Brexit:Großbritannien verstimmt nach Leaks von Brexit-Dinner

Britain's Prime Minister Theresa May welcomes Head of the European Commission, President Juncker to Downing Street in London

Vorher war die Stimmung besser als nachher: Theresa May begrüßt Jean-Claude Juncker in 10 Downing Street.

(Foto: REUTERS)
  • Ein Artikel nennt heikle Details aus einem vertraulichen Abendessen zwischen Jean-Claude Juncker und Theresa May.
  • In London zeigte sich die Regierung verstimmt über die Veröffentlichung.
  • Nicht wenige in Brüssel glauben, die Kommission sei zu weit gegangen. Denn die Indiskretion könnte den Rest von Vertrauen zerstört haben.

Von Thomas Kirchner, Brüssel, und Christian Zaschke, London

Es war nie zu erwarten, dass sich der Abschied Großbritanniens aus der EU harmonisch gestalten ließe. Es geht um viel, nicht zuletzt um viel Geld. Aber dass die Fetzen nun schon so heftig fliegen zwischen den Protagonisten in Brüssel und London, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben, ist überraschend. Der Ton ist deutlich rauer geworden in den vergangenen Tagen, die Samthandschuhe wurden ausgezogen, die ersten Wunden geschlagen. Das Motto in Brüssel: "Wenn die Briten Hardball spielen wollen, dann machen wir das auch."

Vor allem die EU-Kommission, welche die Verhandlungen führen wird, will sich offensichtlich als beinharter Kämpfer für die Interessen der Union präsentieren. "Hardball" hat sie nun mit einem "Leak" gespielt, einer Durchstecherei, die in London größtmöglichen Ärger ausgelöst hat. Ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der unübersehbar in engster Zusammenarbeit mit dem Kabinett von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker entstanden sein muss, nennt heikle Details aus einem vertraulichen Abendessen zwischen Juncker und Premierministerin Theresa May.

In London zeigte sich die Regierung verstimmt über die Veröffentlichung. Innenministerin Amber Rudd bezeichnete sie am Dienstag als "Geschwätz". Es gebe verschiedene Arten und Weisen zu vermitteln, was vor sich gehe, aber diese sei nicht die richtige. Aus Downing Street verlautete, man erkenne in dem Bericht die Realität nicht wieder, und zwar "wirklich, wirklich nicht". May selbst sprach bereits von "Brüsseler Gerede".

Über das Dinner, das vergangene Woche in Mays Amtssitz stattfand, war nicht allzu viel bekannt bisher, selbst die britische Presse wusste wenig. Die offizielle Version, an der beide Seiten nach außen festhalten, lautet, es habe sich um "sehr konstruktive" Gespräche gehandelt. Nicht wesentlich mehr erzählte Juncker am Samstag den EU-Kollegen beim Brexit-Gipfel. Auf einer persönlichen Ebene sei es gut gelaufen, sagte der Luxemburger, "in freundlicher Atmosphäre, und damit meine ich nicht das Essen". Doch habe er den Eindruck gehabt, dass die "britischen Freunde" die "technischen Schwierigkeiten" des Brexit unterschätzten.

In dem Artikel steht, was das Abendessen vielleicht wirklich war: ein Desaster. Zumindest aus Sicht der Kommission. Er verlasse Downing Street "zehnmal skeptischer als zuvor", soll ein "tief schockierter" Juncker seiner Gastgeberin am Ende gesagt haben. Schockiert war der EU-Mann, so muss man schließen, über Mays vermeintliche Naivität, ihren deplatzierten Optimismus. Die Dame habe noch nicht begriffen, "welch grundstürzende Entscheidung der Brexit sei und welche gewaltigen Probleme er aufwerfe". May glaube ernsthaft, ein Abkommen über die Rechte der jeweils im anderen Gebiet lebenden Bürger könne man schon "Ende Juni" schließen. Sie denke, dass Großbritannien Brüssel "keinen Penny" schulde, schließlich stehe von einer Rechnung nach Austritt nichts in den EU-Verträgen.

Die Britin meine sogar, man könne es beim Brexit halten wie beim Opt-out aus der gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik. Da sind die Briten zwar grundsätzlich nicht dabei - dort, wo es ihnen passt, aber doch. Und noch immer hoffe May, neben den Scheidungsverhandlungen parallel schon die künftigen Beziehungen besprechen zu können - wohingegen die EU beim Gipfel endgültig eine Nacheinander-Strategie verabredet hat. "Lasst uns einen Erfolg aus dem Brexit machen", wird May zitiert. Junckers coole Replik: "Der Brexit kann kein Erfolg werden."

Stimmt die Darstellung, hängt May tatsächlich jenen "Illusionen" an, vor denen Bundeskanzlerin Angela Merkel die Briten in ihrer Regierungserklärung am Donnerstag warnte. Allerdings kennt der Leser eben allein die Erzählung der Kommission, die darin im hellsten Lichte glänzt. Das wirft die Frage auf: Zählt es tatsächlich zu den Aufgaben von Junckers Kabinettschef Martin Selmayr, der den Präsidenten begleitete, Details über vertrauliche Gespräche an einen freundlichen Journalisten weiterzureichen? Darauf gab es von der Kommission am Dienstag keine Antwort. "Wir kommentieren keine Kommentare und auch keine Leaks" - selbst dann nicht, wenn sie von uns selber kommen, hätte der Sprecher hinzufügen können.

Hat die Indiskretion in London den Rest von Vertrauen zerstört?

Auge um Auge. Die Kommission, so wird es in Brüssel dargestellt, hat nicht angefangen damit. Vielmehr hätten die Briten provoziert, indem sie vor einer Woche plötzlich bekannt gaben, wegen der bevorstehenden Unterhauswahl nicht weiter an der Haushaltsrevision der EU mitzuwirken, bei der die Prioritäten mit Blick auf aktuelle Krisen neu gewichtet werden. Der Artikel - also die Kommission - sieht dies als Versuch Mays, "den anderen mit solchen Stichen das tägliche Geschäft madig zu machen - um ihre schlechte Verhandlungsposition zu verbessern".

Nicht wenige in Brüssel glauben, die Kommission sei zu weit gegangen in der Absicht, einen Weckruf nach London zu senden. Denn die Indiskretion könnte den Rest von Vertrauen, das für gedeihliche Verhandlungen nötig sei, zerstört haben. Dass Medien so konkret gebrieft wurden, versteht London als unfreundlichen Akt. Schließlich unterminiert das Brüsseler Leck Mays Position mitten im Wahlkampf. Man werde aber nun nicht in einen "Krieg der Briefings" mit der EU-Kommission eintreten, heißt es in der Downing Street, sondern, wie Innenministerin Rudd sagte, die Verhandlungen weiter in "Treu und Glauben" führen. May habe einen klaren Plan und sei die am besten geeignete Person, Britanniens Interessen in Brüssel zu vertreten.

Dass es eine von Theresa May geführte Regierung sein wird, welche die offiziellen Verhandlungen über den Brexit aufnimmt, gilt angesichts der Umfragen als sicher. Geplant ist, pro Monat eine Woche zu verhandeln. Die Delegationen führen Michel Barnier auf Brüsseler und Brexit-Minister David Davis auf Londoner Seite. Die Oppositionsparteien sahen in den Berichten über das Abendessen den Beweis dafür, dass May die Verhandlungen mit Brüssel planlos angehe. Labour-Politiker Keir Starmer, Schattenminister für den Brexit, sagte, die Premierministerin isoliere Großbritannien und zeige nicht Stärke, sondern liege schlicht falsch.

Die Tories hingegen versuchen, die Angelegenheit in ihrem Sinne zu nutzen. Dass so viele Details des Treffens durchgestochen wurden, zeige, dass die Verhandlungen kompliziert würden. Das wiederum bedeute, befand Theresa May am Dienstag, dass Großbritannien sich bei der Wahl am 8. Juni für eine starke und stabile Führung entscheiden müsse, um in den Verhandlungen bestehen zu können. In anderen Worten - für sie.

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