Süddeutsche Zeitung

Brexit:Die EU muss hart bleiben

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Um ihre Stellung als globale Handelsmacht zu bewahren, sollte die EU gegenüber Großbritannien geschlossen und konsequent vorgehen.

Kommentar von Björn Finke, London

Agathokles, der Tyrann von Syrakus, befahl seinen Soldaten, die Schiffe zu verbrennen, mit denen sie in Nordafrika gelandet waren. Der Legende nach wollte er im Krieg gegen Karthago einen Rückzug unmöglich machen und so Entschlossenheit beweisen. Gut 2500 Jahre später lässt Boris Johnson, Volkstribun zu London, per Gesetz eine Verlängerung der Übergangsphase nach dem Brexit ausschließen. Der britische Premier will sich und seinem Verhandlungspartner, der EU, so die Möglichkeit rauben, die Gespräche über die künftigen Beziehungen länger hinzuziehen. Genau wie Agathokles möchte Johnson Entschlossenheit zeigen und den Gegner beeindrucken.

Die EU-Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten dürfen sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen. Stattdessen sollten sie abwarten, ob der flatterhafte Populist Johnson seine brennenden Schiffe später nicht doch löscht - ob er also das Aufschubverbot nicht einfach wieder kassiert. Frei nach dem Motto: Was stört mich mein Gesetz von gestern. Für die EU werden die Verhandlungen über die künftige Partnerschaft mit London ohnehin viel schwieriger sein als die abgeschlossenen Gespräche über den Austrittsvertrag. Panik wegen Johnsons Machismen würde das nur verschlimmern.

Die Briten könnten die EU bereits Ende Januar verlassen

Bereits an diesem Freitag soll das britische Parlament über das Brexit-Gesetz abstimmen, in das Johnson das Verbot eines Aufschubs eingefügt hat. Wird der Rechtsakt wie erwartet angenommen, verlassen die Briten Ende Januar die EU. Danach beginnt die Übergangsphase, in der sich fast nichts ändert. Während dieser Zeit wollen Brüssel und London einen Handelsvertrag abschließen, damit am Ende keine Zölle eingeführt werden müssen. Auch bei vielen anderen Themen soll eine enge Zusammenarbeit vereinbart werden.

Allerdings läuft die Übergangsphase nur bis Ende 2020. Normalerweise dauert es Jahre, sich auf Handelsverträge zu einigen - die Zeit ist folglich sehr knapp. Und da Johnson eine Verlängerung ausschließt, könnten Großbritannien und die EU im Herbst wieder auf eine harte Trennung zusteuern, auf ein Auslaufen der Übergangsphase ohne Anschlussvertrag.

Die EU sollte trotz Johnsons Kurs bei ihrer harten Linie bleiben

Johnsons Kalkül: Die EU wird solch eine chaotische Trennung verhindern wollen und ihm daher entgegenkommen. Der Premier wünscht für seine Unternehmen guten Zugang zum riesigen EU-Markt, will aber zugleich die Freiheit erringen, eigene Standards und Regeln setzen zu können. Brüssel ist es dagegen wichtig, dass es keinen unfairen Wettbewerb durch einen Rivalen direkt vor der Haustür gibt. Die EU fordert Garantien, dass die Briten Konzerne nicht mit Billigstandards und üppigen Subventionen anlocken.

Trotz des Risikos einer Chaostrennung sollte die EU an ihrer harten Linie festhalten. Zum einen gilt es, langfristige Nachteile für Firmen und Beschäftigte auf dem Festland zu verhindern. Zum anderen kann es sich Brüssel schlicht nicht erlauben, schwach zu wirken. Die EU ist keine Militärmacht, jedoch eine Weltmacht bei Handel und Regulierung. Brüssel nutzt Handelsverträge und die Attraktivität des Binnenmarktes, um Staaten weltweit dazu zu bringen, ihre Märkte zu öffnen und EU-Regeln zu übernehmen. Dieses Machtinstrument ist wichtiger denn je: Der Kampf gegen den Klimawandel - dieses Kernanliegen der neuen Kommission - kann nur Erfolg haben, wenn andere Kontinente mitziehen. EU-Handelspolitik kann dabei eine bedeutende Rolle spielen.

Die Mitgliedsstaaten müssen geschlossen bleiben - das wird mühsam

Zudem wäre die Einheit der EU gefährdet, würde Brüssel anfangen, Johnson in manchen Bereichen Zugeständnisse zu machen. Eine der größten Stärken der Union im Brexit-Prozess war bislang die Geschlossenheit. Diese zu wahren, wird allerdings bei den Gesprächen über den Handelsvertrag viel mühsamer sein. Schließlich geht es jetzt um handfeste wirtschaftliche Interessen, und die unterscheiden sich zwischen den Mitgliedstaaten.

Brüssel sollte Johnson den bestmöglichen Vertrag anbieten, der in den wenigen Monaten ausgearbeitet werden kann: keine Zölle für Güter, dafür britische Garantien zu Standards und Regeln. Zollbürokratie und stichprobenartige Kontrollen an den Grenzen wird das nicht vermeiden können. Hierfür wäre eine Zollunion nötig, die der Premier aber ablehnt. Hürdenlose Geschäfte für Dienstleister - wichtig für Großbritannien - wird solch ein Abkommen gleichfalls nicht bringen. Dafür ist die Zeit zu knapp, Johnson sei Dank.

Lehnt der Premier dieses Angebot ab, wird er unter enormen Druck geraten, sein Aufschubverbot aufzuheben und doch um eine Verlängerung zu bitten. Wirtschaftsverbände werden Sturm laufen; Mitglieder seiner Fraktion werden rebellieren, weil sie ihren Wählern nicht erklären können, wieso der ach so segensreiche Brexit jetzt zu Zöllen, höheren Preisen und Entlassungen führt. Die Chancen stehen gut, dass Johnson die brennenden Schiffe löscht und ein weiteres Versprechen bricht. Agathokles hat die Zündelei am Ende auch nicht viel gebracht. Der Krieg gegen Karthago endete ohne Sieger.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2019
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