In den Wirren um den Brexit geht häufig unter, dass auch das Schicksal von mehr als drei Millionen EU-Bürgern in Großbritannien und etwa 1,2 Millionen Briten in der EU davon direkt betroffen ist. Da es noch immer kein Abkommen gibt, wie es nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU weitergeht, wissen diese Menschen nicht, wie es danach um ihre Bürgerrechte steht. Und das dreieinhalb Monate vor dem Brexit am 29. März.
David Hole, 67 Jahre alt und seit 1993 in München, hat damals als erster britischer Rechtsanwalt die Zulassung erworben, auch in Deutschland als Anwalt zu arbeiten. Er war politisch aktiv in der Labour-Partei und in der SPD. Nach dem Brexit-Votum hat er die Gruppe "British in Bavaria" mitgegründet, als Informationsplattform und Interessengruppe.
SZ: Herr Hole, wie ist die Stimmung unter den Briten in Deutschland?
David Hole: Manche hoffen immer noch, dass alles gut ausgeht. Ich erlebe aber wachsende Sorge und große Wut auf die britische Regierung. Ich war einige Male dabei, wenn die britische Botschaft ihre Bürger einlädt, die aktuelle Lage zu erklären. Dort herrscht aufgeregte Atmosphäre. Für britische Verhältnisse kochen die Emotionen ziemlich hoch.
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Theresa May hat am Mittwochabend ein Misstrauensvotum in ihrer eigenen Konservativen Partei überstanden und kann Premierministerin bleiben. Wie bewerten Sie das?
Soweit ich das überblicke, gibt es bei uns in der Gruppe "British in Bavaria" kaum Unterstützer von Theresa May. Jedoch sind sich alle ziemlich einig, dass die gebotenen Alternativen bei den Konservativen allesamt noch einmal erheblich schlechter wären. Insofern ist das Schlimmste vorerst abgewendet worden.
Wie wollen die EU und Großbritannien nach dem Brexit mit den jeweils anderen Bürgern umgehen?
Die EU hat zunächst vorgeschlagen, für die bis 29. März eingewanderten Bürger sämtliche Rechte zu belassen wie bisher. Doch eigentlich wollen die Briten für ihre EU-Bürger eine Art Sonderstatus schaffen. Der gleicht inhaltlich einer ganz normalen Aufenthaltserlaubnis, die es für alle Einwanderer aus Drittstaaten gibt. Bislang haben EU-Bürger in Großbritannien ein Aufenthaltsrecht, das ist juristisch ein großer Unterschied. Was viele britische Abgeordnete offenbar nicht verstehen: So wie Großbritannien mit seinen EU-Bürgern umgehen wird, so werden die EU-Staaten vermutlich mit den Briten umgehen.
Drohen weitere konkrete Einschnitte für die Briten in der EU durch den Brexit?
Zum Beispiel beim Thema Rente oder Gesundheit: EU-weit gibt es hier ein paar fantastische Errungenschaften. So können zum Beispiel viele britische Rentner in Deutschland zum Arzt gehen, die Rechnung wird dann nach Großbritannien geschickt und von dort aus bezahlt. Diese Regelung gibt es zwischen allen EU-Ländern. Ebenso sind Rentenansprüche garantiert, wenn jemand in verschiedenen Ländern gearbeitet hat. All das steht nach dem Brexit auf dem Spiel. Wir wissen bis heute nicht, ob und wie das System weitergeführt werden kann. Das kann für einige Briten hier sehr teuer werden, zum Beispiel wenn sie in eine deutsche Krankenversicherung wechseln oder auf Renten verzichten müssen. Es war bislang unvorstellbar, dass so etwas passieren könnte.
Wie gehen Sie vor, um solche Verschlechterungen zu verhindern?
Die Gruppe "British in Europe" und die sogenannten "The3Million" EU-Bürger in Großbritannien fordern das sogenannte "ring fencing", also das Einzäunen, das Sicherstellen ihrer Bürgerrechte. Bislang hieß es zwischen der EU und Großbritannien: Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist. Wir wollen, dass die Bürgerrechte garantiert werden, egal, was mit den anderen Teilen des Abkommens passiert. Die Leute wollen endlich wieder in Ruhe leben. Die Unsicherheit wird von Tag zu Tag schlimmer. Die Menschen hören die Uhr ticken, bis zum 29. März ist es nicht mehr lange hin.
Beantragen jetzt viele Briten die deutsche Staatsbürgerschaft?
Es gibt etwas mehr als 100 000 Briten in Deutschland. Seit dem Brexit-Votum haben sich relativ wenige um den deutschen Pass bemüht. Viele erfüllen die Voraussetzungen dafür nicht, weil sie noch nicht lange genug im Land leben. Andere wollen es vielleicht nicht oder nehmen die Gefahren für sich nicht ernst genug. Nach dem Brexit geht dann die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft verloren. Die volle Einbürgerung unter Abgabe des britischen Passes ist aber für viele Leute ein emotional großer Schritt. Ich habe den deutschen Pass 2005 erfolgreich beantragt und hätte das vermutlich nicht gemacht, hätte ich den britischen nicht behalten dürfen. Ich bin Nord-Londoner, ich kann den Engländer nicht aus mir rausradieren. Auf der anderen Seite diente die deutsche Staatsbürgerschaft meiner Integration.
Man hört, dass immer mehr EU-Bürger in Großbritannien von Suizidgedanken sprechen, weil sie die Unsicherheit nicht mehr aushalten.
Dergleichen habe ich noch nicht gehört. Aber die schwierige Lage, in der sich EU-Bürger in Großbritannien befinden, haben sie teilweise Theresa May zu verdanken aus ihrer Zeit als Innenministerin. Sie verfügte, dass in den Behörden gegenüber Migranten ein ablehnendes Klima herrschen solle. Die Beamten machen den Leuten das Leben schwer. Das ist für Briten in Deutschland ganz anders. Ich habe den Eindruck, dass die Behörden hier vieles tun, um die Auswirkungen des Brexits für die Leute abzufedern.
Auf was hoffen die Briten in der EU? Wie soll das Drama um den Brexit enden?
Das beste Ergebnis wäre, wenn der Brexit überhaupt nicht stattfindet. Dass Großbritannien in der EU bleibt. Diese Hoffnung ist meiner Ansicht nach inzwischen sogar begründet. Da das Abkommen mit der EU in London wohl keine Mehrheit erhält, gibt es durch den Zeitdruck vermutlich nur noch zwei Auswege: No-Deal oder No-Brexit. Und ich glaube, dass eigentlich niemand ohne Deal aus der EU austreten will, nicht einmal die harten Brexiteers. Wer will schon aus dem Fenster springen, ohne zu wissen, ob man sich im Erdgeschoss oder im vierten Stock befindet? Niemand weiß, welche Auswirkungen das haben wird. Insofern glaube ich eher, dass Großbritannien das Austrittsgesuch bei der EU im letzten Moment zurückziehen wird, schlichtweg um sich mehr Zeit zu verschaffen. Das würde zwar für enorme Unruhe sorgen, aber es steht dem Land ja weiterhin offen, zu einem anderen Zeitpunkt aus der EU auszutreten. Wenn es besser vorbereitet ist.