Brexit:Die EU wartet auf die Entscheidung in London

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Jean-Claude Juncker, Kommissionspräsident der EU, schaut am Ende einer Pressekonferenz auf seine Uhr. (Foto: Virginia Mayo/dpa)
  • Nach der Ablehnung des Brexit-Deals muss die EU-Spitze die weitere Entwicklung in Großbritannien abwarten.
  • In Brüssel werden insbesondere zwei Szenarien für möglich gehalten: Sollte Premierministerin May eine Allianz mit Oppositionsführer Corbyn schmieden, könnte es doch noch zu einer Zollunion kommen.
  • Andernfalls muss May versuchen, eine Mehrheit für einen ganz neuen Vorschlag zu organisieren.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Am Tag danach hat Theresa May nicht in Brüssel angerufen. Was hätte sie angesichts ihrer krachenden Niederlage im britischen Unterhaus auch sagen sollen? Erst wenn die Premierministerin eine Parlamentsmehrheit für einen neuen Vorschlag hinter sich hat, ist die EU bereit, mit ihr zu verhandeln. Immerhin ist der Kontakt seit dem Brexit-Votum in London nicht ganz abgerissen: May und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hätten zwar nicht miteinander gesprochen, "aber sie schreiben sich Textnachrichten", sagte Junckers Sprecher am Donnerstag. Für Freitagnachmittag haben May und Juncker ein Telefonat vereinbart, kündigte Junckers Sprecher Margaritis Schinas an. May habe um das Telefonat gebeten.

Die EU-Spitze setzt darauf, dass May nun ohnehin erst einmal mit jemand anderem spricht: Labour-Chef Jeremy Corbyn, dem Oppositionsführer im Unterhaus. Der habe allerdings, so erzählt man es sich in Brüssel, nicht einmal die Mobilfunknummer der Premierministerin. Als Corbyn im September von einem EU-Diplomaten gefragt wurde, ob er Mays Handynummer habe, "schaute der mich an, als käme ich aus einer anderen Galaxie".

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Bis auf Weiteres bleibt der EU nicht viel anderes übrig als abzuwarten, bis May in London sondiert hat. In Brüssel werden insbesondere zwei Szenarien für möglich gehalten. Erstens: Sollte es May gelingen, eine Allianz mit Corbyn zu schmieden, könnte aus London doch noch der Wunsch kommen, in einer Zollunion mit der EU verbunden zu bleiben. Labour hatte sich immer wieder dafür ausgesprochen. Möglich wäre auch eine Mitgliedschaft Großbritanniens im Europäischen Wirtschaftsraum, dem Norwegen, Liechtenstein und Island angehören. In London gibt es auch auf Seiten der Tories eine gewisse Sympathie für ein "Norwegen-Plus"-Abkommen.

Die EU ist nach wie vor für alle Vertragsmodelle zu haben, die sie mit anderen Staaten geschlossen hat. Egal ob Kanada, der Ukraine oder Japan. Für den ein oder anderen Weg müsste May aber eine ihrer roten Linien preisgeben. So hatte die Premierministerin etwa eine britische Mitgliedschaft in der Zollunion ausgeschlossen.

Sollte May es allerdings nicht schaffen, mit Corbyn einen Deal hinzubekommen, kursiert in der EU eine zweite Option: May müsste versuchen, eine Mehrheit mit den Stimmen der Tories und der nordirischen DUP für einen ganz neuen Vorschlag zu organisieren. Dann ginge es erneut um jene Frage, die Brüssel und London in den vergangenen Monaten am stärksten beschäftigt hat: die irische. Damit stünde erneut der umstrittene Backstop im Fokus. Diese Auffanglösung soll verhindern, dass zwischen Nordirland und Irland eine gesicherte Grenze entsteht, sollten sich Brüssel und London nicht auf ein Abkommen über die künftige Beziehung einigen können.

Weil die Lage in London unberechenbar ist, bereitet sich die EU weiter auf ein No-Deal-Szenario vor. Möglich wäre es auch, den Austrittsprozess zu verlängern. "Noch ist es zu früh darüber zu entscheiden", sagt ein EU-Diplomat. Es gebe weder ein entsprechendes Signal aus London, noch habe die EU ein Interesse daran - dann wäre nämlich der Zeitdruck weg, eine Lösung zu finden.

© SZ vom 18.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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