Süddeutsche Zeitung

Brexit:Die Premierministerin zieht die Notbremse

Eine Niederlage in der Abstimmung über den Brexit-Vertrag im Unterhaus hätte May womöglich zum Rücktritt gezwungen. Andererseits kämpft sie nach der Verschiebung erst recht um ihr politisches Überleben.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Theresa May hat die Notbremse gezogen. Es war allzu klar, dass sie am Dienstag bei der Abstimmung über den Brexit-Vertrag im Unterhaus eine krachende Niederlage eingefahren hätte, aufgrund derer sie womöglich zum Rücktritt gezwungen worden wäre.

Denn mit bis zu 200 Gegenstimmen zu ihrem Vorschlag, von denen vielleicht ein Drittel aus der eigenen Partei gekommen wären, wäre sie nicht nur in den Augen ihrer Gegner nicht mehr haltbar gewesen. Auch ihre Befürworter hätten in diesem Fall einräumen müssen, dass May ihre Autorität verspielt hat bei dem Versuch, einen Vertrag durch das Parlament zu drücken, der keinerlei Chance hat.

So tat sie schließlich doch, was sie bis zuletzt dementiert hatte: Sie sagte den Showdown im Parlament ab - um ihn auf den Tag X zu verschieben. Zudem wird sie jetzt tun müssen, was sie eigentlich auch nicht tun wollte: in Brüssel um Nachverhandlungen und kleine Kompromisse bitten, damit sie im zweiten Anlauf daheim etwas vorlegen kann.

Alles entscheide sich noch in dieser Woche - das hört man derzeit überall in Westminster

Sie will immerhin sagen können: Schaut, ich habe es versucht. Man mag das für Schaufensterpolitik halten, aber so ist die Debatte derzeit in London: wenig Substanzielles, viel Redundanz, stattdessen Muskelspiele.

Wenig ist mit der Verschiebung gewonnen - außer jetzt, ganz akut, eine Regierungskrise zu vermeiden. Wobei es paradoxerweise sogar gut möglich ist, dass just der Aufschub der Abstimmung eine solche Krise erst auslöst. Nicht nur gibt es im Parlament heftigen Widerstand dagegen, dass die Regierung den Abgeordneten ihr Votum quasi in letzter Minute aus der Hand nimmt.

Sondern es kursieren auch wieder heftige Gerüchte, dass die May-Gegner in der eigenen Partei genug von dem Hin- und Her haben und sie absägen wollen. Alles entscheide sich noch in dieser Woche - das hört man derzeit überall in Westminster.

May weg und alles gut - diesen Mythos befeuern jene, die ihr jetzt gern nachfolgen würden. Allerlei Machos in allen Parteien verkünden deshalb über die britischen Medien, wie sie verhandeln würden, wie May hätte verhandeln müssen - und dass man nur in Brüssel auf den Tisch hauen müsse, um endlich einen anständigen Vertrag zustande zu bringen. Tatsächlich übersehen diese Besserwisser eine einfache Tatsache: So funktioniert die EU nicht.

Sollte May politisch überleben, bleibt ihr größtes Problem allerdings bestehen. Mays Gang nach Canossa respektive Brüssel dürfte kosmetische Korrekturen, aber keinen grundlegend anderen Vertrag hervorbringen. Daher ginge danach das Gezerre von vorn los. Dann aber wohl erst im neuen Jahr, ohne dass sich klare Mehrheiten für alternative Lösungen abzeichnen würden. Die Uhr tickt.

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