Süddeutsche Zeitung

Brexit:Die Geister, die Cameron rief, wird May nicht mehr los

Hardliner unter den Tories treiben die Regierungschefin vor sich her - so, wie sie es auch mit ihrem Vorgänger taten. Derweil droht das Vereinigte Königreich zu zerfallen.

Kommentar von Christian Zaschke

Sollte es immer noch Menschen gegeben haben, die hofften, die Briten würden letztlich doch nicht allen Ernstes aus der EU austreten, so dürfte deren Hoffnung endgültig zerstoben sein. Wenn Premierministerin Theresa May am Mittwoch kommender Woche Brüssel gemäß Artikel 50 der EU-Verträge offiziell vom Austrittswunsch Großbritanniens unterrichtet, beginnt ein Prozess, von dem es kein Zurück gibt. Am Ende dieses Prozesses, in zwei Jahren, ist das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Unmittelbar damit verknüpft ist die Frage, was das für die kleinere Union bedeutet: die von England, Wales, Schottland und Nordirland.

May verkündete das Datum des Verhandlungsbeginns in Wales. Bei allem Respekt vor diesem wunderbaren Landstrich: In Wales wird selten etwas Bedeutendes verkündet. May wollte jedoch ein Zeichen setzen und zeigen, dass ihr alle Landesteile wichtig sind. Sie wird auch Schottland und Nordirland noch besuchen, bevor der Scheidungsprozess von der EU beginnt, um die nationale Einheit zu beschwören. Um eben diese Einheit ist es allerdings nicht zum Besten bestellt, und das hat viel mit dem Kurs der Premierministerin in der Brexit-Frage zu tun.

Ursprünglich war May, wie die große Mehrheit der Parlamentarier und auch die Mehrheit ihrer Partei, für den Verbleib in der EU. Sie hatte das nicht an die große Glocke gehängt, aber sie war dafür. Im Austrittsvotum und dem folgenden Rücktritt David Camerons erkannte sie ihre Chance, sie wurde Parteichefin und damit Premierministerin und vertritt seither in Sachen Brexit die ganz harte Linie. Das ist gewagt und ungewöhnlich für eine Politikerin, die normalerweise das Risiko scheut.

Ihr Vorgehen ist dem Kalkül geschuldet, dass es keine andere Möglichkeit gibt, die kompromisslosen Brexit-Anhänger in ihrer Partei zu befrieden. Es ist jene Minderheit, die David Cameron so lange vor sich hertrieb, bis er endlich das Referendum versprach, über das er stürzte. Mays Mehrheit im Parlament ist zu klein, als dass sie es sich erlauben könnte, beim rechten Flügel unbeliebt zu werden. Also bekommt dieser seinen Willen, und der Rest, so Mays Überlegung, muss folgen, weil er sonst im Ruch stünde, sich gegen den Willen des Volkes zu stellen.

Fast alle anderen sind gegen den Brexit

Gegen den harten Brexit sind allerdings die Wirtschaft, der Finanzplatz in London, die moderaten Konservativen, die Befürworter eines soften Austritts, Schottland, Nordirland und sowieso alle, die für den Verbleib gestimmt haben. Ein großes Problem des Referendums war, dass nicht im Mindesten klar war, was der Austritt genau bedeutet und wie er vollzogen werden soll. Man kann davon ausgehen, dass die Mehrheit den harten Brexit nicht will. Den bekommt Großbritannien jedoch voraussichtlich, weil May und das Land durch das Votum in der Hand einer Minderheit von Tories des rechten Randes sind.

Aus dieser Position ergibt sich für May das Problem, dass sie womöglich als die Regierungschefin in die Geschichte eingeht, unter der das Vereinigte Königreich erst aus der EU austrat und dann zerbrach. In Schottland haben zwei Drittel der Wähler für den Verbleib gestimmt. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon hat alles auf eine Karte gesetzt und ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit gefordert. Noch lehnt May das ab, aber die Frage ist eher, wann und nicht ob die Schotten noch einmal abstimmen.

Je radikaler die Trennung von Europa ausfällt, desto größer ist die Chance, dass die Schotten ihren eigenen Weg gehen wollen. Die auf zwei Jahre angesetzten Verhandlungen mit der EU werden daher auch zeigen, ob May sich aus der Umklammerung ihres rechten Parteiflügels befreien und das Land zusammenhalten kann.

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SZ vom 21.03.2017/jael
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