Europäische Union:Brüssel leitet Verfahren gegen London ein

Ursula von der Leyen

Der Brexit ist einer ihrer schwierigsten Konflikte: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen.

(Foto: Francisco Seco/AP)

Die EU-Kommission wirft der britischen Regierung im Brexit-Streit vor, den Austrittsvertrag zu verletzen. Es geht um Regeln für Nordirland. Die Entscheidung dürfte die angespannten Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien weiter belasten.

Von Alexander Mühlauer, London

Der Brexit-Streit zwischen London und Brüssel spitzt sich weiter zu. Die Europäische Kommission leitete am Montag ein Verfahren gegen Großbritannien wegen der Verletzung des Austrittsvertrags ein. Die Brüsseler Behörde reagierte mit diesem Schritt auf die Ankündigung der britischen Regierung, derzeit geltende Zollformalitäten für britische Lieferungen an nordirische Supermärkte bis Anfang Oktober zu verlängern. Brüssel wirft London vor, mit dieser "einseitigen Entscheidung" gegen die Bestimmungen des Nordirland-Protokolls und damit gegen internationales Recht zu verstoßen. Die Entscheidung aus Brüssel dürfte die angespannten Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien weiter belasten.

Der Streit entzündet sich an Regelungen des Protokolls zu Irland und Nordirland, das Teil des 2019 geschlossenen Austrittsvertrags ist. Es soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland eine harte Grenze entsteht, an der Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich Nordirland weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Dies bedeutet allerdings, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Schließlich kann alles, was in nordirischen Häfen anlandet, danach ohne weitere Kontrollen nach Irland und damit in den EU-Binnenmarkt transportiert werden.

In nordirischen Supermärkten wurden schon Waren knapp

Die neue Bürokratie führte bereits dazu, dass einige Waren in nordirischen Supermärkten knapp wurden. Dabei gelten bis Ende März noch Übergangsfristen. Bis dahin müssen Spediteure, die tierische Lebensmittel aus England, Schottland oder Wales zu nordirischen Geschäften transportieren, nicht belegen, dass die Waren EU-Gesundheitsstandards genügen. Die britische Regierung und Wirtschaftsverbände drängten schon seit Jahresbeginn auf eine Verlängerung der Übergangsfristen. Dies wurde von der EU-Kommission zunächst abgelehnt. Anfang März erklärte die britische Regierung schließlich, die derzeit geltenden Regeln einseitig zu verlängern.

Die Europäische Kommission reagierte nun mit zwei Maßnahmen. Neben dem Vertragsverletzungsverfahren, das zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) führen kann, schrieb der zuständige EU-Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič einen "politischen Brief" an den britischen Brexit-Beauftragten David Frost. Darin forderte er London auf, unilaterale Ankündigungen zurückzunehmen. Diese seien ein Verstoß gegen das Vertrauensprinzip, auf das im Austrittsvertrag Bezug genommen wird. Ziel sei es, den Konflikt binnen eines Monats zu lösen, hieß es in Brüssel. Andernfalls könnte es zu einem Schlichtungsverfahren kommen. Möglich wären auch finanzielle Sanktionen oder sogar eine Aussetzung bestimmter Klauseln des Austrittsabkommens wie auch des an Heiligabend geschlossenen Freihandelsvertrags.

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