EU-Sondergipfel:Merkel: Brexit-Vertrag ist ein diplomatisches Kunststück

  • Die Bundeskanzlerin bezeichnet Großbritanniens EU-Austritt als tragisch. Der Vertrag ermögliche aber auch künftig enge Beziehungen.
  • EU-Kommissionspräsident Juncker warnt vor einer Ablehnung.
  • Vertreter von Union und SPD begrüßen die Einigung.

Ein wichtiger Schritt ist getan - doch es wartet noch viel Arbeit: Das ist der Tenor der Reaktionen nach dem Ja der EU-Staats- und Regierungschef zum Austrittsvertrag mit Großbritannien. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach am Sonntag in Brüssel von einem historischen Tag, "der sehr zwiespältige Gefühle auslöst". Es sei tragisch, dass Großbritannien die EU nach 45 Jahren verlasse. "Aber wir haben das Votum der britischen Bevölkerung natürlich zu respektieren." Nun müsse man nach vorne schauen.

Den Unterhändlern sei ein "diplomatisches Kunststück" gelungen. Das Vertragswerk berücksichtige die gegenseitigen Interessen und gebe zugleich einen Ausblick auf die Zukunft. Auf Grundlage der Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit werde es nach dem Brexit zwischen Großbritannien und der EU eine "für einen Drittstaat bisher nie da gewesene Intensität der Beziehungen" geben, sagte Merkel. Auf die Frage, ob bei einer so engen Zusammenarbeit überhaupt von einem echten Brexit die Rede sein könne, sagte sie: "Natürlich ist das eine Trennung."

Die Staats- und Regierungschefs hatten auf dem Sondergipfel den Austrittsvertrag und die Erklärung über die künftigen Beziehungen zu Großbritannien gebilligt. Zum ersten Mal scheidet ein Mitglied aus der Europäischen Union aus. Die britische Premierministerin Theresa May muss das Abkommen allerdings noch gegen massiven Widerstand durch das Parlament bringen. Ob sie dafür eine Mehrheit findet, ist unklar.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte das Unterhaus und das Europäische Parlament vor einer Ablehnung des Austrittsvertrags. "Das ist der einzig mögliche Vertrag, der beste Deal für Großbritannien, der beste für die EU", betonte er nach Abschluss des Sondergipfels: "Wer ihn ablehnt, wird Sekunden später enttäuscht sein."

Während der EU-Kommissionspräsident damit Nachverhandlungen indirekt ausschloss, ließ EU-Ratspräsident Donald Tusk offen, was nach einer Ablehnung passiere. "Wir sollten nicht spekulieren", sagte Tusk lediglich. "Vor uns stehen ein schwieriger Ratifikationsprozess und schwierige Verhandlungen." Gleichzeitig richtete er warme Worte Richtung Großbritannien: "Unabhängig davon, wie es ausgeht: Wir werden Freunde bleiben bis zum Ende aller Tage - und noch einen Tag länger."

Der französische Präsident Emmanuel Macron betonte, dass Europa mit dem Brexit seine fragile Seite gezeigt habe und es nun an der Zeit sei, die EU durch Reformen wieder zu stärken. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite gab zu bedenken: "Der Brexit-Deal wurde angenommen, der Ausstiegsprozess ist aber noch längst nicht vorbei."

In Deutschland begrüßten Politikerinnen und Politiker der Union und SPD die Einigung auf das Brexit-Abkommen. Es weise "den Weg in eine gemeinsame Zukunft" der EU und des Königreichs, erklärte Unionsfraktionsvize Katja Leikert (CDU). Klar sei aber auch: "Nach der aus unserer Sicht falschen Grundsatzentscheidung für den Brexit konnte es keine perfekte Lösung geben." Daher liege nun das "bestmögliche Ergebnis unter sehr schwierigen Umständen" vor. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister (CDU), nannte das Abkommen im NDR einen "fairen Deal für beide Seiten". Zugleich bezeichnete er die Brexit-Entscheidung der Briten als "historischen Fehler mit schwerwiegenden Konsequenzen für das Vereinigte Königreich".

Der europapolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christian Petry, betonte, durch den Vertrag werde ein Austritt "in geordneten Bahnen ermöglicht". Mit ihrer Zustimmung übernähmen die Staats- und Regierungschefs der EU "eine enorme Verantwortung". Die nur als Notfallplan gedachte Zollunion dürfe nicht zu einer "Gefährdung der Integrität des Binnenmarktes" führen.

Kritik an dem Abkommen kam von den Grünen. Zwar sei es ein gutes Zeichen, dass es zustande gekommen sei, erklärte die europapolitische Sprecherin Franziska Brantner. In den Bereichen Umwelt- und Sozialstandards sei es aber "viel zu schwach". Langfristig seien striktere Vereinbarungen nötig, damit Großbritannien EU-Standards nicht unterminiere.

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