Süddeutsche Zeitung

Brexit:Johnson will Parlament ausbremsen

Der Plan des britischen Premiers erschwert es den Abgeordneten, einen EU-Austritt ohne Abkommen noch per Gesetz zu stoppen. Labour-Chef Corbyn spricht von einem "Skandal".

Von Alexander Menden

Der britische Premierminister Boris Johnson will dem Unterhaus in Westminster eine etwa fünfwöchige Zwangspause auferlegen. Er teilte den Abgeordneten schriftlich mit, er werde Königin Elizabeth II., deren Zustimmung hierzu laut Gesetz notwendig ist, um eine vorübergehende Schließung des Parlaments bitten.

Am Mittwoch suchten Mitglieder des Kronrats, des politischen Beratungsgremiums der Queen, diese an ihrem Urlaubsort im schottischen Balmoral auf. Sie genehmigte die vorübergehende Schließung. Die "prorogation" (Vertagung) würde das Unterhaus bis zur Verlesung der Thronrede, mit der die neue Sitzungsperiode am 14. Oktober eröffnet werden soll, handlungsunfähig machen. Mögliche parlamentarische Schritte gegen einen ungeregelten britischen Austritt aus der EU am 31. Oktober würden dadurch extrem erschwert.

Offenkundig will Johnson entsprechenden Plänen der Oppositionsparteien zuvorkommen. Sie wollen einen No-Deal-Brexit durch einen Gesetzesentwurf verhindern. Zu dessen Verabschiedung bliebe in Johnsons neuem Plan aber nicht mehr genügend Zeit. Demnach hätte das Parlament von seinem Zusammentritt nach der Sommerpause am 3. September an nur noch wenige Sitzungstage. Danach würden sämtliche parlamentarische Geschäfte bis zur Neueröffnung ruhen. Üblicherweise umfasst die Parlamentspause nur einige Tage.

Johnson bestritt, die Arbeit des Parlaments behindern zu wollen. Er bezeichnete es als zentrales Ziel seines Regierungsprogramms, einen Gesetzentwurf zum Brexit vorzulegen und sicherzustellen, dass dieser vor dem 31. Oktober beschlossen werde. "Wie immer steht meine Tür allen Kollegen offen, sollten sie dieses oder jedes andere Thema besprechen wollen", hieß es in seinem Schreiben.

Der britische Parlamentspräsident John Bercow bezeichnete die Pläne als "Frevel gegen die Verfassung". Es sei "vollkommen offensichtlich", dass die Parlamentsschließung die Abgeordneten davon abhalten solle, ihrer Pflicht gemäß über den Brexit zu debattieren. Der Oppositionsführer, Labour-Chef Jeremy Corbyn, nannte Johnsons "Versuch, das Parlament zu suspendieren, um eine Überprüfung seiner Pläne für einen rücksichtslosen No-Deal-Brexit zu vermeiden", einen "Skandal und eine Bedrohung für unsere Demokratie". Corbyn kündigte an, er werde "mit dem gesamten Parlament daran arbeiten, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen" und den No Deal zu verhindern.

Auch Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon rief die Abgeordneten in Westminster dazu auf, Johnson aufzuhalten - sonst werde "der heutige Tag als ein schwarzer für die britische Demokratie in die Geschichte eingehen". Eine Möglichkeit, die Regierungspläne zu stoppen, wäre ein parlamentarischer Misstrauensantrag gegen den Premierminister unmittelbar nach dem Wiederzusammentritt des Unterhauses am kommenden Dienstag. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass die No-Deal-Gegner in Johnsons eigner konservativer Partei sich hierzu hinter Jeremy Corbyn scharen würden. Von ihrer Unterstützung hinge der Erfolg eines Misstrauensvotums ab.

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SZ vom 29.08.2019
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