Süddeutsche Zeitung

Brexit:Ein Brief aus Brüssel - die Rettung für May?

  • Die EU könnte der britischen Premierministerin mit einem Brief helfen.
  • Er enthielte EU-Diplomaten zufolge wohl eine zusätzliche "Klarstellung" zum Nordirland-Problem, würde den Vertrag mit London aber nicht substanziell ändern.
  • Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich Theresa May damit eine Mehrheit im Parlament sichern könnte.

Von Björn Finke, London, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Wie es aussieht, hat Donald Tusk eine Antwort auf seine Frage gefunden. Vor der Weihnachtszeit hatte der EU-Ratspräsident versichert, dass die Europäische Union Theresa May helfen wolle. Die Frage sei nur: wie? Nun, wenige Tage bevor das britische Unterhaus über den Brexit-Vertrag abstimmen soll, scheint Tusk eine Lösung parat zu haben. Zusammen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erwägt er, einen Brief an die britische Premierministerin zu schreiben. Das verlautete am Mittwoch aus EU-Kreisen. Es könne allerdings auch sein, dass die EU-Spitzen erst einmal ein Schreiben mit Forderungen aus London bekommen wollen, um dann darauf zu reagieren.

Ob es zu einem Briefwechsel kommt, dürfte also von May abhängen. In Brüssel hieß es, dass Tusk und Juncker zunächst wissen wollen, welche konkreten Zusicherungen der Premierministerin überhaupt helfen würden, um eine Mehrheit im Parlament vom Austrittsvertrag zu überzeugen. Aus London kam dazu bislang wenig Erhellendes; nur der Hinweis, dass May der Meinung sei, dass ihr ein Briefwechsel kurz vor der entscheidenden Abstimmung am kommenden Dienstag helfen könnte.

Doch was sollte in so einem Schreiben stehen? "Die Europäische Union kann im Grunde nicht mehr tun, als die beim EU-Gipfel im Dezember verabschiedete Erklärung noch freundlicher und vielleicht etwas entschlossener zu formulieren", sagt ein EU-Diplomat. In der Sache dürfte sich aber mit ziemlicher Sicherheit nichts ändern. Die EU will den mit der britischen Regierung vereinbarten Austrittsvertrag nicht mehr aufschnüren. Sollten Tusk und Juncker also einen Brief schreiben, könnten sie wohl lediglich erklären, dass die EU überhaupt kein Interesse am umstrittenen Backstop hat, der Zollkontrollen zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland verhindern soll, falls sich Brüssel und London nicht auf ein Freihandelsabkommen einigen. Des Weiteren könnte die EU versichern, dass sie so rasch wie möglich mit den Gesprächen über die künftigen Beziehungen beginnen möchte.

Im Parlament in London begann am Mittwoch die fünftägige Debatte über den Austrittsvertrag, an deren Ende die Abstimmung steht. Dass May eine Mehrheit findet, gilt als unwahrscheinlich - ob mit oder ohne Brief aus Brüssel. Ursprünglich sollten die Abgeordneten den Vertrag bereits im Dezember billigen, doch die Regierungschefin verschob das Votum, um eine Niederlage abzuwenden. Eine weitere Verschiebung werde es nicht geben, heißt es nun. Stattdessen werde May die erwartete Niederlage nutzen, um Brüssel klar zu machen, dass sie neben einem freundlichen Brief weitergehende Zugeständnisse benötige, vermuten Beobachter. Das könnte etwa eine rechtlich bindende Interpretationshilfe für den Vertrag sein. Derart gewappnet könnte die Konservative das Abkommen noch einmal vorlegen.

Verweigert das Parlament die Zustimmung, droht am 29. März ein Brexit ohne Vertrag. Dann fiele die vereinbarte Übergangsphase weg, in der sich fast nichts ändern soll. Stattdessen würden Zölle und Zollkontrollen eingeführt; an den Häfen käme es zu Staus und Chaos.

Minister vergleicht rebellische Abgeordnete mit Besuchern eines Swingerklubs

Brexit-begeisterte Rebellen in Mays Partei befürchten, dass der Backstop, die Auffanglösung, das Königreich in einer engen Bindung an die EU gefangen halten könnte. Deswegen wollen diese Abgeordneten gegen den Vertrag stimmen - genau wie die nordirische Partei DUP, die Mays Regierung stützt. Umweltminister und Brexit-Vorkämpfer Michael Gove verteidigte das Abkommen dagegen mit einem blumigen Vergleich: Parlamentarier, die glaubten, dass Brüssel noch einen besseren Vertrag anbietet, seien wie Mittfünfziger in einem Swingerklub, "die warten, dass Scarlett Johansson auftaucht".

May erlitt bereits am Dienstagabend und am Mittwoch zwei peinliche Schlappen im Parlament. Am Mittwoch stimmte die Mehrheit der Abgeordneten dafür, dass May sich bereits nach drei Sitzungstagen zu ihrem weiteren Vorgehen äußern muss, wenn der Vertrag wie erwartet durchfällt. Bisher hatte sie 21 Tage Zeit gehabt. May lehnte diesen Antrag ab.

Zuvor hatte die Regierung eine Abstimmung zu ihrem Haushaltsgesetz verloren - das kam zuletzt 1978 vor. Zwanzig Abweichler bei den Konservativen verhalfen einem Änderungsantrag der Opposition zum Sieg. Dieser Antrag erschwert es dem Finanzminister, bei einem Austritt ohne Vertrag Steuern zu senken, um der Wirtschaft zu helfen. In der Praxis wird dieser Antrag wenig Folgen haben. Die zwei Niederlagen zeigen jedoch, dass viele Konservative um jeden Preis einen ungeregelten Austritt verhindern wollen. Die große Mehrheit der Parlamentarier quer durch alle Parteien lehnt einen Brexit ohne Vertrag ab - dennoch ist eine Niederlage für das Brexit-Abkommen am kommenden Dienstag wahrscheinlich.

Die größte Oppositionspartei Labour kündigte für diesen Fall an, ein Misstrauensvotum gegen May anzustrengen. Hätte das Erfolg, käme es zu Neuwahlen.

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SZ vom 10.01.2019/kit
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