Süddeutsche Zeitung

Kritik an Johnson-Plan:"Die Polizei muss uns aus der Kammer entfernen"

  • Viele Abgeordnete fürchten, dass Johnson sie mit der Schließung des Parlaments gezielt daran hindern wolle, einen No-Deal-Brexit noch abzuwenden.
  • Labour-Chef Corbyn teilte in einem Statement mit, er sei "entsetzt über die Rücksichtslosigkeit von Johnsons Regierung".
  • Parlamentssprecher Bercow sieht darin einen "Verstoß gegen die Verfassung".
  • Bürger fordern in einer Online-Petition, das Parlament nicht zu schließen.

Boris Johnsons geplante Schließung des Parlaments stößt in Großbritannien auf heftige Kritik. Viele Abgeordnete fürchten, dass Johnson sie gezielt daran hindern wolle, einen No-Deal-Brexit noch abzuwenden. Mit einer Online-Petition stemmen sich Bürger gegen Johnsons Pläne. Am frühen Mittwochnachmittag hatten bereits mehrere Hunderttausend Menschen unterzeichnet. Damit wird die Petition im Parlament zur Debatte zugelassen - das Quorum liegt bei 100 000 Unterzeichnern.

Auch Parlamentssprecher John Bercow, zeigte sich empört. Johnsons Schritt stelle einen "Verstoß gegen die Verfassung" dar, erklärte er. "Die Schließung des Parlaments wäre ein Angriff gegen den demokratischen Prozess und die Rechte der Parlamentarier als gewählte Volksvertreter", sagte er. Johnson habe ihn auch nicht vorab informiert.

Diese Meinung teilt auch der Ex-Schatzkanzler Philip Hammond. Er gehört zwar zu denjenigen, die mehrfach für einen Brexit gestimmt hatten, einen No-Deal-Brexit allerdings ablehnen. Er twitterte, dass es ein "Verfassungsskandal" wäre, wenn das Parlament "in der Zeit einer nationalen Krise" daran gehindert würde, die Regierung in die Verantwortung zu nehmen. Das sei "zutiefst undemokratisch".

"Entsetzt über die Rücksichtslosigkeit"

Labour-Chef Jeremy Corbyn teilte in einem Statement mit, er sei "entsetzt über die Rücksichtslosigkeit von Johnsons Regierung". Wenn Johnson Vertrauen in seine Pläne habe, solle er das Volk bei "allgemeinen Wahlen oder öffentlichen Abstimmungen" darüber entscheiden lassen. Nach BBC-Informationen hat Corbyn die Queen um ein Treffen gebeten, um über die geplante Schließung des Parlaments zu sprechen.

Die Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, sagte, die zeitweise Schließung sei ein "Akt der Feigheit". Johnson habe einen gefährlichen und untragbaren Weg eingeschlagen. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte die Abgeordneten auf, Johnson noch in der kommenden Woche zu stoppen. Ansonsten werde der Mittwoch als "düsterer Tag" für die britische Demokratie in die Geschichte eingehen. Im Interview mit der BBC sprach sie sogar von "dem Tag, an dem Großbritanniens Demokratie stirbt".

Die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper twitterte: "Boris Johnson versucht, die Königin auszunutzen, um Macht in seinen eigenen Händen zu konzentrieren." Ihr Kollege Clive Lewis erklärte, er werde gemeinsam mit anderen Parlamentsmitgliedern die "Demokratie verteidigen": "Die Polizei muss uns aus der Kammer entfernen. Wir werden die Menschen auffordern, auf die Straße zu gehen. Wir werden eine außerordentliche Sitzung des Parlaments einberufen."

Auch aus Johnsons eigenen Reihen formierte sich Widerstand. Der Remainer und Tory-Hinterbänkler Dominic Grieve sprach von einer "unerhörten Handlung", die zu einem Misstrauensvotum gegen Johnson führen könne und an der die Regierung zerbrechen werde. Rückendeckung kam etwa von Tory-Chairman James Cleverly: "Das ist, was alle Regierungen machen", schrieb er auf Twitter.

Von EU-Seite kommt beißende Kritik an Johnson. Der Brexitbeauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt, twitterte, "Kontrolle zurückholen", das Wahlkampfmotto der Brexitbefürworter bei der Volksabstimmung 2016, habe noch nie so eine unheilvolle Bedeutung gehabt wie jetzt, wo ihr Vorkämpfer Johnson das britische Unterhaus in den Zwangsurlaub schicken wolle, um seine Austrittspläne durchdrücken zu können. "Eine Debatte über tiefgreifende Entscheidungen zu unterdrücken, ist keine überzeugende Hilfe dabei, künftig ein stabiles britisch-europäisches Verhältnis zu liefern", schrieb der belgische Liberale. "Als Mitparlamentarier gilt meine Solidarität denen, die dafür kämpfen, dass ihre Stimmen gehört werden."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4579015
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/dpa/AP/aner/saul
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.