Brexit:Mays letzter Versuch

Brexit: Premieministerin Theresa May in der Downing Street 10

Premieministerin Theresa May in der Downing Street 10

(Foto: AFP)
  • Theresa May will ihren Deal mit der EU an diesem Freitag zum dritten Mal vor das Parlament bringen.
  • Unklar ist, ob Parlamentspräsident John Bercow ihr das erlaubt.
  • Unklar ist auch, ob May mit ihrer Rücktrittsankündigung genügend Abgeordnete zu einem Ja bewegen kann.

Von Cathrin Kahlweit, London

Sie will es also noch einmal wissen. Will nicht gehen, ohne es ein letztes Mal probiert zu haben. Möchte vermeiden, dass die Nachrede, wenn sie einmal nicht mehr Premierministerin ist, nur kritisch, verletzend, böse ist. Sie will nicht scheitern. An diesem Freitag soll das Parlament in London nun keinen freien Tag haben, sondern sich doch noch einmal mit dem Austrittsvertrag befassen. Es wird eine dritte Abstimmung geben - aber nicht über das ganze Vertragswerk, das zweimal vom Unterhaus abgelehnt worden ist. Vielmehr hat die Regierung zu einem Trick gegriffen und die beiden mit Brüssel ausgehandelten Teile - das Austrittsabkommen und die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen - getrennt. Parlamentssprecher John Bercow hatte zuvor gewarnt, May dürfe den Deal auf keinen Fall ohne Änderungen erneut vorlegen. Parlamentsanwälte und juristische Berater der Regierung steckten daraufhin die Köpfe zusammen und kamen am Abend mit einem Antrag, der viele im Unterhaus erst einmal schockte: Abgestimmt wird nur über Teil 1. Aber: Ist das rechtens? Würde es ausreichen, wenn der Deal tatsächlich auf den letzten Metern durchgeht und weitere Teile erst später im Jahr verhandelt werden, um nicht an den Wahlen zum Europaparlament teilnehmen zu müssen? Die Regierung stellte sich stumm und verschob Erklärungen auf den Freitagmorgen.

Labour war empört: Man werde bei solchen Tricksereien nicht mitmachen - und nicht zustimmen. Ungewiss war zudem: Wie sehen Mays Chancen aus, das Blatt noch in letzter Minute zu wenden? Der 29. März, dieser letzte Arbeitstag in der letzten Woche des Monats, sollte Brexit-Tag sein. Nachts um 23 Uhr, wenn es in Brüssel Mitternacht ist, sollte der Austritt vollzogen sein. Feiern waren organisiert, Freudenfeste, Trauermärsche, Demonstrationen. Alles abgesagt - außer einem Protestmarsch der europafeindlichen Austrittspartei Ukip, die mittlerweile von Neonazis unterstützt wird. Sie will am Nachmittag vor dem Westminster-Palast aufmarschieren, wenn die Abgeordneten die letzten Stunden der Frist nutzen, die Brüssel ihnen mit der Verschiebung des Austrittsdatums gesetzt hat. Bis zu diesem Freitag, so der Beschluss der EU-27 in der vergangenen Woche, müsse das Parlament eine Entscheidung gefällt und dem Austrittsabkommen zugestimmt haben. Dann gilt eine Verschiebung des Brexit bis zum 22. Mai. Sollte das nicht gelingen, droht am 12. April nach wie vor das brutale Ende: Austritt ohne Vertrag.

May ist bereit, alles zu tun, damit es anders kommt. Noch am Mittwoch hatte sie vor großen Teilen der Fraktion angekündigt, sie werde gehen. Wenn ihr Deal durchkommt. Sie hatte kein Datum genannt, keinen Fahrplan beschrieben, war, typisch May, vage geblieben. Der Saal war so überfüllt, dass nicht alle, die hineinwollten, Platz fanden. Es seien Tränen geflossen, sagen einige. Andere sagen, Mays Junktim sei zur Kenntnis genommen worden. Aber wie ernst hatte sie es überhaupt gemeint?

Die Medien sehen Mays Vorgehen als "Finte"

"Sie geht nirgendwohin", schrieb ein Kabinettsmitglied an eine Journalistin, und es war nicht ganz klar, ob er das als Vertrauensbruch oder als Drohung ansieht. Die meisten Medien interpretierten Mays Schachzug als "Finte", mit der sie widerstrebende Kollegen an Bord bringen wolle. "Back me and sack me" sei die Devise, unterstützt mich, dann seid ihr mich los.

Für viele May-Hasser in der Tory-Fraktion war dies das sehnlichst erwartete Zeichen. Sie wollten May loswerden und verknüpften den Rauswurf mit einem Ja zum Deal. Noch auf dem Treffen der Hinterbänkler, bei dem May ihre kurze - und selbst für Kabinettsmitglieder überraschende - Ankündigung gemacht hatte, erklärten zahlreiche Nein-Sager, sie würden jetzt Ja sagen und Mays Deal doch unterstützen.

Auch eine Reihe von Mitgliedern der so einflussreichen wie reaktionären ERG, der europakritischen European Research Group, schwenkte um. Der wohl prominenteste Hardliner, Jacob Rees-Mogg, entschuldigte sich, dass er seine Meinung geändert habe, er wisse, dass er des Verrats geziehen werde. Mays Deal sei tatsächlich schlecht, allerdings sei ein schlechter Deal eben besser als gar kein Brexit. Aber: Rees-Mogg und zahlreiche andere Tories machten ihre Zustimmung davon abhängig, ob die Freunde von der DUP zustimmten. Täten sie das nicht, blieben sie beim Nein.

Alles hängt nun an der DUP, einer der kleinsten Parteien im britischen Parlament. Die Democratic Unionist Party vertritt probritische, unionistische, ganz überwiegend protestantische Wähler in Nordirland. Und sie hat Theresa May seit deren Wahlniederlage 2017, die ihr eine Minderheitsregierung bescherte, an der Macht gehalten. Bis zuletzt.

"Wir enthalten uns nicht, wenn es um die Union geht"

Aber die DUP lehnt das EU-Austrittsabkommen, das May mit der EU ausgehandelt hat, ab - strikt, kompromisslos und erbarmungslos. Es ist die Regelung für Nordirland, der sogenannte Backstop, deretwegen ihre zehn Abgeordneten bei den jüngsten zwei Voten im Parlament nicht zugestimmt haben - und auch am Freitag nicht zustimmen wollen, sollte May den Deal zum dritten und wohl letzten Mal im Unterhaus zur Abstimmung stellen.

Sollten sich Königreich und EU nach dem Austritt nicht auf einen Vertrag über die künftige Zusammenarbeit einigen können, würde Nordirland, anders als der Rest Großbritanniens, im Binnenmarkt bleiben. Die DUP betrachtet das als Spaltungsversuch, sie will nicht hinnehmen, dass für den Nordteil der Insel andere Regeln gelten sollen als für den Rest des Landes.

Auch der Vorschlag, es reiche ja, wenn sich die DUP enthalte, stößt auf Widerstand. "Wir enthalten uns nicht, wenn es um die Union geht", ließ Fraktionschef Nigel Dodds wissen. Und Parteichefin Arlene Foster bestätigte am Donnerstagmorgen, man werde sich nicht bewegen, solange der Backstop Teil des Abkommens bleibe. Bis zum Donnerstagabend hatte sich die DUP weiterhin nicht bewegt, sie ließ sogar mitteilen, derzeit rede niemand mit ihr.

Derweil hatte die für das Parlament zuständige Ministerin angekündigt, dass man sich für Freitag um eine Sitzung bemühen werde, und dann auch um eine Abstimmung. In all dem Trubel ging völlig unter, dass der Mittwoch eigentlich ja der Tag des Parlaments gewesen war. Acht Vorschläge für Wege zum Brexit hatten zur Abstimmung gestanden, keiner hatte eine Mehrheit gefunden. Am Montag soll es weitergehen, dann will das Parlament besprechen, ob die Ideen, welche die meisten Stimmen bekommen haben, vielleicht in die Zukunft weisen. Eine Zollunion war dabei, und ein neues Referendum. Wer weiß.

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