Brexit-Verhandlungen:Auf dem Weg zum Höllentor

Brexit May Juncker

Premierministerin Theresa May trifft EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel.

(Foto: Aris Oikonomou/AFP)
  • Theresa May kehrt mit leeren Händen aus Brüssel zurück. Den vom Parlament gegebenen Auftrag einer neuen Lösung kann sie nicht erfüllen.
  • Die EU-Diplomaten bleiben auch deswegen stur, weil ihnen bis zum Brexit noch genug Zeit bleibt.
  • In Großbritannien sorgt ein Brief von Labour-Chef Corbyn mit Vorschlägen für Diskussionen.

Von Cathrin Kahlweit, London, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Am Donnerstag war Theresa May mal wieder in Brüssel - und musste einmal mehr unverrichteter Dinge nach London zurückreisen. Dass die britische Premierministerin irgendwelche Zugeständnisse erreichen würde, daran hat sie wohl selbst nicht geglaubt. Dabei hatte sie vor gut einer Woche einen Antrag im Unterhaus unterstützt, der Änderungen an der bei den Brexiteers so verhassten Auffanglösung für Nordirland fordert. Sie erhoffte sich davon ein stärkeres Mandat für ihre erneute Reise nach Brüssel.

Der Händedruck mit Jean-Claude Juncker fiel knapp aus. Es gab nicht das kleinste Angebot

Aber die Rechnung wurde ohne die EU gemacht. Hinter den Kulissen mag es Zweifel geben, ob mit einer harten Haltung der No Deal, der vertragslose Ausstieg des Königreichs, wegen mangelnder Kompromissbereitschaft nicht quasi aus Versehen kommen - und ökonomisch auch in Europa großen Schaden anrichten könnte. Aber erst einmal war die Antwort der EU-Spitzen auf Mays Bitte, das mit ihr vereinbarte Austrittsabkommen noch einmal aufzuschnüren, wie erwartet: no way!

Dementsprechend verspannt stand die Britin daher am Donnerstag in Brüssel vor der Presse, der Händedruck mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fiel knapp aus; es gab ja auch nichts zu sagen. Keinen Durchbruch, nicht einmal das kleinste Angebot, mit dem May nach Hause würde zurückkehren können. Man könne über Teil zwei des Vertrags, die Politische Erklärung reden, über die künftigen Beziehungen, das ja, aber eben nicht über das Austrittsabkommen. Auch in London ist den Verhandlern derweil durchaus bewusst, das Großbritanniens Rolle der eines Kindes gleicht, das fünf Mal gehört hat, es gebe keine Süßigkeiten nach dem Essen, und doch zum sechsten Mal quengelt, ohne Süßigkeiten gehe es nicht ins Bett. Zudem hatte es in Brüssel vor dem Besuch Mays massive Verärgerung darüber gegeben, dass sie auf eine rettende Idee der EU wartete. Aber das stieß auf taube Ohren: Großbritannien müsse den innenpolitischen Stillstand, der einer Einigung im Weg stehe, schon selbst auflösen, hieß es.

Die Episode vom Donnerstag steht symptomatisch für das, was bis zum 29. März, dem Tag des britischen EU-Austritts, passieren wird: erst einmal nichts. Der Grund dafür ist relativ simpel. Es ist schlicht noch viel Zeit bis zum Showdown. "Das mag aus Sicht der von einem drohenden No-Deal massiv betroffenen Unternehmen unverantwortlich klingen, aber für EU-Maßstäbe sind gut 50 Tage fast eine Ewigkeit", sagt ein EU-Diplomat. Je weniger Zeit bleibe, desto höher sei die Chance, einen Kompromiss zu finden. Anders gesagt: Für beiden Seiten ist es jetzt noch zu früh, sich in der Sache zu bewegen.

Die Briten nutzen für Einigungen in letzter Minute die Redewendung "in the eleventh hour". Gemeint ist damit sinngemäß ein Deal kurz vor zwölf - und kurz vor zwölf wäre in den Augen Londons womöglich der EU-Gipfel am 21./22. März. Dann könnte es zum Schwur kommen. Man müsse nur warten, wer zuerst blinzelt, betonte Ex-Brexitminister David Davis in mehreren Zeitungsartikeln der vergangenen Tage, und London dürfe es nicht sein. Selbst nach dem Gipfeltreffen, soviel ist beiden Seiten bewusst, wäre noch eine Woche Zeit, um einen Deal vom britischen Unterhaus absegnen zu lassen. Und falls das nicht klappt, heißt es in Brüssel, gäbe es immer noch die Möglichkeit, den Austrittsprozess zu verlängern.

Weil der Brexit natürlich auch ein gewaltiges Politdrama ist, dürfen verbale Attacken nicht fehlen. Einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen könnte, lieferte Donald Tusk am Tag vor Mays Visite in Brüssel. Mit seiner Aussage, dass die Brexiteers einen "besonderen Platz in der Hölle" verdienten, sorgte der EU-Ratspräsident für eine kalkulierte Provokation. Der Brexit-Beauftragte des Europäischen Parlaments, Guy Verhofstadt, setzte noch einen drauf: "Nun, ich bezweifle, dass Luzifer sie willkommen heißen würde. Denn nach dem, was sie Großbritannien angetan haben, würden sie es wohl sogar schaffen, die Hölle zu spalten." Ganz so spaßig fanden das aber nicht alle. Unter den Mitgliedsstaaten gibt es einige, die mit Tusks Einlassung nicht glücklich sind. Oder wie es ein EU-Diplomat ausdrückt: "Der Kommentar ist vermutlich nicht besonders hilfreich."

Labour-Abgeordnete kritisieren ihren Chef Jeremy Corbyn: Er weiche von der Parteilinie ab

Da könnte es schon mehr helfen, dass Labour-Chef Jeremy Corbyn den Tories die Kooperation seiner Partei beim Brexit angeboten hat, wenn May sich umgekehrt auf eine permanente Zollunion einlässt. Das wird in den Medien durchaus als möglicher Durchbruch gesehen. Die Times mutmaßt, damit rücke ein weicher Brexit in Sichtweite. Gleichzeitig wächst der Widerstand vieler Labour-Abgeordneter, die der Meinung sind, Corbyn verlasse damit die Parteilinie, die ein Nein zu Mays Deal vorsieht und, falls Neuwahlen nicht erzwungen werden können, ein zweites Referendum befürwortet. Allerdings gilt Corbyn, der widerstrebend für den Verbleib in der EU Wahlkampf gemacht hatte, als ein in der Wolle gefärbter Leaver. Erst vor wenigen Tagen war ein Video in Umlauf gebracht worden, auf dem der Labour-Politiker vor etwa einem Jahrzehnt heftig gegen Brüssel polemisiert. Auch sind einige einflussreiche Abgeordnete, die zuletzt mit den Tories für den Brexit-Vertrag gestimmt hatten, nicht zur Verantwortung gezogen worden, wie es sonst üblich ist, wenn Schattenminister die Fraktionslinie verlassen.

Vorkämpfer für eine zweite Volksabstimmung über den Brexit, wie Labour-Mann Chuka Umunna, protestierten unterdessen öffentlich gegen das Vorgehen der Parteiführung. Dies sei keine Oppositionsarbeit, twitterte er, sondern die Beihilfe zu einem Deal, der das Land ärmer mache. Er sei, so Umunna, wie viele EU-Fans, völlig "demoralisiert".

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