Brexit:Ende des Gezerres

Die britische Premierministerin May hat alle Skeptiker widerlegt und einen Deal mit der EU ausgehandelt. Der wird zwar niemanden begeistern, enthält aber mehr, als zu erwarten war.

Von Cathrin Kahlweit

Mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Referendum, mit dem die Briten ihre Mitgliedschaft aufgekündigt haben, liegt nun endlich ein Vertrag zwischen London und der EU vor. Nur Optimisten hatten zuletzt noch geglaubt, dass die Premierministerin und ihr Team einen Vertrag aushandeln könnten, mit dem sich Theresa May vor ihre Parteifreunde, die Abgeordneten und die britischen Wähler wagen würde. Die EU lege immer neue Hürden auf, hatte es geheißen, die Hardliner in der konservativen Partei würden May stürzen, bevor sie ein Abkommen vorlegen kann, May selbst werde einen Verhandlungsabbruch dem eigenen Untergang vorziehen.

Sie hat geliefert, auch wenn ihr Mantra, sie werde "das Beste für das britische Volk" herausholen, nicht von vielen geteilt wird. All jene, die über einen schnellen, unproblematischen Abschied von der Europäischen Union mit hundertprozentiger Erfolgsgarantie fantasiert hatten, haben sich allerdings weggeduckt, als es um den Verhandlungsauftrag ging, oder sind nicht mehr im Amt. Trotzdem wird May jetzt der "Ausverkauf britischer Interessen" vorgeworfen. Gut möglich, dass das vorliegende Papier die kommenden vier Wochen nicht überlebt und die Premierministerin doch noch vor den Scherben einer Politik steht, die aus Kompromissen, Kurven, Planänderungen bestand.

Doch wenn man genau hinschaut, dann ist das Austrittsabkommen, das die Briten Withdrawal-Agreement nennen, eine recht elegante Lösung geworden - ungeachtet aller Verwerfungen und aller Ultimaten, unter denen es zustande kam. Das Abkommen umreißt die Beziehungen des Königreichs zur EU für die nächsten Jahre. Nicht mehr, und nicht weniger. Am 29. März 2019 verlässt Großbritannien die Europäische Union, dann setzt eine Übergangsphase ein, in der im Wesentlichen alles so bleibt, wie es war. In diesem Zeitraum soll ein Zukunftsvertrag erarbeitet werden, ein Freihandelsabkommen für die Zeit danach.

Weil so etwas aller Erfahrung nach Jahre dauert, wird das Land derweil in der Zollunion bleiben. Das ist ein Zwischenschritt, den sich wohl viele Briten gern erspart hätten - sie wollen keinen "Brexit nur dem Namen nach", wie die Gegner des Regierungskurses betonen. Andererseits: Wer kann ehrlich sagen, was der "Wille des Volkes" am Ende einer Brexit-Kampagne voller Desinformation und vager Versprechen tatsächlich war? Damals wusste niemand, wie ein Brexit aussehen könnte, und in Wahrheit weiß es auch heute niemand so recht. Umfragen zufolge findet die Mehrheit der Briten, die Regierung solle endlich irgendeinen Vertrag abschließen, Schluss machen mit dem Gezerre, und sich wieder auf drängendere Fragen konzentrieren. Schließlich haben die Tories das Land sozialpolitisch und infrastrukturell ausgeblutet; vielen Briten ist der Brexit eher egal, sie wollen Röntgengeräte, die funktionieren, Züge, die fahren, Sozialämter, die Geld auszahlen.

Ob dieser Vertrag im Dezember das britische Parlament passiert, darüber wird nun intensiv beraten, gestritten und geschrieben werden. Alles, auch ein Austritt ohne Vertrag, ist immer noch möglich. Aber jetzt müssen die Parteien, die bisher nur gedroht haben, Farbe bekennen. Die nordirische DUP will keine Sonderstellung für Nordirland, die - auch wenn Brüssel hier jede Menge Kompromisse gemacht hat -, unausweichlich ist. Sie wird wohl gegen das Abkommen stimmen, und damit gegen die Interessen der Nordiren, die sie vertritt. Unter den Hardlinern bei den Tories haben vorher viele laut "Verrat" gebrüllt. Mal sehen, wer von ihnen am Ende des Tages gegen die eigene Regierung votiert, nun, da ein Deal zu haben ist, den man über die Jahre zu einer dauerhaften Lösung ausbauen und abändern kann.

Die Labour-Führung bot in den vergangenen Monaten ein trauriges Bild, wenn es um alternative Politikangebote zum Brexit ging. Die Basis murrt ob der ausweichenden Haltung von Parteichef Jeremy Corbyn, der sich bis zuletzt nicht zu dem Ziel bekennen mochte, den Brexit noch zu stoppen. Viele Abgeordnete halten die Strategie für fatal, sich nicht an die Spitze einer Gegenbewegung zu setzen, einige von ihnen dürften daher für einen Deal stimmen, den sie zwar nicht großartig, aber zumindest pragmatisch finden.

Denn das ist die vorliegende Lösung, die Briten und Europäer ausgehandelt haben. Sie zementiert nichts und lässt vieles offen. Ja, die Briten bleiben bis auf Weiteres in der Zollunion und ja, sie müssen EU-Standards und Regeln einhalten, ohne mitreden zu dürfen. Aber es ist nicht klar, wie künftige Regierungen sich positionieren werden, was die nächste Generation will, ob es ein zweites Referendum, eine Umkehr, oder aber eine Verhärtung der Positionen nach der Übergangsphase gibt. Daher ist der aktuelle Vorschlag nicht das Schlechteste aus zwei Welten, wie viele Kritiker monieren, sondern eine Art Scharnier-Lösung: ein Gelenk, das zwei feste Teile, die Zeit vor dem Brexit und nach dem Brexit, beweglich verbindet.

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