Brexit:EU nicht bereit zu Nettigkeiten gegenüber Großbritannien

Jeremy Corbyn Sets Out Labour's Position On Brexit

Stoppt den Brexit! Das fordern Demonstranten vor dem britischen Unterhaus.

(Foto: Jack Taylor/Getty Images)
  • Am Mittwoch wird die EU-Kommission einen Entwurf des Brexit-Vertrags beschließen.
  • Auf 120 Seiten formuliert die Behörde, worauf sich EU und Großbritannien aus ihrer Sicht bereits politisch geeinigt haben.
  • Doch das ist das Problem: Immer wieder stellt sich heraus, dass die britische Seite eine andere Vorstellung hat - oder auch gar keine.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer, Brüssel

Er könnte jetzt nett sein. Er könnte jetzt eine diplomatische Ausflucht finden. Aber Michel Barnier, Chefunterhändler der EU-Kommission für den Brexit, denkt gar nicht daran. Er hat gerade die Europaminister der 27er-EU über den Stand der Dinge unterrichtet. Nun wird er gefragt, ob er - wie EU-Ratspräsident Donald Tusk - den Drei-Körbe-Plan der britischen Regierung als "pure Illusion" abtut. Der Plan sieht im Prinzip vor, dass die Briten selbst entscheiden, welche EU-Regeln sie ganz, ungefähr oder gar nicht übernehmen.

"Meine Antwort ist Ja. Ich teile die Einschätzung des Präsidenten des Europäischen Rates", sagt Barnier. Die Vorstellung sei "illusorisch, dass wir Rosinenpicken akzeptieren würden". Es gehe um die "Integrität des Binnenmarktes", und die Briten wüssten sehr gut, was das bedeute. Sie hätten ihn ja schließlich 43 Jahre lang mit aufgebaut.

Es ist nicht die Zeit für Nettigkeiten. "Die Uhr tickt, die Zeit schreitet voran", sagt Barnier, und er sagt das nicht zum ersten Mal. Ende März 2019 verlässt das Vereinigte Königreich die EU. Damit dies geordnet vonstatten gehen kann, muss im Herbst der Austrittsvertrag fertig sein. Einen Entwurf für dieses Abkommen wird die EU-Kommission an diesem Mittwoch beschließen. Auf 120 Seiten formuliert die Behörde, worauf sich EU und Großbritannien im Dezember aus ihrer Sicht politisch geeinigt haben in Sachen Bürgerrechte, Finanzen und Irland.

Doch genau das ist das Problem: Immer wieder stellt sich heraus, dass die britische Seite eine andere und manchmal auch gar keine Vorstellung hat. "Es gab Themen, bei denen es keine Fortschritte gab und Themen, bei denen es überhaupt keine Verhandlungen gab, und das bereitet mir Sorge", sagt Barnier. Besonders heikel ist das Thema Irland. Hier nämlich bleibt die britische Seite jene "kreativen" Lösungen schuldig, die eine Zollgrenze zwischen der zur EU gehörenden Republik Irland und Nordirland überflüssig machen sollen. Man warte da auf "konkrete Vorschläge", mahnt Barnier.

May wirkt wie eine Gefangene der irren Brexiteers

Das alles klingt fast schon ein wenig hilflos. Denn im Grunde kann die EU nicht viel mehr machen als abwarten. Am Freitag will Premierministerin Theresa May ihre nächste Brexit-Rede halten. In Brüssel erhoffen sich die Verhandler endlich mehr Klarheit, was die Regierung in London eigentlich will. Ein Kurs ist bislang nicht erkennbar.

Im Gegenteil: Premierministerin May scheint Gefangene der aus Brüsseler Sicht irren Brexiteers. Das Konkreteste, was man aus London gehört habe, sei der Wunsch von David Davis nach einer Art Ceta-Abkommen gewesen, sagt ein EU-Diplomat. Nur ist eben offen, was dem Brexit-Minister mit einem erweiterten Freihandelsabkommen nach kandischem Vorbild vorschwebt.

Die EU zeigt sich dafür offen, hat aber eine rote Linie gezogen: Es wird keine Bevorzugung bestimmter Sektoren, wie etwa der für London wichtigen Finanzwirtschaft, geben.

Erste Differenzen zum Brexit in der EU

Bis es überhaupt um die Frage der künftigen Beziehungen geht, müssen zunächst die Bedingungen der Übergangszeit nach dem offiziellen EU-Austritt am 29. März 2019 geklärt werden. Geht es nach der Europäischen Union, soll das Königreich bis zum Abschluss eines Handelsabkommens alle Pflichten eines EU-Mitglieds weiter erfüllen - allerdings ohne mitreden zu dürfen. Dieser Souveränitätsverlust ist für die Brexit-Hardliner eine Provokation, sie warnen schon jetzt vor einem "Vasallenstaat".

Innerhalb der EU zeichnen sich deshalb erste Uneinigkeiten ab. Aus der Sicht so mancher Mitgliedsstaaten hat Großbritannien durchaus recht, wenn es all jene Bürger anders behandeln will, die sich während der Übergangsphase im Vereinigten Königreich niederlassen. Schließlich wussten sie ja, dass Großbritannien die EU verlassen wird - anders als diejenigen, die schon vor dem Brexit-Referendum dort lebten und arbeiteten.

Debatten um die Dauer des Brexit-Prozesses

Die Regierung in London will beiden Gruppen nicht dieselben Rechte einräumen. Das wiederum stößt im Europäischen Parlament auf erbitterten Widerstand. Die Abgeordneten wollen keinerlei Einbußen für EU-Bürger hinnehmen. "Das Europaparlament wird Barnier in dieser Frage in Geiselhaft nehmen, schließlich muss es am Ende zustimmen", sagt ein EU-Diplomat.

Umstritten ist unter den Mitgliedsstaaten außerdem die Dauer der Übergangszeit. Das Europaparlament hatte maximal drei Jahre gefordert. Den EU-Staaten wäre es am liebsten, wenn Großbritannien die Gemeinschaft zum 31. Dezember 2020 verlassen würde, dann läuft der mehrjährige Haushaltsrahmen aus.

Während Deutschland und Frankreich auf ein möglichst exaktes Enddatum der Übergangsperiode dringen, sind die Benelux- und ostmitteleuropäischen Visegrád-Staaten dafür, dieses offen zu lassen. "Wenn die innenpolitischen Turbulenzen in London anhalten, wird es schwierig werden, bis Ende 2020 ein Abkommen über die künftige Beziehung zustandezubringen", warnt ein EU-Beamter.

Bis auf Weiteres wollen die Mitgliedsstaaten aber an ihrem Zeitplan festhalten. Beim EU-Gipfel am 22./23. März ist geplant, dass die Staats- und Regierungschefs die nächsten Verhandlungsrichtlinien beschließen.

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