexit-Fans gestärkt.
Die Einzigen, die derzeit Hoffnung schöpfen, sind die absoluten Brexit-Hasser. Sie hoffen, dass der Ausstieg am Ende an Unversöhnlichkeit oder Inkompetenz im eigenen Land scheitert.