Süddeutsche Zeitung

Brexit:Die Briten trumpfen auf

In den Trennungsgesprächen provoziert London die EU-Verhandler, die flüchten sich ihrerseits in Dogmatismus. Besser für alle wäre es, nach pragmatischen Lösungen zu suchen.

Von Alexander Mühlauer

Wenn der britische Schatzkanzler in dieser Woche den Haushalt vorstellt, werden die Brexiteers jubeln. Rishi Sunak will nämlich verkünden, dass die von ihnen verhasste Tampon-Steuer zum Jahresende abgeschafft wird. Dann soll Großbritannien die EU nach der Übergangsphase endgültig verlassen und muss sich nicht länger an den von Brüssel verordneten Mindeststeuersatz auf Hygieneartikel für Frauen halten. Das Aus der tampon tax ist ein Sieg all jener, die sie schon vor dem Brexit-Referendum als Symbol für die EU-Bürokratie brandmarkten. Jetzt, da sie gestrichen wird, steht sie plötzlich für etwas ganz anderes: die Wiedererlangung von Souveränität.

Dieses Ansinnen ist es auch, das bislang die Brexit-Verhandlungen prägt. In Brüssel treten die Briten derart dogmatisch auf, dass sie Gefahr laufen, die Freihandelsgespräche zu einem Proseminar über Brexit-Philosophie zu machen. Anstatt die enge wirtschaftliche Beziehung pragmatisch zu entflechten, ist es dem Londoner Chefverhandler David Frost offenbar wichtiger, der EU noch einmal klarzumachen, was der Brexit überhaupt bedeutet. Aus seiner Sicht kann Brüssel noch immer nicht akzeptieren, dass es Länder gibt, die zwar geografisch zu Europa gehören, aber politisch durchaus unabhängig von der EU existieren können. Die Briten wollen als "gleichwertiger Souverän" behandelt werden - doch was das genau bedeutet, sagen sie nicht.

Es ist Zeit für Lösungen, die für beide Seiten gesichtswahrend sind

Da ist zum Beispiel das von Brüssel geforderte level playing field. Die EU möchte damit sicherstellen, dass britische Firmen gegenüber EU-Rivalen keine unfairen Vorteile haben. Die Europäische Union will nur dann einen Handelsvertrag abschließen, der Importe aus Großbritannien weiter von Zöllen befreit, wenn Boris Johnson keine Standards absenkt, etwa beim Umweltschutz, und sich an EU-Regeln für Subventionen hält. Nur: Diese Vorschriften lehnt der Premier strikt ab - widersprechen sie doch dem nationalistischen Kerngedanken des Brexit. Stattdessen verspricht London lediglich, künftig selbst die weltweit ambitioniertesten Standards zu setzen. Das müsse doch reichen.

Für die Brüsseler Bürokratie, die sich seit jeher auf das Verfassen glasklarer Rechtstexte versteht, ist das eine Provokation. Getrieben vom Londoner Brexit-Mindset ist die EU drauf und dran, sich ihrerseits in den Dogmatismus zu flüchten. Gewiss, die EU fürchtet zu Recht, dass nach dem Brexit ein Wettbewerber vor der eigenen Haustür entsteht, der schneller auf die Veränderungen der Globalisierung reagieren kann als der träge 27-Staaten-Bund. Aber anstatt darin selbst einen Ansporn zu sehen und eine pragmatische Lösung mit London anzustreben, hängt die EU zu sehr am Status quo.

Insofern hat der Londoner Chefverhandler nicht ganz unrecht: In Brüssel gibt es immer noch die Hoffnung, dass sich nach dem Brexit nicht so viel ändert. Doch diese Hoffnung ist wohlfeil. Es wird zu Disruption kommen. Umso wichtiger ist es jetzt, die Zeit für Lösungen zu nutzen, die für beide Seiten gesichtswahrend sind. Sollte Brüssel etwa der Meinung sein, dass Großbritannien EU-Standards im Warenaustausch unterläuft, muss darüber ein unabhängiges Schiedsgericht entscheiden. Auch Sanktionen müssen möglich sein. Im Idealfall befruchten sich London und Brüssel jedoch gegenseitig. So wie bei der Tampon-Steuer. Von 2022 an dürfen auch alle EU-Staaten die Abgabe streichen, wenn sie es denn möchten.

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SZ vom 09.03.2020
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