Brexit:Mr Costa ärgert Mrs May

Brexit: "Es ist eine Farce. Genug ist genug", sagt der britische Abgeordnete Alberto Costa.

"Es ist eine Farce. Genug ist genug", sagt der britische Abgeordnete Alberto Costa.

(Foto: Chris McAndrew / CC-by-3.0)
  • Der konservative Abgeordnete Alberto Costa will an diesem Mittwoch einen Antrag ins Parlament einbringen, der Theresa May die nächste Niederlage bescheren könnte.
  • Costa fordert von der Premierministerin, mit der EU auch im Falle eines No-Deal-Brexit die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten in der EU zu sichern.
  • May sagt, die EU habe dazu gar kein Mandat. Doch es gibt bereits Vereinbarungen mit einzelnen Ländern.

Von Thomas Hummel

Alberto Costa ist ein Glücksfall. Jedenfalls für die Bürgerbewegungen the3million und British in Europe, die die Interessen der etwa 3,8 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und 1,2 Millionen Briten in Europa vertreten. Costa ist ein Abgeordneter der regierenden Konservativen im britischen Parlament. Und er ist Sohn italienischer Einwanderer, seine Eltern sind vom Brexit direkt betroffen. Das macht ihn zu einem Mitstreiter der Bürgerbewegungen. Und zu einem unangenehmen Parteikollegen für Premierministerin Theresa May.

Denn Costa bringt an diesem Mittwoch einen Antrag ins Parlament ein, der wieder einmal zu einer heftigen Niederlage für May führen könnte. Der 47-Jährige fordert, dass die Premierministerin so schnell wie möglich mit der EU darüber verhandeln soll, den Teil der Bürgerrechte aus dem Brexit-Abkommen auszuklammern und unabhängig von den übrigen Vereinbarungen rechtlich bindend umzusetzen. Egal, was sonst beim Brexit herauskommt, also auch bei einer Scheidung ohne Vereinbarung, dem sogenannten No-Deal-Szenario. Das würde den fast fünf Millionen Bürgern, die jeweils im Ausland leben, eine jahrelange Übergangsfrist gewähren, in der sich für sie kaum etwas ändert. Theresa May will das offensichtlich nicht. Am Dienstag erklärte sie zudem im Parlament, die EU habe gar kein Mandat, eine solche Sonder-Vereinbarung zu treffen.

Ob ihr diese Behauptung hilft, den Antrag abzuschmettern, ist sehr fraglich. Kurz darauf sagte Jeremy Corbyn, Chef der größten Oppositionspartei Labour, dass seine Fraktion den Antrag unterstützen werde. Die kleineren Parteien sind ohnehin dafür, außer die nordirische DUP, die mit May koaliert. Doch da auch etwa 60 Konservative ihre Unterstützung schriftlich zusagten, rechnen die Bürgerbewegungen mit einem klaren Votum dafür. "Das ist ein kleiner Schritt der Parlamentarier, aber ein sehr wichtiger, weil sich für uns sonst ein Abgrund auftut", erklärt Maike Bohn. Sie ist vor 25 Jahren von Lübeck nach Großbritannien umgezogen und war mit dabei, als nach dem Brexit-Referendum die Gruppe the3million gegründet wurde.

Wichtige Fragen wie Rente und Gesundheitsversorgung sind ungeklärt

Auch nach Mays Rede am Dienstag bleibt für die fast fünf Millionen Betroffenen die Gefahr eines No-Deal-Brexit bestehen. Eine etwaige Verschiebung des Austrittsdatums würde daran nichts ändern. Zwar beteuern Briten wie auch die EU-Länder, die Rechte der Bürger würden oberste Priorität genießen. Doch bei näherem Hinsehen kommen oft schwerwiegende Probleme zutage. Zum Beispiel bei Fragen der Gesundheitsversorgung, Rente, doppelte Staatsbürgerschaft, Bewerbungen um Aufenthaltsgenehmigungen und sich daraus ergebende Unsicherheiten am Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Dies betrifft Menschen, die oft seit vielen Jahren in ihren Ländern zusammen mit ihren Familien leben. Gut einen Monat vor dem derzeit gesetzlich verankerten Brexit-Tag am 29. März berichten die the3million und British in Europe etwa, dass sich Menschen mit Medizin eindecken, weil sie nicht wissen, ob die Medikamente im April noch von ihrer Krankenversicherung bezahlt werden.

Die Briten haben den EU-Bürgern im Land zwar weitreichende Rechte auch im No-Deal-Fall zugesichert, doch einiges bleibt mindestens vage, etwa die Frage des Familiennachzugs. Kritiker monieren zudem, dass keinerlei Rechtssicherheit für die EU-Bürger verankert sei, dass also künftige Regierungen die Regeln schlichtweg ändern könnten. Der Weg zur Staatsbürgerschaft oder zur neuen Aufenthaltsgenehmigung bestehe laut Maike Bohn aus einem "Wust an Bürokratie", der viel Geld koste. Sie werde das Gefühl nicht los, dass die britische Regierung ihr und den anderen EU-Bürgern nicht wohlgesonnen sei.

In der EU gehen die Länder unterschiedlich mit der Möglichkeit eines No-Deal-Brexit um, die Niederlande oder Frankreich sehen zum Beispiel großzügige Übergangsregelungen vor. Deutschland hingegen hält sich bedeckt. Die Zusicherung der Bundesregierung, die Briten im Land müssten in diesem Fall "nicht sofort" das Land verlassen, hat die etwa 120 000 Betroffenen nicht unbedingt beruhigt. Im Angebot ist derzeit eine dreimonatige Übergangszeit, in der sie sich um einen neuen Aufenthaltstitel bewerben müssten. Denn anschließend würden Briten zu einem Angehörigen eines Drittstaates und perspektivisch auch so behandelt. Zwar berichten Briten in Deutschland, dass die Behörden alles tun, um ihnen zu helfen. Doch die Hoffnung auf einen Sonderstatus ist klein.

Der Vorstoß könnte Costa erheblichen Ärger einbringen

Deshalb schickten the3million am Dienstag einen Brief ins Kanzleramt an Angela Merkel. "Wir bitten Sie, uns Menschen vom Verhandlungstisch zu nehmen und sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, den Abschnitt über die Bürgerrechte des Austrittsabkommens gemäß Artikel 50 umzusetzen", heißt es darin. Die betroffenen Bürger hätten ihr Leben schließlich im Vertrauen auf die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU geführt und an das europäische Projekt geglaubt. Fünf Millionen Menschen entsprächen etwa der Bevölkerung der Slowakei oder Dänemarks, doch diese Gruppe habe kein Mitspracherecht in Brüssel, sondern "wir können uns nur auf ihre Fürsprache verlassen". Der Brief endet mit dem Appell: "Schützen Sie die Kinder Europas."

Ob die EU, wie Theresa May sagte, kein Mandat habe für so einen Schritt, ist mindestens umstritten. Stijn Smismans, Professor für Europarecht in Cardiff, hatte schon 2017 dargelegt, warum aus seiner Sicht ein Abkoppeln der Bürgerrechte sehr wohl rechtens wäre. Doch in der EU hält offenbar die Front, dass in den Brexit-Verhandlungen nichts vereinbart ist, ehe alles vereinbart ist. Dagegen werben einzelne im EU-Parlament wie der Belgier Guy Verhofstadt seit einiger Zeit für das Ausschneiden der Bürgerrechte aus dem Abkommen. Mit Irland, der Schweiz sowie den Ländern der Europäischen Freihandelsorganisation Efta, Norwegen, Liechtenstein und Island haben sich die Briten kürzlich geeinigt, hier bleiben die Bürgerrechte wie gehabt. Was das Unverständnis bei the3million und British in Europe nur vergrößert. "Genau das wollen wir auch, das ist ein Präzedenzfall", sagt Maike Bohn, "uns wird erzählt, das ginge nicht. Aber hier geht es ja doch."

Alberto Costa wusste, dass er mit seinem Vorstoß erheblichen Ärger bekommen könnte. Nach einem Bericht der Times wurde er von Parteikollegen gewarnt, dass sein Antrag unvereinbar sei mit seiner Stellung. Der Abgeordnete arbeitet in der Regierung für Schottlandminister David Mundell. An diesem Mittwoch trat er von diesem Amt zurück, laut der Zeitung Guardian wurde er dazu gedrängt. Bei seinem Antrag will Costa indes bleiben: "Es gibt Leute, denen werden Jobs für kommenden Monat angeboten. Doch sie wissen nicht, welche Bürgerrechte sie dann noch haben. Es ist eine Farce. Genug ist genug."

Zur SZ-Startseite
Lot of people shadows against UK flagged fence

Gefahr eines No Deal
:Die unsichtbaren Dramen des Brexit

Für Millionen EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU kann ein ungeregelter Brexit fatale Folgen haben. Angehörige von Pflegebedürftigen, Arbeitslose oder Grenzarbeiter wissen nicht, wie es weiter geht. Sechs Betroffene erzählen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: