Brexit:Knall auf Fall

Eurogruppenchef Dijsselbloem sorgt sich um den Euro und die Märkte, sollten die Briten die EU verlassen. Noch mehr Europa ist aber nicht die Antwort.

Von  Alexander Mühlauer, Brüssel

Es gibt sie sogar in Brüssel: Menschen, die einen Brexit gar nicht so schlecht fänden. Denn, so ihr Argument: Wenn die Briten austräten, könnte die EU endlich stärker zusammenwachsen, vor allem jene Länder, die mit dem Euro bezahlen. Haben die Briten die Gemeinschaft erst mal verlassen, könnte die Vertiefung der Währungsunion so richtig beginnen.

Das Problem ist nur: Zurzeit will keiner der maßgeblichen Akteure anderer Länder über mehr Integration und Vertiefung reden. Vor allem in Paris und Berlin ist die Zurückhaltung groß. Der Euro spielt keine Rolle bei den Überlegungen, wie die EU auf einen Austritt Großbritanniens politisch reagieren sollte. Selbst unter den Europa-enthusiastischen Regierungen herrscht Einigkeit, dass die Integration der Währungsunion die Bürger kaum begeistern wird. Auch nicht in Deutschland, wo die Angst vor zu viel Vergemeinschaftung groß ist, etwa durch eine EU-weite Einlagensicherung der Sparguthaben oder einer europäischen Arbeitslosenversicherung.

Jeroen Dijsselbloem weiß das. Als Präsident der Euro-Gruppe leitet er die Finanzministertreffen der Währungsunion. Und dennoch muss der Niederländer sich auf den Brexit gedanklich vorbereiten. "Hinter jeder Tür reden die Leute darüber, was dann passieren sollte." Es gebe viele Menschen mit großen Plänen für Europa. "Aber nun stellen wir fest, dass viele dieser Ideen strittig sind." Beispiel europäischer Finanzminister. Dijsselbloems Stirn legt sich in Falten, immer wird er für diese Idee in Haftung genommen, obwohl er sie nicht geboren hat. Dijsselbloem rät zur Zurückhaltung: Erst mal müsse man umsetzen, was vereinbart wurde, "anstatt von einem europäischen Finanzminister zu träumen", meint er. Man könne nicht über Nacht sagen: "Da war ein Brexit und wir werden deshalb ein anderes Europa bauen. Das wird nicht passieren."

Ein EU-Finanzminister als Antwort auf den Brexit? "Das wird nicht passieren."

Schon gar nicht innerhalb der Euro-Zone. "Es gibt keinen Plan, den man am Tag danach auf den Tisch legt," sagt Dijsselbloem im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung und sechs weiteren europäischen Blättern. Aber was, wenn an den Börsen Panik ausbricht? "Ich glaube nicht, dass es zu Chaos und Panik kommt," so der Präsident der Euro-Gruppe. Ein Brexit habe sicher negative Auswirkungen auf Europa, aber wie ernst die Lage wirklich wird, könne man nicht wissen.

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Feenkuchen nennen die Briten den Cupcake, der hier einträchtig mit Fahnen dekoriert ist. Die süße Harmonie täuscht aber.

(Foto: Jason Alden/Bloomberg)

Fest steht, dass Dijsselbloem die Angst vor einem Chaos an den Märkten umtreibt. Er würde das nie offen sagen, hat aber zuletzt oft mit Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, gesprochen. Mit dabei waren auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk. Niemand spricht darüber, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde. Klar ist nur: Die Stimmung ist sehr angespannt - und Draghis Kollege von der Bank of England macht daraus keinen Hehl.

Die Notenbank in London hat Notfallpläne erarbeitet, um auf Marktschocks reagieren zu können. Denn wenn die Börsen am Tag nach dem Referendum öffnen, wird ein Brexit Spuren hinterlassen. Die Frage ist: Wie stark stürzt der Kurs des britischen Pfunds ab? Was passiert mit den Aktien der Unternehmen? Die Bank of England steht bereit, mit viel Geld einzugreifen, um die Märkte zu beruhigen. Die EZB hat ihrerseits die großen Banken der Euro-Zone aufgefordert, Notfallpläne zu entwerfen. Sie sollen der Zentralbank erklären, wie sie mit drohenden Marktschocks umzugehen gedenken.

Das ist die geldpolitische Seite. Aber es geht in der Brexit-Debatte nicht nur um Zahlen. Es geht vor allem auch ums Gefühl. Ein Gefühl, das die Bürger in ganz Europa umtreibt, nicht nur in Großbritannien. Dijsselbloem, Sozialdemokrat und niederländischer Finanzminister, beschreibt es so: "In meiner Heimat gibt es genau die gleichen Debatten wie im Vereinigten Königreich. Die Leute wollen wissen: Wie können wir unser soziales Sicherungssystem erhalten? Wie schaffen wir es, unsere Märkte schützen? Unsere Jobs?" Die europäischen Bürger wollen, so Dijsselbloem, "mehr Resultate von der jetzigen EU sehen anstatt sie noch dominanter in unserem Leben zu machen". Das wäre auch schon die Antwort auf die Frage, ob ein Brexit nicht der geeignete Moment für "mehr Europa" wäre.

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"Manchmal hört man in Großbritannien das Argument, dass alle anderen 27 EU-Staaten mit der Integration voranschreiten wollen, aber ich denke, das ist nicht wahr," sagt der Euro-Gruppen-Chef. Für die Währungsunion bedeute das: "Ein Brexit ändert nichts an der Agenda, was in der Euro-Zone zu tun ist." Da wäre vor allem die Vollendung der Bankenunion. Und das ist schon schwer genug.

Das Argument des Pro-Brexit-Lagers, dass London im Kreise der Finanzminister angesichts der Euro-Übermacht nicht mehr viel zu sagen habe, weist Dijsselbloem zurück. Niemals seien die Euro-Länder in seiner Amtszeit als Block aufgetreten und hätten die anderen vor vollendete Tatsachen gestellt. Nur einmal wurde Großbritannien geschlossen überstimmt, damals ging es um Boni für Bank-Manager. Dijsselbloem würde sich jedenfalls ein Großbritannien in der EU wünschen, das sich "nicht zurücklehnt", sondern eine Führungsrolle in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen übernimmt - auch beim umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP.

Eine Debatte über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion wird es wohl erst nach den Wahlen in Frankreich und Deutschland 2017 geben. "Von François Hollande sind keine Initiativen mehr zu erwarten," sagt ein europäischer Diplomat. Erst wenn in Paris und Berlin zwei überzeugte Europäer an der Spitzen stünden, könnte es einen Schub geben. "Dieser Schub muss von Deutschland und Frankreich kommen, vielleicht auch erst nur bilateral", sagt der Diplomat. "Mit 28 Staaten geht das nicht." Mit 27 sicher auch nicht.

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