Süddeutsche Zeitung

Brexit:Gebannte Blicke über den Kanal

Warum EU-Vertreter es nach den zähen Verhandlungen nun meiden, sich in die Londoner Debatte einzumischen.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Gerade mal eine halbe Stunde hatten die Staats- und Regierungschefs der EU-27 bei ihrem Sondergipfel Ende November gebraucht, um das völkerrechtlich bindende Austrittsabkommen und die politische Erklärung über die künftige Zusammenarbeit mit Großbritannien durchzuwinken. Dass niemand jubelte, lag nicht nur daran, dass auch Spitzenpolitiker den Sonntag gern zur Erholung nutzen. Egal ob Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder Jean-Claude Juncker von der EU-Kommission: Sie wissen, dass der entscheidende Kampf nicht in Brüssel geführt wird, sondern jenseits des Kanals.

Und allen ist bewusst, wie begrenzt ihre Möglichkeiten sind, Theresa May zu helfen, eine Mehrheit für den monatelang ausgehandelten Deal zu finden.

Mit "Nichts, wonach man nicht gefragt wird, sollte man tun" hatte Merkel ziemlich gut umschrieben, was sie von eventuellen Solidaritätsbekundungen oder Reisen nach London hält. Dass sich das offizielle Brüssel also so weit wie möglich in Schweigen hüllt, damit möglichst wenig von den Brexiteers zur Provokation umgedeutet werden kann, heißt jedoch nicht, dass die EU-Diplomaten nicht permanent reden - und spekulieren.

Sollte Premierministerin May bei der anstehenden Abstimmung in der kommenden Woche im Unterhaus scheitern, so würde dies fraglos den tags darauf beginnenden EU-Gipfel überstrahlen, auf dem man eigentlich über Migration, Bankenunion und Reformen der Euro-Zone sprechen will.

Die verbleibenden EU-Mitglieder treffen weiter Vorbereitungen für einen harten Brexit

Gerade wenn May eine krachende Niederlage kassieren sollte, rechnen alle mit lauten Rufen nach der Wiederaufnahme von Verhandlungen. "Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll und welche Vorteile London davon hätte", sagt ein EU-Diplomat und seufzt. Wenn überhaupt, dann werde die 36 Seiten lange politische Erklärung aufgeschnürt, weil es sich hierbei nicht um einen Rechtstext handelt: "Aber dann kommen alle umstrittenen Themen wieder hoch, von Fischereirechten in britischen Gewässern bis zum Status von Gibraltar." Auch wenn sich die 27 EU-Staaten neuen Gesprächen letztlich gar nicht verweigern könnten, fasst ein anderer Spitzendiplomat die Auffassung so zusammen: "Jeder Satz der politischen Erklärung ist schon so positiv wie nur möglich formuliert."

Dass die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten und die EU-Kommission weiter Vorbereitungen treffen, um sich auch mit neuen Gesetzen für einen "harten Brexit" am 30. März 2019 zu rüsten, habe nichts mit Drohgebärden zu tun, betonen alle. Es handele sich schlicht um "verantwortungsvolles Regierungshandeln". Die Arbeit an den preparedness-Plänen wird erst eingestellt, wenn nach einem "Ja" aus London auch das Europaparlament zustimmt. Bis dahin treffen sich die zuständigen Experten der Kommission regelmäßig - momentan zwei- bis dreimal pro Woche.

So sehr es nun viele EU-Beamte, Diplomaten und Journalisten in Brüssel auch frustrieren mag: Mehr als gebannt zu verfolgen, was sich jenseits des Kanals in London tut, ist gerade nicht möglich. Ob Theresa May es doch gelingen wird, eine Mehrheit für den Deal zu bekommen oder ob die Dynamik zu Neuwahlen oder einem zweiten Referendum führt, wartet Brüssel gespannt ab.

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SZ vom 04.12.2018/bix
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