Süddeutsche Zeitung

EU:Union der 27 Brexit-Frustrierten

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Von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Mark Rutte verbirgt seinen Brexit-Frust nicht. Die Entscheidung des britischen Unterhauses, einen "No Deal" auszuschließen, sei so viel wert wie ein Votum der Titanic, dass der Eisberg doch bitte aus dem Weg gehen solle, klagte der niederländische Ministerpräsident in dieser Woche. Auch für den Wunsch der Briten, den Austrittsprozess über den 29. März hinaus zu verschieben, fand Rutte ehrliche Worte: "Warum sollen wir weitere Monate mit Quatschen vertun, wenn wir uns seit zwei Jahren im Kreis drehen?"

Am Freitag bekam Rutte Besuch von Donald Tusk. Der EU-Ratspräsident will vor dem Gipfeltreffen am kommenden Donnerstag und Freitag ausloten, zu was die Staats- und Regierungschefs bereit sind. Rutte bekräftigte nach dem Gespräch in Den Haag seine Überzeugung, dass das ausgehandelte Austrittsabkommen "der einzige Deal auf dem Tisch" sei. Wenn Premierministerin Theresa May einen Antrag auf Verlängerung bei der EU der 27 einreiche, müsse sie eine klare Antwort auf die Frage liefern: "Wozu? Wie soll am Ende das Verhältnis aussehen?"

So deutlich wie Rutte äußern sich bei Weitem nicht alle. Während Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin betonte, dass der nächste Vorschlag aus Großbritannien kommen müsse, ist die Botschaft aus Paris schon präziser. Eine "kurze technische Verlängerung" um zwei bis drei Monate sei denkbar, wenn das britische Unterhaus in der kommenden Woche dem Vertrag im dritten Anlauf zustimme, heißt es aus dem Élysée. Eine längere Verschiebung des Brexit sei hingegen nur angemessen, wenn May als Grund eine Alternative wie ein Referendum oder Neuwahlen nenne.

In Brüssel sieht man das nicht ganz so streng. Möglich wäre eine längere Verschiebung laut EU-Diplomaten auch, wenn May eine klare Strategie für eine Konsensfindung in London vorlege. Doch ob eine solche existiert, daran gibt es in vielen Hauptstädten Zweifel. "Mays Position ist selbst innerhalb ihres Kabinetts dermaßen geschwächt, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass sie einen Plan für die Verschiebung hat, den sie auch durchsetzen kann", sagt ein hoher EU-Beamter. Keine Frage, der Frust über May ist in Brüssel groß. Und doch dürften sich die Staats- und Regierungschefs einer Verlängerung nicht verschließen. Die meisten von ihnen haben es zwar satt, dass der Brexit ihr Gipfeltreffen einmal mehr überlagern wird, aber am Ende gelte eben eine Erkenntnis, wie ein EU-Diplomat sagt: "Keiner will den Schwarzen Peter dafür bekommen, so kurz vor der Europawahl für das Chaos eines ungeordneten Brexit verantwortlich zu sein." Dies gelte auch für die mitunter harsch auftretenden Franzosen, die fürchteten, dass sich etwa Fischer, die unter einem harten Brexit enorm zu leiden hätten, den Gelbwesten-Protesten anschließen könnten.

So unübersichtlich die Lage in London noch immer ist - eines gilt auf EU-Seite als gesichert: Sollte May den Abgeordneten im Unterhaus in der kommenden Woche ein Ja zum Austrittsvertrag abringen, kann das Europaparlament zügig zustimmen. Unter den EU-Staaten wird sich in diesem Fall niemand gegen eine kurze Verlängerung bis zur Europawahl Ende Mai oder bis kurz vor der konstituierenden Sitzung des neuen EU-Parlaments Anfang Juli aussprechen.

Schwieriger wird es, wenn es keinen Deal vor dem offiziellen Brexit-Datum am 29. März gibt. Dann würde May die EU wohl um eine längere Verschiebung des Austrittsprozesses bitten. Das würde bedeuten, dass die Briten an der Europawahl teilnehmen. Die britischen Abgeordneten dürften dann den neuen EU-Kommissionspräsidenten wählen. Ihre Rechte können nicht so einfach beschnitten werden.

Anders sieht es aus, wenn es um Entscheidungen auf Ministerratsebene geht. "Die EU wird darauf pochen, dass London zusichert, bei den Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen nicht mitzureden", sagt ein EU-Diplomat. Dieser beginnt 2021. Bis dahin sollte auch die im Austrittsvertrag vereinbarte Übergangsphase laufen, in der sich für Großbritannien so gut wie nichts ändert. 21 Monate wären das. So lange ließe sich der Brexit aufschieben, findet etwa Irland. Nicht nur Dublin hofft, dass man sich in London bis dahin auf ein Modell für die künftige Beziehung mit der EU verständigt hat.

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SZ vom 16.03.2019
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