Großbritannien:Johnson will an seinen Brexit-Plänen festhalten

  • Das oberste britische Gericht erklärt die Zwangspause, die Premierminister Johnson dem Parlament auferlegt hatte, für nichtig.
  • Unterhaus-Sprecher Bercow ruft die Abgeordneten für Mittwochvormittag zur nächsten Sitzung zusammen.
  • Oppositionsführer Corbyn (Labour) fordert den Rücktritt Johnsons.
  • Mit Spannung wird erwartet, wie der konservative Premier auf seine Niederlage reagiert.

Von SZ-Autoren

Die Entwicklungen im Liveblog:

Thomas Kirchner
Thomas Kirchner

Das war's für heute von uns zum Brexit


Die Debatte im Parlament geht weiter, aber der Höhepunkt scheint überschritten zu sein. Boris Johnson ist und bleibt britischer Premierminister und sieht sich zu keinerlei Zeichen von Demut oder gar Zerknirschung veranlasst. Das ist die Nachricht des Tages.
Wir beenden damit unsere Berichterstattung. Wenn Sie wollen, können Sie den Livestream aus Westminster auf dieser Seite weiterhin verfolgen. Einen schönen Abend noch.
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

Johnson und der "Surrender Act"

Johnson nennt das Gesetz, das das Parlament beschlossen hat, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern, konsequent "Surrender Act", was so viel bedeutet wie "Kapitulationsgesetz". Das Gesetz verpflichtet ihn, bei der EU eine Verschiebung des britischen Austritts zu beantragen, sollten sich Großbritannien und die EU bis zum 19. Oktober nicht auf ein Austrittsabkommen geeinigt haben. Johnson sieht das Gesetz als Betrug des Parlaments an der britischen Bevölkerung, weil es die Verhandlungsstrategie seiner Regierung schwäche. Das Gesetz habe es "schwerer gemacht, einen Deal zu bekommen", sagt Johnson.

Wiederholt empören sich Abgeordnete über Johnsons Wortwahl. Die Bezeichnung "Surrender Act" für ein vom Parlament beschlossenes Gesetz sei "zutiefst respektlos", sagt die ehemalige Tory-Ministerin Justine Greening. Die Labour-Frau Paula Sherriff sagt, Johnson solle sich schämen. Er heize mit seiner provokanten Wortwahl die aggressive Stimmung im Land an. Während der Erklärung des Premiers hört man aus dem Off immer wieder das Wort "abstoßend".
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

Brexit-Werbung in Grundschulen?

Die Labour-Abgeordnete Stella Creasy berichtet von einem skurrilen Vorgang: Aus ihrem Wahlkreis sei ihr zugetragen worden, dass in Grundschulen "Brexit-Propaganda" auf Tausenden Bildschirmen gesendet wurde, ohne dass die Schulen davor zugestimmt hätten. Johnson sagt, er wisse davon nichts, aber seine Regierung erhöhe die Investitionen in Grundschulen im ganzen Land.



Thomas Kirchner
Thomas Kirchner

Johnsons Stärke ist Corbyns Schwäche


Zwischenbetrachtung: Eigentlich müsste Boris Johnson hoffnungslos in der Defensive sein. Er hat reihenweise Niederlagen im Parlament kassiert, keinerlei substanziellen Fortschritt in den Verhandlungen mit der EU erreicht, dann kam das vernichtende Supreme-Court-Urteil gestern. Tatsächlich ist er in dieser Debatte gefühlt obenauf, weigert sich, eine Entschuldigung über seine Lippen zu schicken, hackt fröhlich auf die Opposition ein, bramarbasiert über eine parteiinterne "Stasi", die Labour-Chef Corbyn in Schach halte, wiederholt unzählige Male seine catch phrases vom EU-Ausstieg am 31. Oktober und vom "Kapitulationsgesetz", das ihm die Opposition eingebrockt habe. Die Tories sind begeistert von Johnson, und es wirkt nicht einmal aufgesetzt.

Wie das sein kann? Der Grund liegt in der Schwäche Corbyns. Seine Position war von Beginn der Brexit-Saga an schwierig, erst auf tausend Umwegen hat er sich mit der Idee eines zweiten Referendums angefreundet. Seine größte Schwachstelle, in der die Regierung genüsslich herumrührt, ist derzeit die Weigerung, Neuwahlen zuzustimmen. Das ist nun mal der Job der Opposition Ihrer Majestät: die gegenwärtige Regierung ablösen zu wollen. Zuckt sie zurück, weil sie weiß, dass sie im Volk verlieren wird, hat sie ein Problem.
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

"Sogar mein fünfjähriger Sohn weiß, was zu tun ist, wenn man etwas Falsches getan hat"

Jo Swinson, Chefin der Liberal Democrats, hat das Wort. Auch sie fordert den Regierungschef auf, sich für die rechtswidrige Parlamentspause zu entschuldigen. "Sogar mein fünfjähriger Sohn weiß, was zu tun ist, wenn man etwas Falsches getan hat. Man muss sich entschuldigen", sagt Swinson. Johnson habe das gesamte Land hinters Licht geführt, klagt die Oppositionspolitikerin. Doch der denkt gar nicht dran und wiederholt in seinen Einwürfen immer wieder die Forderung nach einer Neuwahl. Boris Johnson, so sieht er selbst das, hat nichts Falsches getan.
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

Blackford: Die Opposition muss Johnson jetzt stürzen

"Sorry is the hardest word for the Prime Minister", sagt der SNP-Abgeordnete Ian Blackford in Anspielung auf einen berühmten Song. Johnson, das fordert die Opposition, solle sich für seine rechtswidrige Entscheidung, das Parlament in Zwangspause zu schicken, entschuldigen. Das hat er bislang nicht getan.

Der Premier habe das Parlament daran gehindert, seine verfassungsrechtliche Funktion zu erfüllen, betont Blackford. Johnson höre nicht auf Gerichte, er höre nur auf seinen "Brexit-besessenen Fanclub", wirft ihm der Schotte vor. Der Premier habe das Recht bekämpft, doch das Recht habe gewonnen. Zustimmende Rufe aus den Oppositionsreihen.

Dann wendet er sich an die anderen Parteien der Opposition und fordert sie auf, sich zusammenzuschließen, um "diese chaotische Regierung" per Misstrauensvotum zu Fall zu bringen. Davor schrecken die anderen Oppositionsparteien bislang zurück - denn das würde Neuwahlen bedeuten (siehe unten). Als Blackford Johnson der Lüge bezichtigt, ruft ihn Parlamentssprecher Bercow zu Ordnung.

Nach der kurzen Unterbrechung wendet sich Blackford wieder an den Premier. Johnson solle seinen Hut nehmen, sagt er. Zu guter Letzt nennt der Schotte Johnsons Regierung sogar eine "Diktatur".
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

Corbyn ist für Neuwahlen, wenn...

Der Sitzungssaal ist nun übrigens gut gefüllt - kein Abgeordneter will den Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition verpassen. Die Stellungnahme des Premierministers findet zur Primetime statt. Corbyn erklärt, der Premierminister müsse zurücktreten und sagt: "Er will eine Neuwahl. Ich will eine Neuwahl." Das Unterhaus tobt. Dann schickt der Labour-Chef hinterher, dass er eine Neuwahl nur dann befürworte, wenn es eine Verschiebung des EU-Austrittstermins gebe. Corbyn sagt: "Wenn er eine Wahl will: Besorgen Sie eine Verlängerung und lassen Sie uns eine Wahl abhalten."

Boris Johnson macht sich über Corbyns vermeintlichen Sinneswandel lustig. Er dürfe nicht sagen, was er sagen wolle, so der Premier und spottet, die Stasi würde möglicherweise seine Reden zensieren. Corbyn werde von seiner Partei als Geisel gehalten und halte damit das gesamte Land als Geisel. Der Schlagabtausch zwischen Corbyn und Johnson endet mit lautem Applaus von der Regierungsbank für den Premier.
Gunnar Herrmann
Gunnar Herrmann

Yellowhammer, noch einmal


Corbyn kommt erneut auf das "Yellowhammer"-Dokument zu sprechen. Er wirft der Regierung vor, den Menschen die Wahrheit über die Gefahren eines No-Deal-Brexit zu verschweigen. Er zitiert aus dem Dokument: Engpässe bei Nahrungsmittel- und Lebensmittelversorgung, besondere Härten für Menschen mit niedrigeren Einkommen. Der Oppositionschef beklagt, dass zu all diesen Punkten zu wenig Informationen von der Regierung kämen. Auch zieht er in Zweifel, dass die Regierung tatsächlich - wie sie behauptet - Verhandlungserfolge in Brüssel erziele um einen EU-Austritt ohne Abkommen zu verhindern. Corbyn zitiert den EU-Chefunterhändler Barnier, der erst kürzlich gesagt habe, es gebe "keinen Grund für Optimismus".
Gunnar Herrmann
Gunnar Herrmann

Corbyn: "Diese Regierung lässt die Menschen Großbritanniens im Stich"


Der Oppositionschef geht direkt zum Gegenangriff über. Im Gegensatz zu Johnson stellt er die Gerichtsentscheidung von gestern in den Mittelpunkt seines Redebeitrags. Johnsons Ansprache, so Corbyn, könne getrost genauso annulliert werden wie die Parlamentspause gestern. "Das war ein zehnminütiges Toben von einem gefährlichen Premierminister, der meint, er stehe über dem Gesetz."
Er wirft dem Premier Missachtung des Rechts vor. "Diese Regierung lässt die Menschen Großbritanniens im Stich" - und die Leute wüssten dies auch.
Oppositionschef Jeremy Corbyn
Oppositionschef Jeremy Corbyn. AFP
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

"Will er überhaupt Premierminister werden?", fragt Johnson den Oppositionsführer

Nun knöpft sich Johnson den Oppositionsführer Jeremy Corbyn vor. Er sagt, der Labour-Chef ändere ständig seine Meinung. "Will er überhaupt Premierminister werden?", fragt Johnson angesichts dessen, dass die Opposition bislang Neuwahlen verhindert hat. Oder wolle der sogar eine konservative Regierung, schiebt Johnson spitz hinterher. Die Opposition schreit den Premier fast nieder, doch der heizt die Schmähungen der Abgeordneten sogar an. Dann muss John Bercow eingreifen und für Ordnung sorgen.

Johnson geht in seiner Stellungnahme übrigens fast gar nicht auf das gestrige Urteil des Supreme Court ein, das ihm eine schmerzhafte Niederlage zugefügt und seine Zwangspause als rechtswidrig erklärt hatte. Er sagt nur, die Einbeziehung des Gerichts in der Frage der "Prorogation" sei ein einmaliger Vorgang.
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

Die Parlamentsbeschimpfung geht weiter

Das Parlament sei "gelähmt" und unfähig, der Bevölkerung zu geben, was sie verlange, sagt Johnson. Die Abgeordneten seien egoistisch und würden vor Neuwahlen wegrennen. Die Parlamentsbeschimpfung geht also weiter. Bereits heute Mittag hatte Geoffrey Cox, höchster Rechtsberater der Regierung, das Unterhaus als "Schande" bezeichnet. Johnsons Regierung versucht offenbar, das Parlament als Gegner der britischen Bevölkerung darzustellen. Die Botschaft: Parteipolitik und Egoismus der Abgeordneten stünden ihm im Weg, den Briten ihren Brexit zu "liefern".
Gunnar Herrmann
Gunnar Herrmann

"Dieses Parlament will gar keinen Brexit"


Johnson ist von Beginn an im Angriffsmodus. Er beharrt auf seiner Position, dass der Brexit bis zum 31. Oktober über die Bühne gebracht werden müsse. Das sei es, was die Bevölkerung wolle, das ist, was er will. Ein Deal sei besser, sagt er, aber nicht zwingend notwendig.
"Dieses Parlament will gar keinen Brexit", wirft er den Abgeordneten vor. Sie würden die Brexit-Entscheidung der Wähler ignorieren und sabotieren.
Pläne für ein zweites Referendum weist er zurück: "Die Öffentlichkeit will kein zweites Referendum."
Johnson bei seiner Rede
Johnson bei seiner Rede. AFP
Gunnar Herrmann
Gunnar Herrmann

Johnson spricht - und wirbt für Neuwahlen


Der Premierminister gibt nun sein Statement ab - sein Auftritt wird von Buhrufen begleitet. "Wenn Sie eine neue Regierung wollen, lassen Sie eine Wahl zu", ruft er seinen Kritikern zu Beginn zu.
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

Tory-Parteitag kollidiert mit der Rückkehr des Parlaments

Seit 12:30 Uhr läuft die Sitzung des britischen Unterhauses. Die Abgeordneten haben viele Fragen an die Verantwortlichen der Politik. Aber auch außerhalb des Sitzungssaals geht das politische Geschäft im Vereinigten Königreich weiter. Am Sonntag sollte nämlich der Parteitag der konservativen Tory-Partei beginnen und bis Mittwoch dauern. Doch der Parteitag kollidiert nun zeitlich mit der Rückkehr des Parlaments. Die Frage ist nun, ob das Parlament zu Beginn der kommenden Woche eine erneute Sitzungspause einlegen wird, damit die Johnsons Konservative ihre Tagung abhalten können. Die Guardian-Journalistin Heather Stewart twitterte vor Kurzem, dass Labour erwarte, dass die Regierung morgen eine dreitägige Sitzungspause beantragen werde, um den Parteitag über die Bühne zu bringen. Einen Vorschlag von Labour, keine Pause einzulegen, sondern stattdessen unstrittige Gesetzesvorlagen zu besprechen, damit die Torys an dem Parteitag teilnehmen können, lehnte die Regierung offenbar ab. Ob sich für den Regierungsantrag eine Mehrheit finden wird, ist offen.
Thomas Balbierer
Thomas Balbierer

Bercow: Johnsons Erklärung soll um 19:30 Uhr starten

Parlamentssprecher John Bercow hat vor wenigen Minuten angekündigt, dass die Erklärung von Premierminister Boris Johnson um 19:30 Uhr (deutscher Zeit) stattfinden soll. Johnsons erste Rede im Parlament nach der von ihm verhängten Zwangspause wird mit Spannung erwartet. Für die BBC ist es sogar eine "Breaking News", dass Johnson vor wenigen Minuten seinen Londoner Amtssitz in Richtung Unterhaus verlassen hat.
© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: