Theresa May und der Brexit:Auf sie mit Gebrüll

Theresa May und der Brexit: Großbritannien ist im Aufruhr - eine Brexit-Demonstration Mitte November in London.

Großbritannien ist im Aufruhr - eine Brexit-Demonstration Mitte November in London.

(Foto: TOLGA AKMEN/AFP)

Eine laute, aber doch eher kleine Gruppe von Tories will unbedingt Premierministerin Theresa May stürzen und eine härtere Brexit-Linie durchsetzen. Mit dem Plan stehen sie jetzt ziemlich verloren da.

Von Cathrin Kahlweit, London

Theresa Mays Gegner in der eigenen Partei fahren schwere Geschütze auf, ihre Rhetorik schwankt zwischen Pathos und Drohungen. Nur: Weit gekommen sind sie damit bisher nicht.

Seit Monaten schon gibt es in London Gerüchte, May stehe kurz vor dem Sturz durch die Brexiteers, die sich parteiintern in der "European Research Group" organisiert haben. Zum Schwur kam es bislang nie; doch nun, da die Premierministerin ihren mit der EU ausgehandelten Austritts-Deal vorgelegt hat und in den nächsten Tagen nach Brüssel fliegt, um mit EU-Unterhändler Michel Barnier und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weiter an der politischen Erklärung über die künftige Zusammenarbeit zu arbeiten, läuft den Meuterern die Zeit davon.

Sie komme Brüssel viel zu sehr entgegen, Großbritannien werde auf ewig in einer Zollunion an Europa gekettet sein, London müsse endlich andere Saiten gegenüber den arroganten und erpresserischen Europäern aufziehen - solche Töne sind seit Langem zu hören. Doch um den Vertrag zu kippen und zu verhindern, dass er, aus Mangel an tragfähigen Alternativen, eventuell doch in wenigen Wochen das britische Parlament passiert, müssten die ERG und einige empörte Kabinettsmitglieder, die das Ergebnis nicht mittragen wollen, das Momentum jetzt nutzen.

Und dann sagte auch noch der Ex-Brexit-Minister Dominic Raab, er stehe trotz allem hinter May

Vergangene Woche hatte es mehrmals geheißen, die nötige Stimmenzahl sei beisammen und 15 Prozent der Abgeordneten, das sind derzeit 48 Abgeordnete, hätten sich geoutet, dass sie May abschießen wollen. Aber dann stellte sich heraus, dass da wohl ein paar Parlamentarier vorlaut gewesen waren; die große Welle wollte sich nicht aufbauen. Übers Wochenende wurde dann weiter fleißig Stimmung gemacht, die kommende Woche müsse die Entscheidung bringen, hieß es. May müsse weg. Aber einer, auf den sie alle gesetzt hatten, der bisherige Brexit-Minister Dominic Raab, der aus Protest gegen den Deal Anfang voriger Woche zurückgetreten war, spielte nicht mit: Er stehe trotz allem hinter May, sagte er der BBC, denn ein Wechsel an der Spitze ändere nichts an den sachlichen Problemen. Und: Er stehe vorerst auch nicht als Nachfolger zur Verfügung.

Dann kam der Montag. "Wir stehen an einer Wegscheide der Geschichte", sagte am Morgen der Tory-Abgeordnete Simon Clarke, der einen der legendären 48 nötigen Briefe eingereicht hat, die laut Parteistatut nötig sind, um May die Vertrauensfrage zu stellen. Clarke forderte die Kollegen in der Fraktion auf, ihre Gewissen zu prüfen und endlich zu tun, was sie versprochen hätten - ihre persönlichen Erklärungen an den Chef des 1922-Komitees, Sir Graham Brady, zu schicken. Aber auch er musste einräumen, dass bisher nur 25 Abgeordnete öffentlich bekannt hätten, zu den Rebellen zu gehören. Ob weitere Tories ihre Briefe heimlich abgegeben haben, ob einige sie abgegeben, aber dann ihre Namen wieder zurückgezogen haben - all das ist in diesem so undurchsichtigen wie antiquierten Verfahren derzeit nicht bekannt.

Und nicht nur das: Der Vorsitzende des Parteikomitees, der die Briefe entgegennimmt, hatte dem Telegraph sogar gestanden, es gebe da offenbar ein paar Maulhelden, die behauptet hätten, sie hätten einen Brief geschrieben, er habe diesen aber gar nicht bekommen. Brady deutete mithin an, da sei von einigen Meuterern kräftig gelogen worden.

Das Land, so Brady, komme ans Ende einer "sehr schwierigen, sehr ernsthaften Verhandlung", und es sei ein Fehler, die Partei und das Land jetzt "in Unsicherheit zu stürzen". Er, der sich selbst gegen den Sturz von May zum jetzigen Zeitpunkt aussprach, verrate daher vorerst niemandem, wie viele Briefe von Parteikollegen bei ihm eingegangen seien, nicht mal seiner Frau.

Das Komitee, das seinen Namen von einem historischen Parlamentarier-Treffen im Jahr 1922 bezieht und aus 18 Personen besteht, ist eigentlich dafür da, die Stimmung unter den Hinterbänklern auszuloten und etwaige Unzufriedenheiten an die Fraktionsspitze zu melden. Aber derzeit steht der Fokus eindeutig auf der Frage, ob Brady in den kommenden Tagen die notwendige Stimmenzahl verkünden - und May sich dann einer Abstimmung stellen müsste. Dann müsste sie die Mehrheit der aktuell 315 Tory-Kollegen im Unterhaus hinter sich versammeln. Traditionell ist man in der Partei bisher immer davon ausgegangen, dass auch ein knapper Sieg mit einer hohen Zahl von Gegenstimmen, die Rede ist gemeinhin von 100, die Premierministerin zum Rücktritt zwingen würde. Aber Theresa May ist aus anderem Eisen: Sie hat bereits angekündigt, sie werde weitermachen - selbst wenn sie mit einer Stimme Mehrheit durchs Ziel geht.

May, die am Wochenende in mehreren Radio- und TV-Interviews ihren Brexit-Deal verteidigte und sich von Hörern mehrmals fragen lassen musste, wann sie endlich das Handtuch werfe, hielt dann am Montagmorgen eine Rede in einem Umfeld, das ihr freundlicher gesinnt war: beim Industriellenverband CBI. Der hat den Deal begrüßt. Dort verkündete die Regierungschefin, wie sie sich die kommenden Wochen vorstellt: weiterverhandeln. Und liefern.

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