Brexit:Legal, moralisch oder lächerlich

Brexit: Wo bleiben die Fortschritte? EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier und sein britischer Gegenpart David Davis (links) am Donnerstag in Brüssel.

Wo bleiben die Fortschritte? EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier und sein britischer Gegenpart David Davis (links) am Donnerstag in Brüssel.

(Foto: Olivier Matthys/AP)

Beim Treffen der Unterhändler von EU und Großbritannien kam zumindest heraus, wie London Brüssels Forderungen einteilt.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Michel Barnier hat die Gabe, eine bittere Erkenntnis in warme Worte zu kleiden. Und so lobte der Brexit-Chefunterhändler der EU zunächst die florentinische Rede der britischen Premierministerin: Diese habe "eine neue Dynamik" in die Gespräche gebracht. Darauf folgte allerdings das Aber: Es könne noch Wochen, wenn nicht Monate dauern, bis ausreichend Fortschritte gemacht seien, um über die künftige Beziehung zwischen der EU und Großbritannien zu sprechen, sagte Barnier am Donnerstag nach Abschluss der vierten Brexit-Verhandlungsrunde in Brüssel. Auch das Europaparlament ist dieser Meinung und will die Staats- und Regierungschefs auffordern, ihre für den EU-Gipfel im Oktober geplante Bewertung dieser Frage zu verschieben - "es sei denn, es gibt einen großen Durchbruch". So steht es im Entwurf einer Resolution, die nächste Woche verabschiedet werden soll.

Weit mehr als ein Jahr ist vergangen, seit die Mehrheit der Briten für den EU-Austritt gestimmt hat. Vor sechs Monaten reichte Premierministerin Theresa May das offizielle Austrittgesuch ein. Am 30. März 2019 wird Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU sein. Bis dahin wollen beide Seiten eine umfassende Vereinbarung aushandeln. London dringt darauf, schon jetzt über die künftigen Beziehungen zu sprechen, vor allem die wirtschaftlichen. Doch dazu ist die EU nur bereit, wenn drei Themen geklärt sind: die Rechte der Bürger in den jeweiligen Gebieten, die finanziellen Verpflichtungen und die Irland-Frage. Erst wenn die Staats- und Regierungschefs der EU "ausreichenden Fortschritt" in diesen Punkten sehen, darf Barnier laut Verhandlungsmandat über das künftige Verhältnis sprechen.

Die wichtigen Streitpunkte zwischen London und Brüssel sind so unklar wie vor einem Jahr

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg. Barnier zählte am Donnerstag die entscheidenden Streitpunkte auf. So lehnen die Briten die Forderung der EU, dass die Rechte ihrer Bürger auch nach dem Brexit unter Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs stehen, weiter ab. Auch in der Frage, unter welchen Bedingungen Familien von in Großbritannien lebenden EU-Bürgern nachziehen dürfen, gab es keine Bewegung.

Barnier kritisierte zudem, dass die britische Regierung bisher immer noch nicht genau gesagt habe, welche Summe sie für eingegangene finanzielle Verpflichtungen aus ihrer EU-Mitgliedschaft zahlen will. In Brüssel werden Zahlen von etwa 60 Milliarden Euro genannt. Der EU-Chefunterhändler wiederholte, was May bei ihrer Rede in Florenz zugesichert hatte: Kein EU-Mitgliedsland soll wegen des Brexit mehr zahlen oder weniger bekommen. Und dann erinnerte er daran, dass May sich dazu bekannt habe, die Verpflichtungen für eine zweijährige Übergangsphase nach dem Brexit voll zu übernehmen. Diese liegen bei etwa 20 Milliarden Euro. Doch was ist mit dem Rest der Brüsseler Forderungen? Von Brexit-Minister David Davis war dazu wenig bis nichts zu hören. Aus Verhandlungskreisen verlautete, dass die EU-Seite jetzt immerhin wisse, mit welchen drei Kategorien London die Forderungen der EU beschreibt. Da wären erstens die "legalen" Verpflichtungen (also offenbar die gut 20 Milliarden Euro). Zweitens gebe es "moralische" Forderungen und zu guter Letzt eben auch "lächerliche" (etwa die Frage, ob Großbritannien auch für die Gehälter von Lehrern an Europäischen Schulen aufkommen muss).

Dass May bereits jetzt eine Übergangsphase nach dem Brexit fordert, hat Barnier "nicht überrascht". Schon länger übt die britische Wirtschaft massiven Druck auf die Regierung aus. Viele Unternehmen drohen damit, angesichts der Unsicherheit Jobs ins Ausland zu verlagern. Im Resolutionsentwurf des Europäischen Parlaments ist aufgeführt, was eine solche Übergangsphase für die Briten bedeuten würde: Sie hätten in dieser Zeit weiter alle Pflichten einer EU-Mitgliedschaft, müssten also auch die Freizügigkeit gewährleisten. Außerdem hieße das: weiter zahlen - aber nicht mehr mitreden. Eine bittere Erkenntnis, die Premierministerin May den Brexiteers unter den Tories nun verkaufen muss. Am Sonntag beginnt der Parteitag in Manchester.

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