Süddeutsche Zeitung

Brexit:Mays Plan B enthält kaum Neues

  • Theresa May hat im Unterhaus ihren Alternativplan zum verhandelten und abgelehnten Brexit-Abkommen mit der Europäischen Union vorgestellt.
  • Dabei bleibt sie jedoch sehr vage, bekräftigt allerdings das Festhalten am Karfreitagsabkommen, welches den Frieden an der irisch-nordirischen Grenze garantiert.
  • Sie betont die Verhandlungsautorität der Regierung in den Gesprächen mit der EU.

Von Cathrin Kahlweit, London

Gute Karikaturen sagen manchmal mehr als viele Worte, und so beschrieb die Times am Montag plakativ, wie die Stimmung in Westminster kurz vor der jüngsten Rede von Theresa May aussah: Die Zeichnung zeigte eine Premierministerin, die sich die beide Ohren zugestopft hat mit riesigen, nach beiden Seiten herausragenden roten Ohrstöpseln. Die sollten ihre roten Linien im Brexit-Streit symbolisieren. Dazu kreischte sie laut: "Ich höre zu!"

Eben das hatte sie versprochen, am Tag ihrer großen Niederlage vor einer Woche im Parlament, als der Austrittsvertrag, den sie mit der EU ausgehandelt hatte, mit 432 zu 202 Stimmen abgelehnt worden war. Sie werde zuhören, mit Abgeordneten aller Parteien reden, sich alternative Lösungsvorschläge anschauen, gelobte May. Und sie werde sich dann mit einem Plan B an die Kollegen wenden.

Am Montagabend aber wiederholte sie Altbekanntes: Sie wolle keine Verschiebung des Austrittstermins, kein zweites Referendum, keine permanente Zollunion, kein Norwegen-Modell - das wären allesamt Lösungsvorschläge, mit denen sich die Opposition anfreunden könnte. Sie werde, so May kämpferisch, stattdessen mit Brüssel weiter über den so genannten Backstop, die unter Brexit-Hardlinern so verhasste Notfall-Lösung für Nordirland verhandeln. Damit soll unter anderem die nordirische DUP doch noch an Bord geholt werden, die den Vertrag wegen des Backstops strikt ablehnt. May will zusätzliche Experten in diese Verhandlungen schicken und das Parlament mehr als bisher einbinden. Sie betonte aber auch: Es sei die Regierung, die verhandele. Und: Sie wolle im Prinzip auf ihrem Kurs bleiben.

Entscheidend für Mays rote Linien war offenbar vor allem, dass die Gruppe radikaler Brexiteers innerhalb der Tory-Fraktion mit Parteispaltung gedroht hatte, falls May sich Labours Position einer permanenten Zollunion annähern würde. Und so zerschlug May bei ihrem Versuch, die Hardliner in den eigenen Reihen zu befrieden, weiteres Porzellan vor allem dort, wo es am gefährlichsten ist - beim Thema Irland.

Zwei Themen, berichten die britischen Medien, seien zuletzt zwischen May und ihren Ministern diskutiert worden: ein bilateraler Vertrag mit Dublin, in den das Problem Nordirland quasi ausgelagert werden könnte. Demnach würden beide Länder eine unsichtbare Grenze und reibungslosen Handel zusagen, ohne die EU zu involvieren. Dublin winkte sofort ab. Die EU lasse sich nicht aufspalten, sagte der irische Außenminister Simon Coveney. Diese Idee sei ein "Non-Starter".

Seit Jahren ist die im Karfreitagsabkommen festgelegte Kooperation zwischen beiden Seiten nicht mehr zustande gekommen

Die zweite Variante, die von May erwogen worden sein soll: eine Änderung des Karfreitagsabkommens. "Gerade wenn man denkt, es kann nicht mehr verrückter werden", so kommentierte ein entsetzter Fintan O'Toole, renommierter Kolumnist der Irish Times die Sachlage. Der Daily Telegraph vermeldete: "Mays Plan: Das Karfreitagsabkommen könnte umgeschrieben werden." Demnach könnten nach Ansicht von May dem historischen Abkommen, dessen 20. Jahrestag gerade gefeiert worden war, einige Paragrafen hinzugefügt werden. Darin würde sich das Vereinigte Königreich dazu bekennen, eine harte Grenze auf der irischen Insel vermeiden zu wollen. Downing Street, Amtssitz der Premierministerin, dementierte umgehend, dass man den Vertrag abändern wolle.

Angst vor Gewalt

Das Karfreitagsabkommen gilt als Kernstück des äußerst schwierigen Friedensprozesses in Nordirland. 30 Jahre lang hatten sich Katholiken und Protestanten im nordirischen Bürgerkrieg bekämpft, etwa 3600 Menschen kamen dabei ums Leben. Die Katholiken hatten einen Abzug der britischen Truppen, die sie als Besatzer bezeichneten, sowie die Wiedervereinigung der Republik Irland mit dem zum Königreich gehörenden nördlichen Inselteil gefordert. Erst als der mühsam ausgehandelte Vertrag am Karfreitag 1998 unterschrieben war, legten die Paramilitärs der IRA auf der katholischen und diverse Milizen auf der protestantischen Seite ihre Waffen nieder. Aber obwohl Irland und Nordirland politisch und menschlich zusammengewachsen sind, ist die Angst vor Gewalt geblieben. Cathrin Kahlweit

Tatsächlich wäre eine solche Idee fast unmöglich umzusetzen: Das komplexe Vertragswerk trägt nicht nur die Unterschriften der britischen und der irischen Regierungsvertreter, sondern auch die der nordirischen Parteien, die - bis auf die DUP - damals alle zugestimmt hatten. Allerdings hat Nordirland seit zwei Jahren keine Exekutive mehr, weil sich die beiden Regierungsparteien im Januar 2017 heillos zerstritten hatten. Bis heute ist, auch aufgrund veränderter Machtverhältnisse, das Powersharing, die im Karfreitagsabkommen festgelegte Kooperation zwischen beiden Seiten, nicht mehr zustande gekommen. Belfast wird de facto von London mitverwaltet.

Dass sich die irisch-nordirische Grenze als wesentlicher Stolperstein für die Brexit-Verhandlungen erweisen sollte, hat ganz wesentlich mit dem Friedensprozess auf der irischen Insel zu tun, dessen Fundament das Good Friday Agreement bis heute ist. Der irische Journalist Tony Conelly zitiert in seinem Standardwerk "Brexit and Ireland" einen irischen Diplomaten: "Die Logik des Friedensprozesses basiert auf der Entpolitisierung der verfassungsrechtlichen Probleme, und schafft eine Zone aus Frieden und Wohlstand." Beides werde durch das Abkommen garantiert. Es gilt in Dublin wie in Belfast als praktisch unantastbar.

Kontrollen an der irisch-nordirischen Grenze, die nach 30 Jahren Bürgerkrieg endlich befriedet sei, seien zudem auch durch noch so viele hehre Versprechen nicht ganz zu vermeiden, heißt es laut Conelly in Dublin: "Man kann die Grenz-Problematik nicht wegverhandeln. Man kann es einfach nicht."

Wie gefährlich die aktuelle Lage bereits, ist, wurde auf drastische Weise am Wochenende sichtbar, als im nordirischen Derry/Londonderry das erste Mal seit Jahren wieder eine Autobombe hochging. Als Urheber des Anschlags gilt die Neue IRA, eine Nachfolgeorganisation der Irisch-Republikanischen Armee, die Nordirland während der Zeit des Bürgerkriegs mit Terror überzogen hatte. Zwar hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder mal kleinere Anschläge gegeben, aber erst seit dem Brexit-Referendum, so berichten Belfaster Aktivisten, seien die Spannungen zwischen den Bevölkerungs- und Religionsgruppen wieder gestiegen. Politiker aller nordirischen Parteien verurteilten in einem seltenen Zeichen von Einigkeit den jüngsten Bomben-Anschlag.

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SZ vom 22.01.2019/bix/cat
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