Süddeutsche Zeitung

Brexit:Einigung im Brexit-Streit um Nordirland

Die EU und Großbritannien finden einen Ausweg aus dem Konflikt über Warenkontrollen. Ohne die Vereinbarung wären Zollschranken nötig geworden, die Unruhen angeheizt hätten.

Von Thomas Kirchner

Mehr als drei Jahre nach dem Brexit wollen Großbritannien und die EU den bitteren Streit über das Austrittsabkommen endlich hinter sich bringen. Premier Rishi Sunak und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verständigten sich am Montag in Windsor nahe London auf eine Änderung des sogenannten Nordirland-Protokolls. Die EU kommt damit britischen Sorgen entgegen, Nordirland könnte durch den Brexit benachteiligt und der Frieden in Irland gefährdet werden. "Wir haben einen entscheidenden Fortschritt gemacht", sagte Sunak. Großbritannien und die EU hätten ein "neues Kapitel" aufgeschlagen. Von der Leyen sagte, man könne stolz sein auf das Ergebnis.

Die Nordirland-Frage hatte sich in den Brexit-Verhandlungen als schwierigstes Problem erwiesen. Beide Seiten wollten eine "harte Grenze" mit Warenkontrollen zwischen der Republik Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland vermeiden. Ohne eine Vereinbarung wären solche Kontrollen nötig geworden, da das Königreich den EU-Binnenmarkt und die Zollunion verlassen hat. Dies wiederum könnte den Nordirland-Konflikt anheizen, weil militante nordirische Katholiken Schlagbäume als Provokation ansähen.

Die von der Regierung Theresa Mays mit der EU ausgehandelte Lösung für das Problem scheiterte 2019 bei drei Abstimmungen im Unterhaus. Ihr Nachfolger Boris Johnson einigte sich mit Brüssel auf das Nordirland-Protokoll und führte sein Land auf diese Weise aus der EU. Der Text verschiebt das Problem: Statt zwischen den beiden Teilen Irlands werden die Waren zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs, de facto in nordirischen Häfen, kontrolliert. Pro-britische Kräfte in Nordirland wie die Democratic Unionist Party (DUP) befürchten, dass ihr Landesteil auf diese Weise nicht mehr gleichberechtigter Teil des Vereinigten Königreichs bleibt. Zudem sahen Unternehmen den innerbritischen Handel erschwert.

Gemäß dem "Windsor-Rahmen" sollen Waren, die in Nordirland bleiben sollen, nicht kontrolliert werden. Nur wenn Güter für die Republik Irland und damit die EU bestimmt sind, sollen die vollen Formalitäten anfallen. Nordirland bleibt de facto Teil des EU-Binnenmarkts, doch kann das nordirische Parlament mit der "Stormont-Bremse" sein Missfallen über die Anwendung neuer Binnenmarktregeln in Nordirland ausdrücken. Die britische Regierung kann dann ein Streitschlichtungsverfahren in Gang setzen, an dessen Ende der Europäische Gerichtshof entscheidet.

Am Abend wollte Sunak das Parlament informieren. Es wird mit Zustimmung sowohl seiner Tories als auch der oppositionellen Labour Party gerechnet. Die DUP blieb bis zuletzt skeptisch. Berichte irischer Medien, dass auch sie das Ergebnis billigen könnte, nannte DUP-Chef Jeffrey Donaldson am Montag "frei erfunden". Man werde sich die Details in Ruhe anschauen. Die DUP blockiert die Regionalregierung in Belfast.

Einige Aufregung rief hervor, dass von der Leyen am Abend auch König Charles treffen wollte. Konservative Politiker zeigten sich verärgert, dass der Monarch auf diese Weise in die Politik hineingezogen werde. Die EU-Kommission versicherte, der Brexit sei kein Thema bei dem Treffen.

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