Süddeutsche Zeitung

Brexit:Raus aus der EU, aber wie?

  • Die Verhandlungen über einen neuen Brexit-Deal haben bislang nicht zu einem Durchbruch geführt.
  • Noch bevor sich die EU und das Vereinigte Königreich auf eine Übereinkunft abschließend geeinigt haben, muss der britische Premierminister Johnson zuhause um Unterstützung für sein Vorhaben kämpfen.
  • Strittig sind laut Chefunterhändler Barnier vor allem Zollfragen für die irische Insel und die Mehrwertsteuer-Regelung.

Von Matthias Kolb, Brüssel, und Alexander Mühlauer, London

Vor dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag sind Großbritannien und die Europäische Union fest entschlossen, eine Einigung im Brexit-Streit zu erzielen. Die Verhandler arbeiteten noch am späten Mittwochabend an einem Entwurf für ein neues Austrittsabkommen. Der Brüsseler Chefunterhändler Michel Barnier informierte die Botschafter der 27 EU-Staaten und betonte, dass neben den Zollregeln für die irische Insel vor allem die Vorschriften für die Mehrwertsteuer umstritten seien, die nach dem Brexit gelten sollen.

In London musste der britische Premierminister Boris Johnson um die Unterstützung für einen möglichen Deal kämpfen. Sowohl die nordirische DUP als auch die Brexit-Hardliner in Johnsons eigener Konservativer Partei zeigten sich skeptisch, ob sie der anvisierten Lösung zustimmen können. Um Grenzkontrollen auf der irischen Insel zu vermeiden, soll Nordirland zwar rechtlich Teil der britischen Zollunion bleiben, aber in der Praxis die EU-Zollregeln anwenden. Damit wären jedoch Kontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien nötig. Die DUP lehnte diese Lösung am Mittwoch erneut ab, weil Nordirland dann anders behandelt würde als der Rest des Vereinigten Königreichs.

Johnson stellt Hilfe für Nordirland in Aussicht

Parteichefin Arlene Foster bekräftigte zudem ihre Forderung nach einem Mitspracherecht für das nordirische Regionalparlament. Nach dem Willen der DUP soll Nordirland über die künftige Anwendung von EU-Regeln mitentscheiden dürfen. Eine Art Veto lehnte Brüssel in den Verhandlungen ab. Um die DUP dennoch von einem Deal zu überzeugen, stellte Johnson finanzielle Hilfen für Nordirland in Aussicht. Der britische Premier ist auf die Unterstützung der DUP angewiesen, da die Konservativen keine Mehrheit im Parlament haben.

Gelingt es Johnson nicht, beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag eine Einigung zu erreichen, ist er gesetzlich verpflichtet, bereits am Samstag um eine Verlängerung der Austrittsfrist zu bitten, um das Chaos eines ungeordneten Brexit abzuwenden. Bislang ist der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs für den 31. Oktober geplant.

EU-Diplomaten zufolge könnte dieser Termin aber wohl auch im Fall einer Gipfel-Einigung nicht mehr haltbar sein. Ein "formales Ja" sei aus Zeitgründen nahezu unmöglich, da ein neuer Rechtstext in den 27 Hauptstädten bewertet werden müsse, hieß es. Ein solches Dokument lag auch am Mittwochabend immer noch nicht vor und es schien unklar, ob dieser Text bis zum Beginn des Gipfels um 15 Uhr den Staats- und Regierungschefs präsentiert werden kann. Je stärker diese Fassung vom bisherigen Austrittsvertrag abweiche, umso länger dauere eine Prüfung, so EU-Diplomaten. Denkbar sei daher ein positives "politisches Signal". Es müsse alles nahezu ideal laufen, um von Seiten der EU-27 im Oktober fertig zu werden, hieß es. Auch das Europaparlament muss noch zustimmen. Als unsicher gilt weiter, ob Johnson eine Mehrheit im Unterhaus organisieren kann. Seine Vorgängerin Theresa May hatte diese oft zugesichert, aber nie einhalten können.

Auf EU-Seite war bis zuletzt die Sorge groß, dass das Vereinigte Königreich aus dem Brexit wirtschaftliche Vorteile ziehen könnte. Brüssel drängte deshalb auf mögliche Verpflichtungen Großbritanniens, auch künftig EU-Sozial- oder Umweltstandards nicht zu unterbieten.

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SZ vom 17.10.2019/kit
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