Brexit-Gipfel:Impulse müssen jetzt von der anderen Seite des Kanals kommen

Lesezeit: 3 min

  • Die britische Premierministerin Theresa May tritt beim Brexit-Gipfel in Brüssel freundlicher und kompromissbereiter auf als beim letzten Treffen vor einem Monat.
  • Neue Ideen, wie eine mehrheitsfähige Lösung zum Austritt ihres Landes aus der EU aussehen könnte, präsentiert sie aber nicht.
  • Ein ursprünglich für November avisierter Sondergipfel soll erst angesetzt werden, wenn May neue Vorschläge unterbreitet und mehr Rückhalt in der eigenen Partei hat.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Sebastian Kurz ist es, der als Erster diesen Brexit-Gipfel und das Auftreten der britischen Premierministerin Theresa May bilanzieren darf. "Vieles, was sie gesagt hat, war uns bekannt", sagt der österreichische Bundeskanzler und amtierende EU-Ratspräsident am Ende eines überraschend kurzen und eher undramatischen Treffens in Brüssel. Weit vor Mitternacht, nämlich um 22:23 Uhr, hatte der Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk via Twitter das Ende des Gipfels erklärt. Mit einem Durchbruch war ohnehin nicht gerechnet worden, aber im Laufe des Abends wurde deutlich, dass May aus London keine neuen Vorschläge mitgebracht hatte.

Er habe "inhaltlich nichts substanziell Neues" gehört, hatte schon um kurz nach 20 Uhr der Italiener Antonio Tajani verkündet. Er war als Präsident des EU-Parlaments dabei, als May den 27 Staats- und Regierungschefs vor deren Arbeitsdinner ihre Perspektive schilderte. Ihr Auftreten sei "freundlicher und entspannter" gewesen als vor einem Monat beim informellen Gipfel in Salzburg, schilderte Tajani und erkannte den Willen, einen Deal abzuschließen, bevor Großbritannien am 29. März 2019 die Europäische Union verlässt. Schon bei ihrer Ankunft hatte May von "sehr guten Fortschritten" geschwärmt - doch diese kompromissbereiteren Töne reichten den Chefs der EU-27 nicht aus, den für Mitte November avisierten Sondergipfel anzusetzen.

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Stattdessen erhielt EU-Chefunterhändler Michel Barnier den Auftrag, die Gespräche mit den Vertretern der britischen Regierung weiterzuführen. Dass er und sein Team "noch viel mehr Zeit" brauchten und er die Arbeit "ruhig und geduldig" angehen wolle, hatte der Franzose den Journalisten erklärt, bevor auch er Mays Schilderungen bei den eigentlichen Gipfelverhandlungen lauschte. Als May den Raum verlassen hatte, legte Barnier seinen Bericht über den Stand der Verhandlungen vor.

Auftrag an die EU-Kommission: Bereitet den Extremfall vor

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte beim Verlassen des Europa-Gebäudes, dass die EU-Kommission die Vorbereitungen für den Fall eines Scheiterns der Gespräche intensivieren sollte. "Wir haben die Kommission gebeten, sich intensiver mit einem No-Deal-Szenario zu beschäftigen", sagte er. Ähnliche Worte hatte am Mittwochmittag schon Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung gefunden. Wie gut sich die EU bereits auf einen chaotischen Brexit vorbereitet hat und was noch zu tun ist, auch das war Thema beim Arbeitsessen vor dem Gipfel.

Die Knackpunkte haben sich nicht geändert: Es muss einerseits eine Lösung gefunden werden, um Grenzkontrollen auf der irischen Insel zu verhindern und andererseits braucht die Britin May mehr Rückendeckung für ihre Position in der eigenen Partei und im Unterhaus. Dort muss ein Deal ebenso Zustimmung finden wie im Europäischen Parlament. Den Frust vieler Staats- und Regierungschefs mit dem Dauerstreit in London hatte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite auf den Punkt gebracht: "Wir wissen nicht, was sie wollen. Sie selbst wissen nicht, was sie wollen." Erst wenn May über mehr Rückhalt verfüge und Großbritannien neue Vorschläge vorlege, so ein EU-Diplomat, werde ein Sondergipfel angesetzt, um über das fertige Austrittsabkommen zu beraten.

Darin muss auch die irische Frage geklärt werden. Ohne ein völkerrechtlich verbindliches Austrittsabkommen wäre das EU-Mitglied Irland gezwungen, vom 30. März 2019 an das zum Vereinigten Königreich gehörende Nordirland wie einen Drittstaat zu behandeln und etwa Grenzkontrollen durchzuführen. Dies könnte den fragilen Frieden auf der Insel gefährden. Am Wochenende schien eine Lösung nahe: Die Expertenteams aus London und Brüssel hatten sich darauf verständigt, dass Großbritannien nach dem EU-Austritt in einer Zollunion verbleiben könnte; Nordirland solle zudem weiter dem Binnenmarkt angehören. Strittig war allerdings, wie lange diese Auffanglösung (Backstop) gelten soll.

Theresa May hatte bisher darauf bestanden, dass die Backstop-Phase mit einem klaren Enddatum versehen sein müsse, was vor allem die Regierung in Dublin nicht akzeptieren will. In einem Vier-Augen-Gespräch mit dem irischen Premier Leo Varadkar deutete die Premierministerin Verständnis für dessen Position an, dass eine zeitlich befristete Absicherung keine Absicherung sei. Das mag besser als nichts sein, ein Mini-Schritt in die richtige Richtung, aber eben kein Durchbruch.

Im Gespräch mit den Staats- und Regierungschefs sagte May laut EU-Diplomaten auch, dass sie bereit sei, "eine mögliche Verlängerung der Übergangszeit in Erwägung zu ziehen". Ein solches Angebot hatte die EU unterbreitet, um mehr Zeit für die Verhandlungen zu bekommen. Ein echter Joker ist dies aber auch nicht, denn ohne eine Lösung der irischen Frage gibt es kein Austrittsabkommen - und ein solches ist wiederum Voraussetzung für jegliche Vereinbarungen über die Übergangsphase, die nach bisherigem Plan bis Ende 2020 dauern soll. Sie könnte bis Ende 2021 verlängert werden.

Einem britischen Regierungsbeamten zufolge rief May die Noch-Partner dazu auf, in der Endphase der Verhandlungen "Mut, Vertrauen und Führungsstärke" zu zeigen. Dies sei "auf beiden Seiten" nötig, so die Premierministerin. Diese Forderung ist sicher richtig, aber die Voraussetzungen sehr verschieden. Während es kaum Anzeichen dafür gibt, dass die Einigkeit der EU-27 brüchig wird und diese die Detail-Arbeit bei Michel Barnier in guten Händen wissen ("mit jedem Gipfel wächst das Vertrauen in ihn", lobte jüngst ein hochrangiger EU-Diplomat), kämpft May täglich an vielen Fronten.

Die Floskel "Der Ball liegt im Feld der Briten" war in den vergangenen Tagen in Brüssel oft zu hören, denn neue Impulse müssen vor allem von der anderen Seite des Kanals kommen. Daran hat der Brexit-Gipfel nichts geändert.

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