Großbritannien:"Got Brexit done"

Großbritannien: Nach dem Brexit hat Großbritanniens Premier Johnson nicht viel Zeit, um mit der EU über ein Deal zu verhandeln.

Nach dem Brexit hat Großbritanniens Premier Johnson nicht viel Zeit, um mit der EU über ein Deal zu verhandeln.

(Foto: AFP)
  • In der Nacht zum Samstag verlässt Großbritannien die Europäische Union.
  • Die Freude im Vereinigten Königreich hält sich jedoch in Grenzen. Umfragen auch bei Brexit-Fans zeigen, dass die Skepsis groß und die Erwartungshaltung niedrig ist.
  • Das Brexitministerium wird zum 1. Februar seine Arbeit einstellen. Premier Johnson soll die Verhandlungen mit der EU über die künftigen Beziehungen selbst steuern.
  • Für einen Deal bleiben ihm nur elf Monate Zeit, wenn er die Übergangszeit wie angekündigt nicht verlängern will.

Von Cathrin Kahlweit und Alexander Mühlauer, London

"Get Brexit done", lautete der eingängige Slogan von Boris Johnson, der nach Abschluss und Neuanfang klang. Er überzeugte Millionen streitmüde Briten nach mehr als dreijährigem Ringen, dem Premierminister zu vertrauen, der den Austritt zum 31. Januar 2020, 23 Uhr Ortszeit, null Uhr mitteleuropäischer Zeit, versprochen hatte.

Zum B-Day, zum Brexit-Tag, haben die Tories nun einen neuen Slogan: "Got Brexit done", heißt er, und wer sich an den historischen Tag des Abschieds von der Europäischen Union nach 47 Jahren angemessen erinnern will, kann in der Parteizentrale ein Geschirrtuch mit dem Konterfei von Johnson oder auch eine Teetasse erwerben. In großen Lettern steht darauf, der Brexit sei "done". Geschafft, erledigt. Wer es bedeutsamer möchte, kann auch für fünf Pfund eine Kopie des Austrittsabkommens erwerben, das vom Premierminister eigenhändig unterzeichnet wurde.

Man sollte meinen, Johnson hätte anderes zu tun, als Brexit-Souvenirs zu signieren. Am 31. Januar selbst, dem historischen Datum, wollte sich das Kabinett erst in Nordengland treffen - ein symbolischer Akt, weil Wähler im einst roten Norden scharenweise zu den Tories übergelaufen waren. Am Abend sollte Johnson eine Rede an die Nation halten, während eine Uhr, die auf die Fassade von Downing Street projiziert wurde, die letzten Minuten zählte. Bereits vorab wurde verbreitet: Er wolle jeden Triumphalismus vermeiden, von Hoffnung und Möglichkeiten sprechen - und jene einbeziehen, die diesen Tag als schweren Fehler betrachteten. Das Land könne sich auf "einen neuen Abschnitt in seiner Geschichte" freuen.

Schottland will "auf ewig" die EU-Flagge hissen

Das mit der Freude ist so eine Sache. Umfragen auch bei Brexit-Fans zeigen, dass die Skepsis groß und die Erwartungshaltung niedrig ist. Weil sich bis Ende des Jahres im Alltag nichts ändere, heißt es, seien die Auswirkungen schwer abzuschätzen. Von verbreiteter Euphorie: keine Spur. In Schottland, Nordirland und Wales ist die Stimmung sogar zunehmend feindselig. Alle drei Regionalparlamente haben gegen das Austrittsabkommen gestimmt. Die Schotten planen sogar, die EU-Flagge zu hissen - "auf ewig", wie es in einer emotionalen Mitteilung heißt.

Auch in den Medien ist die Ratlosigkeit zu spüren: "Heute verlässt Britannien die EU" oder "Danke und Auf Wiedersehen" sind nun wirklich keine reißerischen Schlagzeilen an einem Tag, nach dem doch, wie ein Tory-Abgeordneter sagt, "die Sonne endlich über einem freien Land aufgeht".

Das Land ist im Arbeits-, nicht im Feiermodus. Das Brexitministerium wird zum 1. Februar seine Arbeit einstellen; von nun an soll es der Premier selbst sein, der die Verhandlungen mit der EU über die künftigen Beziehungen maßgeblich steuert. Aber wo die Reise hingeht, das wissen die Briten immer noch nicht. Johnson hat ihnen im Wahlkampf eine leere Hülle verkauft und diese auch seit seinem fulminanten Wahlsieg nicht mit Inhalt gefüllt. Britische Medien meldeten am Freitag, die Regierung strebe ein Freihandelsabkommen im "Kanada-Stil" an, was zwar einen weitgehend zollfreien Handel für Waren bedeute, aber auch Einfuhrkontrollen mit sich bringe und den großen britischen Dienstleistungssektor nicht einbeziehe. Andererseits: Die Verhandlungen gehen erst los, und die EU hat deutlich gemacht, sie werde den Briten nicht mehr so entgegenkommen wie beim Austrittsdeal.

Es bleiben nur elf Monate Zeit für einen Deal

In Johnsons Kabinett ist nun Michael Gove dafür zuständig, die Wirtschaft auf das vorzubereiten, was kommt. Wobei die Frage ist: Auf was genau eigentlich? Am Vorabend des Brexit-Tages zitierte Gove ein Dutzend Wirtschaftsverbände zu sich und erklärte, dass sie sich auf mögliche Grenzkontrollen und Abweichungen von bisher geltenden Standards und Regeln einstellen müssten. Dem Vernehmen nach soll Gove ziemlich klargemacht haben, dass nicht alle Unternehmen darauf hoffen könnten, das zu bekommen, was sie möchten - nämlich einen reibungslosen Handel mit den EU-Staaten. Nichtsdestotrotz versprach er, dass die Regierung ein offenes Ohr für die Anliegen der Wirtschaft haben werde.

Für die meisten Unternehmen wäre das neu, schließlich hatte Johnson als Außenminister eine klare Antwort auf die Sorgen der Wirtschaft: "Fuck business." Seitdem er in Downing Street regiert, hat er zwar seine Rhetorik geändert, die Befürchtungen der Unternehmen konnte er aber nicht zerstreuen. Die Wirtschaft hofft nun, dass Johnson alles dafür tut, um einen No-Deal-Brexit am Jahresende zu verhindern. Doch genau dieses Szenario droht, weil der Premier die bis 31. Dezember laufende Übergangszeit auf keinen Fall verlängern will. Es bleiben also nur elf Monate Zeit für einen Deal. Erst dann wäre der Brexit wirklich "done".

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