Verhandlungen:Im Zweifel unglaubwürdig

Verhandlungen: Im nordirischen Londonderry fordert ein Graffito, keine Zollgrenze in der Irischen See zu schaffen. Die Regelung ist ein Streitpunkt zwischen London und Brüssel.

Im nordirischen Londonderry fordert ein Graffito, keine Zollgrenze in der Irischen See zu schaffen. Die Regelung ist ein Streitpunkt zwischen London und Brüssel.

(Foto: Larissa Schwedes/dpa)

Warum die EU davon ausgeht, dass es mit der Regierung in London auch im kommenden Jahr Streit geben wird.

Von Björn Finke, Brüssel

Immerhin: In diesem Jahr haben die Verhandlungen mit Großbritannien den EU-Beamten und Diplomaten in Brüssel nicht ihr Weihnachtsfest vermiest. 2020 gelang die Einigung auf einen Handelsvertrag erst an Heiligabend. Auch diesmal sah es zwischenzeitlich so aus, als könnte der Konflikt um Zollregeln für Nordirland pünktlich zur besinnlichen Zeit eskalieren. Das blieb aus. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben - im neuen Jahr geht der Disput zwischen der EU und ihrem ehemaligen Mitglied munter weiter.

Und die Frage, ob und wie Warenlieferungen nach Nordirland kontrolliert werden müssen, ist nur eines von mehreren Streitthemen zwischen den frisch Geschiedenen. Schließlich sind die Volkswirtschaften der EU-Staaten und des Vereinigten Königreichs so eng verflochten, dass es ständig irgendwo Reibungspunkte geben kann - etwa bei den Regeln für Datentransfers oder für den Zugang britischer Banken zum EU-Markt.

Wer gehofft hat, mit dem Handelsvertrag sei das Thema Brexit abgeschlossen, "muss sich auf eine Enttäuschung einstellen", sagt daher Sam Lowe von der Beratungsgesellschaft Flint Global. Ob diese Konflikte gütlich beigelegt werden oder eskalieren, hänge wiederum von den Anreizen ab, sagt der Brexit-Fachmann: also davon, ob Premier Boris Johnson weiter glaubt, dass ihm solche Konflikte Stimmen bringen. Und davon, ob Brüssel Großbritannien als gefährlichen Rivalen oder eher als Verbündeten ansieht.

Innerhalb der EU plädieren manche Regierungen für einen härteren und manche für einen zurückhaltenderen Kurs. Zu den Scharfmachern gehört stets Frankreich. Zum Beispiel bei der Frage, wie Brüssel reagieren sollte, wenn London Teile des Nordirland-Protokolls außer Kraft setzt. Das Protokoll garantiert, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner keine Lastwagen kontrollieren müssen. Dafür sollen Kontrollen an den nordirischen Häfen stattfinden, wo die Laster aus dem Rest des Königreichs ankommen.

Nordirland, die Banken, Datenschutz - die frisch Geschiedenen müssen vieles klären

Die britische Regierung hat diesen Regeln zugestimmt, bezeichnet sie aber nun als schikanös, genau wie die Tatsache, dass der verhasste Europäische Gerichtshof bei Streitfällen zuständig ist. Würde London das Protokoll nicht länger befolgen, könnte die EU mit Strafzöllen zurückschlagen - oder sogar den kompletten Handelsvertrag kündigen, mit zwölf Monaten Vorlauf. Dann würden neue Verhandlungen über ein alternatives Abkommen beginnen.

In Brüssel verstärkt Johnsons Kurs Zweifel an dessen Vertrauenswürdigkeit. Das erschwert auch Fortschritte bei anderen Themen. So könnte die EU-Kommission Londoner Banken den Zugang zum europäischen Markt vereinfachen. Dafür müsste sie feststellen, dass die britischen Vorschriften für die Branche gleichwertig sind. Das bleibt jedoch bislang für die allermeisten Bereiche aus. Immerhin hat Brüssel erklärt, dass die Datenschutz-Standards gleichwertig sind. Daher dürfen Firmen Daten von EU-Bürgern in Großbritannien verarbeiten. Dummerweise verkündete Johnson, diese Regeln ändern zu wollen - der nächste Konflikt lauert immer schon um der Ecke.

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