Brexit:Fels der Aufregung

Gibraltar

"Keine Verhandlungsmasse": Die britische Halbinsel Gibraltar.

(Foto: Jorge Guerrero/AFP)

London und Madrid streiten wegen des EU-Austritts von Großbritannien über den Status der britischen Halbinsel Gibraltar. Es geht dabei aber auch um Missverständnisse.

Von Thomas Urban, Madrid

Im Streit zwischen Madrid und London um die Zukunft des britischen Überseegebiets Gibraltar hat der spanische Außenminister Alfonso Dastis versucht, die Aufregungen auf allen Seiten zu dämpfen. Dastis bekräftigte, dass es nicht im spanischen Interesse liege, die 32 000 Einwohner zählende Halbinsel wirtschaftlich zu isolieren. Der Chefminister von Gibraltar, Fabián Picardo, übte indes scharfe Kritik an EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dieser habe mit den Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen den Spaniern faktisch ein Vetorecht bei Abkommen eingeräumt, die Gibraltar betreffen.

Während der Franco-Diktatur (1939 - 1975) war die Grenze zwischen Spanien und Gibraltar gesperrt. Die mehr als 10 000 Spanier, die heute auf der Halbinsel arbeiten, müssen täglich die Grenzkontrollen passieren. Beim Brexit-Referendum in Großbritannien hatten am 23. Juni 2016 rund 96 Prozent der Wähler in Gibraltar für den Verbleib in der EU gestimmt.

Die Halbinsel geriet 1713 unter britische Herrschaft. Obwohl bei einem Referendum 2002 fast 99 Prozent der Wähler eine Beteiligung Spaniens an ihrer Verwaltung ablehnten, halten die großen Parteien in Madrid an Ansprüchen auf Gibraltar fest. Die konservative Volkspartei (PP) unter Premierminister Mariano Rajoy einigte sich mit den oppositionellen Sozialisten und den liberalen Ciudadanos (Bürger), ihre Vorstöße wegen Gibraltar zu koordinieren. Gleichzeitig aber weist Madrid jegliche Ansprüche Marokkos auf die Hafenstädte Ceuta und Melilla, die spanischen Enklaven in Nordafrika, entschieden zurück. Allerdings lehnen die Sozialisten, die in der an Gibraltar grenzenden Region Andalusien traditionell die Regierung stellen, einen harten Konfrontationskurs ab.

Die andalusischen Nachbarorte Gibraltars leiden unter hoher Arbeitslosigkeit, Arbeitsverträge mit Firmen auf der Halbinsel sind daher überaus begehrt. Außenminister Dastis stellte am Montag klar, dass Madrid sehr daran interessiert sei, die Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten. Streitpunkt ist indes seit vielen Jahren der Zigarettenschmuggel. Spaniebs Behörden beschuldigen die Briten auf Gibraltar, nicht entschlossen genug dagegen vorzugehen. Brüssel rügte überdies wiederholt, Gibraltar sei eine Steueroase. Die Steuervorteile nutzen einige Tausend Briefkastenfirmen aus. Über rund drei Dutzend auf der Halbinsel registrierte Firmen laufen angeblich mehr als 60 Prozent des weltweiten Umsatzes bei Online-Glücksspielen, die Gewinne werden auf rund 30 Milliarden Euro vor Steuern geschätzt. Eine weitere Einnahmequelle ist der Tourismus, zuletzt kamen alljährlich rund zehn Millionen Besucher.

Kriegsdrohungen und angebliche Siege der Diplomatie

In Spanien hatte am Wochenende eine Äußerung des früheren Vorsitzenden der britischen Konservativen, Michael Howard, große Aufregung verursacht. Den sensationell aufgemachten Berichten mehrerer Tageszeitungen und Fernsehsender zufolge hatte Howard Spanien mit Krieg wegen Gibraltar gedroht. Außenminister Dastis erklärte, er sei über den "Ton aus London" sehr verwundert, doch stellte er auch klar, dass spanische Medien Howards Aussage zugespitzt dargestellt hätten. Dieser hatte unter Hinweis auf den Krieg von 1982 zwischen Großbritannien und Argentinien um die Falklandinseln erklärt: "Ich bin überzeugt, dass unsere Premierministerin dieselbe Entschlossenheit zeigen und dem Volk von Gibraltar beistehen wird."

Ein Großteil der Madrider Kommentatoren hatte eine Passage in den Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen, für deren Ausarbeitung auf EU-Seite Tusk zuständig war, als Anerkennung der spanischen Ansprüche interpretiert. In dem Brüsseler Entwurf heißt es, auf Gibraltars Gebiet dürfe kein Abkommen über den Brexit "ohne Einverständnis zwischen dem Königreich Spanien und dem Vereinigten Königreich" angewandt werden. Es handle sich um einen "Sieg der spanischen Diplomatie", jubelten konservative Blätter in Madrid.

Chefminister Picardo, ein Llanito, wie die von Andalusiern abstammenden Einwohner Gibraltars heißen, der in Oxford Jura studierte, erklärte dazu, Tusk verhalte sich wie ein Ehemann, der den "Scheidungsstreit mit seiner Frau" auf dem Rücken der Kinder austragen möchte. Der britische Außenminister Boris Johnson sprang Picardo zur Seite: London werde nicht an den Souveränitätsrechten Gibraltars rütteln lassen, die Halbinsel sei "keine Verhandlungsmasse".

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