Brexit:Johnsons Plan ist nur ein Luftschloss

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Johnsons Vorschlag ist keine Basis für einen Deal.

(Foto: AFP)

Der Premierminister muss sich nur dick aufblasen wie Hulk, und schon kuschen seine Gegner? Downing Street tut so, als sei ein Austrittsvertrag schon ausgemachte Sache. Doch No Deal ist so wahrscheinlich wie zuvor.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, London

Im Londoner Regierungsviertel konnte man in den letzten Tagen den Eindruck haben, die Vorschläge für eine Nordirland-Lösung im Streit um den Brexit seien in Brüssel auf dankbares Entzücken gestoßen. Die Darstellungen der Downing Street klangen so, als werde die EU alles daransetzen, Boris Johnson "seinen Deal" zu verschaffen. Tory-Abgeordnete gratulierten herzlich, Johnson wirkte selbstzufrieden. Und die Opposition, irritiert, wusste nichts Besseres zu tun, als ihn zum Rücktritt aufzufordern. Angesichts der inszenierten Euphorie auf der Regierungsbank über den vermeintlichen Coup des Premierministers war das ein Schuss ins Leere. Das Johnson-Team hat das Kunststück geschafft, das Königreich ein, zwei Tage lang in den Glauben zu versetzen, der Chef sei eben doch Hulk, der sich nur dick aufblasen muss, dann kuscht der Gegner.

Dabei gibt es keinen Deal, keine Annäherung im Streit um einen Austrittsvertrag, bisher nicht mal neue, intensive Gespräche. Nur Befremden und Abwehr jenseits der britischen Insel. London hat die Verhandler in Brüssel zwar in einigen Punkten positiv überrascht, zugleich aber zwei so große Hürden in seinen Plan gepackt, dass Brüssel kaum darüber springen kann.

Da ist zum einen das Vetorecht der Belfaster Regierung zur regulatorischen Anbindung Nordirlands an die EU, das Michel Barnier zu Recht als "Falle" bezeichnete. Und da ist die Zollgrenze zu Irland, für die hochkomplexe Infrastruktur erst noch entwickelt und organisiert werden müsste. In Nordirland trifft diese Idee, weil unüberprüfbar und wirtschaftsschädlich, auf viel Widerstand.

Johnsons Plan ist daher keine Basis für einen Deal, sondern - noch - ein Luftschloss. Die EU muss nun entscheiden, ob sie zu Kompromissen bereit ist, die vor Monaten noch undenkbar waren. Und ob sie den Briten so weit vertraut, dass sie deren Versprechen glaubt, Kontrollrechte abtritt, einen Blankoscheck auf die Zukunft ausstellt. Neueste Nachrichten aus London deuten darauf hin, dass Johnson bereit sein könnte, die Verhandlungen über den 31. Oktober hinaus fortzusetzen. Das würde Luft schaffen für die intensiven Gespräche, die in jedem Fall länger dauern werden, als die euphorischen Brexiteers sich das träumen lassen.

Johnsons sucht den Rückhalt des eigenen Lagers

Auch die Briten müssten große Kompromisse machen. Die kluge Abgeordnete Anna Soubry hat Johnson bissig zu dem "Deal gratuliert", den er "mit der ERG und der DUP" gemacht habe. Das bringt die Sache auf den Punkt: Johnsons Vorschlag zielt bisher vor allem auf die Zustimmung des eigenen Lagers. Er braucht die ERG, die Brexit-Hardliner, und die DUP, die nordirischen Unionisten, für seinen Plan. Sie wollen in Johnsons Luftschloss einziehen. Aber würden sie auch ein solides Haus kaufen, das eine längere Bauzeit braucht, der EU mehr Kontrollrechte über die Baufortschritte zubilligt und der DUP mit dem Vetorecht auch den Schlüssel wegnimmt?

In Berlin heißt es, man wolle alles tun, um No Deal zu verhindern. Aber man stehe eben auch voll zu Irland. In Dublin heißt es, Johnsons Vorschläge seien undurchführbar - weil sie Nordirland mittelbar ein Mitspracherecht über die Zukunft der Republik Irland geben. No Deal ist daher, trotz des guten Willens der EU-27, heute so real wie vor "Johnsons Deal".

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